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An der Front und Hinter der Front - Au front et à l'arrière


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blieben der Militärführung schon in der Frühphase des Kriegs nicht verborgen. Manchmal spielten bei der Einschätzung ethnische Zuschreibungen eine Rolle, nicht zuletzt im Hinblick auf die jüdischen Reserveoffiziere. Antisemitismus hatte im politisch-sozialen Leben der Habsburgermonarchie, insbesondere in der österreichischen Reichshälfte, längst einen festen Platz, als der Krieg ausbrach. Im Berufsoffizierskorps der k. u. k. Armee gab es kaum Juden; das war aber kein Hinderungsgrund, im Sinn antisemitischer Denkmuster missliebigen Standesangehörigen jüdische Vorfahren zum Vorwurf zu machen. Zugleich aber gab es, anders als in Deutschland, keinen Versuch, Juden aus dem Reserveoffizierskorps auszusperren. Bildungs- und Vermögensverhältnisse führten im Rahmen des Einjährig-Freiwilligen-Privilegs daher dazu, dass bei Kriegsbeginn beinahe ein Fünftel der Reserveoffiziere Juden waren. Drückebergerei und mangelnde Autorität wurden ihnen in internen Berichten schon nach den ersten Kriegswochen nachgesagt.21 An der Qualität der Reserveoffiziere hatten beim Generalstab vor Kriegsbeginn Zweifel geherrscht.22 Die Erhebung von Informationen zur Leistungsfähigkeit der Reserveoffiziere war denn auch Teil einer systematischen Sammlung von Erfahrungen aus den ersten Kriegsmonaten.23 Martin Schmitz hat diese Erfahrungsberichte als Erster analysiert und ausgewertet. Die Berichte erlauben Einblicke in ein breites Spektrum an Problemlagen. Dazu zählen nicht zuletzt die Fragen nach den Stärken und Schwächen der verschiedenen Ebenen des Offizierskorps, des Verhältnisses zur Truppe und zur Zuverlässigkeit oder Unzuverlässigkeit bestimmter Einheiten. Die Anfang 1915 systematisch eingeholten Berichte boten aber auch Anhaltspunkte für eine Reform der Landstreitkräfte, ein Thema, das in unterschiedlichen Varianten und mit unterschiedlichen Protagonisten fast bis zum Kriegsende diskutiert werden sollte.24

      Auch die deutschen Verbündeten kommentierten die Qualitätsmängel im Offizierskorps der k. u. k. Armee und machten sich Gedanken über mögliche Verbesserungen. Major Graf Bethusy Huc rügte in einem Erfahrungsbericht am Offizierskorps der k. u. k. Armee die mangelnde Initiative und die Umständlichkeit bei der Befehlsausgabe. Letztlich attestierte er den Verbündeten Verantwortungsscheue und ein zu stark ausgeprägtes Streben danach, sich das Wohlwollen der Vorgesetzten zu sichern. Unter den Verbesserungsvorschlägen war die Empfehlung, durch weniger häufige Versetzungen «mehr Spezialisten für die einzelnen Volksgruppen» zu gewinnen. Die aus deutscher Sicht so erschreckend komplizierte Kommunikation zwischen Offizieren und Mannschaften einer Vielsprachenarmee sollte durch diese Massnahme im Verein mit ethnisch homogeneren Regimentern erleichtert werden. «Mittel und Mass der Ausbildung des einzelnen Mannes», so Bethusy Huc, seien «je nach seiner völkischen Eigenart [zu] bestimmen».25

      Harsche Kritik am Offizierskorps konnte sich auch mit der Ablehnung der in der k. u. k. Armee geübten Praxis verknüpfen, die Verluste unter den Mannschaften auszugleichen.Es bürgerte sich rasch ein, dass jedem Regiment pro Monat ein Marschbataillon zugeschoben wurde, eine Regelung, die zwar die Organisation der Ergänzungen standardisierte und insofern erleichterte, die aber zugleich schematisch war und dem eigentlich je nach Lage des Verbandes sehr unterschiedlichen Ersatzbedarf der betroffenen Einheiten nicht Rechnung trug.26 Diese strukturelle Schwäche fiel auch den Verbündeten ins Auge. Die kritische Sicht auf ein Defizit der Organisation mischte sich allerdings dabei gerne auch mit Urteilen über andere Charakteristika der Armee Österreich-Ungarns. Das weitreichende Versagen der k. u. k. Armee im Jahr 1916, so urteilte der deutsche General Johannes von Eben, dessen Verband zur Unterstützung der k. u. k. Armee während der Abwehr der Brussilow-Offensive eingesetzt und dem Kommando der 2. österreichisch-ungarischen Armee unterstellt worden war, «findet seine psychologische Erklärung in der Energielosigkeit und Indolenz, die eine Nationaleigentümlichkeit besonders der slawischen Stämme bilden» sowie in der «politische[n] Zerfahrenheit der Donaumonarchie, bei der jeder Volksstamm sein besonderes Kriegsziel hat und manche unausgesprochen den Sieg der Russen wünschen. Aus solchem Menschenmaterial sind brauchbare Soldaten nur zu machen bei unausgesetzter scharfer und genauer Arbeit, sowohl bei den Truppen in der Front, als auch bei dem hinter der Front auszubildenden Ersatze. Dass dies nicht geschehen ist, lag hauptsächlich an dem System der Marschbataillone und an der geistlosen, um nicht zu sagen gewissenlosen Art, wie dieses System gehandhabt wurde.» Die automatische Zufuhr von Marschformationen alle vier bis sechs Wochen, ganz unabhängig von der jeweiligen konkreten Bedarfslage bei den Stammformationen, war unsinnig, vor allem aber wurde die Ausbildung vernachlässigt. Nur durch dauernde Arbeit seien auch die bereits vorhandenen Reservisten einsatztauglich zu machen und zu halten, aber: «Diese dauernde Arbeit liegt dem Oesterreicher gar nicht und kann nur durch einen von deutscher Seite ausgeübten, ebenso beständigen, wie in der Form sanften Druck erreicht werden, da ein Zuviel in dieser Beziehung das Ganze verderben würde.»27

      Sanfter Druck und gelungene Einflussnahme hingen auch vom Fingerspitzengefühl der deutschen Offiziere ab. Der Einfühlsamkeit eher unverdächtig war der ausgewiesene Österreicher-Verächter Oberst Max Hoffman. Er schrieb seiner Frau im Sommer 1916: «Sorgen wegen der Österreicher, die in allem versagen, kurz, die richtige Sonntagsstimmung. Die Schufte wollen einfach nicht mehr. Die aktiven Offiziere sitzen in den höheren Stäben, auf der Etappe oder sonstwo, und die jüdischen Kommis, Schauspieler, und kleinen Beamten, die als Offiziere an der Front stehen, können und wissen nichts. Und wenn sie was könnten, und wenn sie das Beste wollten, die haben keinerlei Autorität bei den Leuten. Dazu das Völkergemisch mit 23 Sprachen. Keiner versteht den andern. Jetzt fangen wir an, die Österreicher auszubilden und exercieren zu lassen. Es ist schon ein Kreuz.»28

      Was in der k. u. k. Armee fehlte, war ein Pendant zu den deutschen Rekrutendepots, bei denen die Ausbildung der Truppe die zentrale Aufgabe darstellte. Beim österreichisch-ungarischen Verbündeten gab es diese institutionelle Bindung nicht, und die Divisionen und Regimenter standen der Rückbehaltung von besonderen Formationen minder ausgebildeter Soldaten bei den Korps ablehnend gegenüber. Dem Regimentskommandanten blieb es möglich, die Kämpferbestände klein zu rechnen und «damit zu beweisen, dass er nicht genug Feuergewehre auf den km der Stellung besässe, und die Einreihung der Marschbataillone zu fordern.» Dem Kommando der 2. Armee attestierte von Eben zwar, dass es diesen Missstand zu beheben versuchte, dies aber vergeblich, «denn der Grund des Uebels ist, dass alle höheren Führer der k. u. k. Armee, vom Regimentskommandeure angefangen, im allgemeinen nicht den Ehrgeiz haben eine möglichst grosse Kampfkraft aus ihren Truppen herauszuholen, sondern diese als möglichst gering darzustellen, damit sie eine möglichst leichte Aufgabe erhalten und damit grössere Sicherheit, sie ohne Rückschläge zu lösen.» Auch von Eben kam nicht umhin, diese Einschätzung mit einer massiven Kritik an der Qualität des k. u. k. Offizierskorps zu verknüpfen: «Es ist dies eine Erscheinung, die aus dem Grundübel des österreichischen Offizierskorps, der geringen Bewertung des Charakters und der auf Willenskraft beruhenden Leistungen [herrührt] im Gegensatz zu gefälligen äussern Formen und Leistungen, die in erster Linie auf Intelligenz und Arbeit beruhen.» Die k. u. k. Armee müsse gründlich reformiert werden und die Alliierten hätten schlicht zu akzeptieren, «dass bei der ganzen Ausbildungsangelegenheit wir die Gebenden und sie die Empfangenden sind», wenn ein weiteres Desaster nach dem Muster der Brussilow-Offensive vermieden werden solle. Die deutschen Bemühungen um eine Änderung der Organisation, Führungskultur und Ausbildungsarbeit bei der k. u. k. Armee zielten darauf, den – leider – unverzichtbaren Alliierten im Feld zu halten und für die Zukunft ein vergleichbares Qualitätsgefälle zwischen dem Deutschen Reich und seinem Verbündeten zu vermeiden. Angesichts der drängenden Probleme mussten die gewünschten Strukturreformen der Nachkriegszeit überlassen werden. Auch die Bestrebungen des AOK selbst waren vor allem darauf ausgerichtet, die aktuellen Krisen besser in den Griff zu bekommen.

      Immerhin gelang die Bereitstellung der notwendigen Ersatzmannschaften bis Ende 1916 noch relativ gut. Es hatte sich als Erfahrungswert herauskristallisiert, dass pro Jahr etwa 1,8 bis 2 Millionen Soldaten benötigt würden, um die Verluste des Feldheeres auszugleichen. Weil aber kaum mehr diensttaugliche Männer der bisher stellungspflichtigen Jahrgänge zu finden sein würden, war selbst unter Einrechnung der neu einzuberufenden Achtzehnjährigen und der zu erwartenden Zahl an Genesenen, die wieder zum Einsatz zur Verfügung standen, maximal eine Bedarfsdeckung bis zum Herbst 1917 möglich. Eine denkbare Abhilfe hätte nach dem Muster von 1915 die erneute Ausweitung der Landsturmpflicht geboten, aber aus politischen Gründen wurde davon Abstand genommen. Kaiser Karl, der neue Monarch, wollte die Bevölkerung nicht mit einer so fühlbaren