vom szenischen Verstehen (vgl. Freud, S. 1909b). Ein befreundeter Kollege berichtete ihm von der Angst seines Sohnes, ein Pferd werde ihn beißen. Hans war einst Augenzeuge, wie ein Pferd stürzte, und er glaubte, es sei tot. Freud erkannte in dieser Phantasie sowohl eine Verdichtung wie auch eine Verschiebung und ging davon aus, dass Hans seinen ödipalen Wunsch, den Vater zu töten, mit diesem Erlebnis assoziativ in Verbindung brachte. Gleichzeitig fürchtete sich der Junge davor, vom Vater für diesen Wunsch kastriert zu werden, und so setzte er unbewusst Pferd und Vater in eins und entwickelte daraus eine Pferdephobie. »(…) beide Objekte, das beißende wie das fallende Pferd, sind der Vater, der ihn strafen wird, weil er so böse Wünsche gegen ihn hegt« (vgl. Lorenzer 1973, S. 127 ff.). Die ursprüngliche Bedeutung der Wörter ging verloren und wurde durch ein »Klischee« ersetzt (vgl. ebd., S. 113), und nach Lorenzer steht diese Desymbolisierung für eine Auftrennung von Sprache und Praxis. Sprache ist damit zur Privatsprache geworden, und die Gleichung lautet nun: Pferd = Vater. Die Angst vor dem strafenden Vater ist zur Angst vor dem Pferd geworden.
Aufgabe des Psychoanalytikers ist es, dazu beizutragen, dass diese Sprachverfälschung wieder aufgehoben werden kann. Indem über die Deutungsarbeit Wut und Angst dem Vater gegenüber bewusst erlebbar werden dürfen, können die alten Wortbedeutungen wieder in ihre Rechte eingesetzt werden. Fortan bedeuten also erneut Pferd = Pferd und Vater = Vater (vgl. ebd., S. 127 ff.).
Damit aber zurück zum Entenbeispiel. Clos verstand den Zusammenhang zwischen dem affektiven, lebensgeschichtlich gezeichneten Hintergrund der Kinder und ihren manifest gezeigten Aggressionen gegen die Enten. Hier kam es unbewusst wie auf einer Bühne zur Reinszenierung eines ungelösten Problems. Zudem wurde ihr ihre eigene Verstrickung deutlich, die sich in der Entrüstung über das unethische Gebaren als Widerstand gegen das Zulassen der Identifikation mit den verschlingenden narzisstischen Bedürfnissen der Kinder äußerte. Auf diese Weise ließ sich ein Weg zur symbolischen, spielerisch gestalteten Bearbeitung der Problematik finden.
Lorenzer hat die Szene als Kern der Entstehung der individuellen Persönlichkeit ausgemacht (vgl. Lorenzer 1977, S. 89). Leber (1979) führte dieses Konzept in die Pädagogik ein, und vor allem Trescher hat es für die Pädagogik systematisch weiterentwickelt (vgl. Trescher, H.-G. 1985b, S. 134). Hierbei geht es um eine besondere Konfliktdynamik, die zwischen dem Kind und seinen primären Objekten wie Mutter und Vater entsteht. Wenn diese frühen Erfahrungen mit den zunächst übermächtig erlebten Objekten zu schmerzlich sind, wird ihnen langfristig der Zugang zum Bewusstsein versperrt. Das Kind weiß nicht mehr, was ihm angetan wurde. Auch weiterhin wird eine starke psychische Abwehr in neuen Situationen, die von ihrer Ähnlichkeit her an die alten Wunden erinnern, innere Widerstände aktivieren, um dieses Wissen fern zu halten. In diesem Fall sind weder Vorstellungskraft noch Sprache verfügbar, um sich zu erinnern und diese Erinnerungen artikulieren zu können. »Wo Sprache und Denken als ›Probehandeln‹ ausfallen, wird blind ›agiert‹« (vgl. Leber 1972, S. 23). An die Stelle einer reflektierten Mitteilung über das Selbsterleben treten sprachlose Inszenierungen als unbewusste Wiederholung des einst erlittenen Traumas. Wie die obige Konstellation illustriert, ist der pädagogische Alltag voll davon. Glücklicherweise vermochte die Lehrerin die Dramatik, die durch die anstehende Trennung ausgelöst wurde, zu verstehen und den Kindern einen symbolischen Weg anzubieten, sich davon zu befreien.
So können bestimmte Situationen, die für das ungeübte Auge völlig harmlos erscheinen, plötzlich in eine wechselseitige Eskalation einmünden. Über eine assoziative Verknüpfung an das frühere konflikthafte und noch immer unverarbeitete seelische Dilemma wird ihnen unvermittelt ein spezifischer szenischer Auslösereiz beigemessen, was dazu führt, dass unsere Adressat/innen in ein mehr oder minder heftiges Agieren geraten. Aus Scham verhindert der innere Widerstand, dass das Verhalten der Reflexion zugänglich wird. Alte und dem Bewusstsein entzogene Erinnerungsspuren gemahnen an das Erleben von Kränkungen und Ohnmacht. Damit wird eine narzisstische Verletzung reaktiviert, was dazu führt, die aktuelle Situation wie jene vergangene misszuverstehen und aus Selbstschutz mit Angst, Wut, Rückzug oder Angriff auf diese vermeintliche Gefahr zu reagieren. Das Wissen um diese Zusammenhänge würde zunächst ebenfalls als Rückkehr der Bedrohung missdeutet werden. Erst ein neuer, professioneller Beziehungszusammenhang, in dem diese Assoziationen möglichst angst- und vorwurfsfrei erlebt werden können, wird ein allmähliches Verblassen der frühen Traumen bewirken. Insofern gilt es zu berücksichtigen, dass eine von Selbstreflexion getragene neue Einsicht zunächst nur gegen die eigene Bereitschaft und mit beträchtlichem psychischem Aufwand zu erreichen sein wird. Allerdings sei hervorgehoben, dass in den außerklinischen Praxisfeldern von Pädagogik und Sozialer Arbeit die Befassung mit der frühen Lebensgeschichte nur marginal ist. Viel wichtiger ist die Herstellung eines Beziehungsarrangements im Hier und Jetzt, welches im Sinne Alexanders (1949) neue, korrigierende emotionale Erfahrungen zulässt.
Dazu bedarf es auf Seiten der Pädagog/innen einer Stärkung ihrer Verstehensfähigkeit, um die bewussten wie besonders nicht-bewussten Beziehungsfallen zu erkennen. So wird es möglich, mit Übertragungs- und Gegenübertragungsprozessen reflektiert umzugehen und sich aus affektiven Verstrickungen befreien zu können und dem jeweiligen Gegenüber zu einer gedeihlichen Entwicklung zu verhelfen. Methodisch geschieht dies vor allem über die Aneignung tiefenhermeneutischen Wissens, wobei dem szenischen Verstehen eine zentrale Rolle zukommt. Es bedeutet, das metaphorisch zur Darstellung gebrachte Leid hinter dem Agieren zu verstehen (vgl. Leber 1979, S. 75).
Vor allem gilt es zu bedenken, dass das Besondere an einem derartigen Fallverstehen in der langfristigen Arbeit »mit der Beziehung und den Emotionen sowohl der Klienten wie der Betreuer« liegt (vgl. Günter, Bruns 2010, S. 25). Für diese anspruchsvolle Form des Verstehens müssen daher bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Vor allem ist das Fallverstehen nicht getrennt von der Beziehungsarbeit zu betrachten. Hier eine Arbeitsatmosphäre aus »Offenheit, Geduld, Verstehen, Akzeptieren« herzustellen, wird oft erst nach längerer Zeit erreicht. Um die verwickelten Interaktionen im Arbeitsfeld zu verstehen, ist daher Supervision dringend anzuempfehlen, in deren Rahmen auch Momente der »Selbsterforschung« ihren Platz finden sollte (vgl. Günter, Bruns 2010, S. 29).
Nach Burkard Müller lehrt Psychoanalyse die Pädagog/innen »den verstehenden Umgang mit dem Fremden, das ihnen in ihren Klienten und deren Lebensverhältnissen entgegentritt (…)« (vgl. Müller 1990, S. 40). Hierbei muss die reflektierte Anleitung zu Introspektion und Empathie ergänzt werden um konzeptionelles Wissen über Konflikt, Abwehr und Widerstand, die Wechselwirkung von Übertragung und Gegenübertragung, wobei am Ende Psychoanalyse als Gesellschaftskritik nicht fehlen darf. Der Einfluss der eigenen Persönlichkeit ist als tragendes Moment des professionellen Arbeits- und Entwicklungsbündnisses unabdingbar in den Blick zu nehmen. Alter, Geschlecht, Schichtzugehörigkeit und Ausbildung kommt dabei eine ähnlich große Bedeutung zu wie die eigene Lebenspraxis und Lebenssituation. Es macht zudem einen Unterschied, ob man vom »Vorbild des barmherzigen Samariters geprägt ist, oder im Sinne einer modernen Ethik der Meinung ist, dass der andere für sich selber verantwortlich ist und dass allenfalls staatliche Organisationen und professionelle angestellte Helfer für die Not des anderen zuständig sind«. Umgekehrt erleben die Klienten ihr Gegenüber »unbewusst wie eine Person, mit der sie in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen gemacht haben. Sie übertragen auf uns Gefühle, die nicht uns gelten, sondern einer früheren Bezugsperson«. Zur Unterstützung des reflektierten Umgangs mit diesen erlebensnahen Dimensionen jenseits theoretischer und methodischer Unterweisung sind »gruppendynamische Laboratorien mit Selbsterfahrungsgruppen (…) hilfreich, nicht zu vergessen Selbsthilfegruppen« (vgl. Kutter 1990, S. 45 ff.).
Die Vertreter/innen der Psychoanalytischen Pädagogik bewegen sich in einem »geteilten intersubjektiven Raum«, sind von einer gemeinsamen Phantasie und Idee umwoben, die ich die Matrix der Psychoanalytischen Pädagogik nennen möchte. Wenn man so will, bilden sie eine (unstrukturierte) Großgruppe, die – wie Wilke mit Bezug auf Foulkes’ Sozialisationstheorie (vgl. Foulkes 2007) anmerkt – »Werte und Normen erarbeitet, von denen jedes Mitglied individuell abweicht«. Und es ist Auftrag an diese spezielle scientific community, die »Interdependenz einer Ich- und Wir-Identität zwischen ihm und der Gruppe zu tolerieren« (vgl. Wilke 2005, S. 141 f.). Vor dem Hintergrund der ewigen Spaltungen innerhalb der verfassten Psychoanalyse ist das mitnichten ein leichtes Unterfangen.
An dieser Stelle möchte ich