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An der Front und Hinter der Front - Au front et à l'arrière


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Franz Conrad von Hötzendorfs, des langjährigen Generalstabschefs Österreich-Ungarns, ein ausführlicher Bericht des Vertreters des Armee-Oberkommandos (AOK) der Habsburgermonarchie bei der deutschen Obersten Heeresleitung (OHL). Thema des Schreibens war der Sturz Erich von Falkenhayns als Chef der OHL. Alois Klepsch-Kloth von Roden versuchte aus all dem Tratsch, der ihm zugetragen wurde, ein Bild der Gründe für die Entlassung Falkenhayns zu formen. Vermutlich nahm Klepsch-Kloth an, beim AOK würde eine möglichst kritische Beurteilung des Geschassten gerne gelesen, hatte es doch immer wieder starke Spannungen zwischen Conrad und Falkenhayn gegeben, die nach dem Zerwürfnis über die Frage nach der Zukunft Montenegros in eine regelrechte Funkstille zwischen den Köpfen der verbündeten Armeeführungen gemündet hatten. Den Hinweis darauf, dass eklatantes Scheitern auf dem Feld militärischer Führung die missliche Kriegslage und damit letztlich den Sturz Falkenhayns herbeigeführt hätte, quittierte Conrad mit einer lakonischen Randbemerkung. Die ungünstige Kriegslage sei «Resultat des Kräfte-Missverhältnisses zwischen uns und unseren Gegnern.» Er schloss kurz und knapp: «C’est tout!»1

      Es liegt nahe, in dieser Einschätzung aus der Feder Conrads auch eine Formel zu vermuten, die bei der Suche nach einer Entschuldigung für jene Rückschläge nützlich war, die Österreich-Ungarns Streitkräfte unter der Führung Conrads seit August 1914 immer wieder erlitten hatten. Die im Vergleich zum Gegner mangelhafte Ausstattung mit – angemessen ausgebildeten – Soldaten und mit Rüstungsmaterial gehörte denn auch nach 1918 bei Conrad und anderen Mitgliedern der früheren Militärelite zu den Standard-Topoi der Verteidigung. Der Beitrag von Martin Schmitz in diesem Band bietet Gelegenheit, die Rechtfertigungsstrategien dieser Kreise in der Zwischenkriegszeit näher kennenzulernen.2 Der Hinweis auf die Rüstungsdefizite und das strategische Ungleichgewicht bildete eine Waffe zur Verteidigung der eigenen Reputation, im Krieg selbst und noch darüber hinaus. Unberechtigt jedoch, das gilt es hier festzuhalten, war die Einschätzung keineswegs. Sie legte durchaus den Finger in die Wunde: Strategisch war die Lage der Mittelmächte eben von Beginn an ungünstig, und die weitere Entwicklung des Kriegs brachte nur kurzfristige Verbesserungen der Situation mit sich; kurzfristig nicht zuletzt deshalb, weil sich immer neue Gegner am Krieg beteiligten. Die Streitkräfte der Habsburgermonarchie standen damit bereits ab Herbst 1914 der Herausforderung gegenüber, sich trotz gravierender Rückschläge und gewaltiger Verluste an Material, an Mannschaften und nicht zuletzt an Offizieren in einem Mehrfrontenkrieg zu behaupten, auf den Truppe und Führung, aber auch Staat und Gesellschaft nur unzureichend vorbereitet waren. Von der Wirklichkeit des modernen Kriegs überrascht wurden auch die Gegner und Verbündeten der Donaumonarchie, aber die strategische Lage Österreich-Ungarns war besonders prekär und liess wenig Spielraum, um Fehler wettzumachen und Verluste auszugleichen. Insgesamt hatte die Militärführung Österreich-Ungarns immer wieder mit mangelnden Ressourcen zu kämpfen – mangelhaft vor allem im Hinblick darauf, dass zumindest bis zum Herbst 1917 die Lage an den Fronten prekär blieb, auch wenn bedeutende militärische Teilerfolge errungen worden waren. Und als nach Serbien und Rumänien auch Russland faktisch geschlagen und die Italiener bis zum Piave zurückgedrängt waren, reichten weder der Nachschub an Waffen, Munition und vor allem Nahrungsmitteln aus noch die Ersatzmannschaften, die die Lücken unter den Fronttruppen stopfen sollten.

      Die letzte grosse Offensive am Piave zeigte dann deutlich, wie geschwächt die k. u. k. Armee bereits war. Schliesslich brach die Italien-Front im Herbst 1918 zusammen und die Armee zerfiel in oftmals von ethnisch-nationaler Identität bestimmte Teile. Nach dem Hinweis auf die Rüstungsmängel spielte denn auch vor allem die zentrifugale Kraft der Nationalismen eine entscheidende Rolle bei der Suche nach Erklärungen dafür, dass Österreich-Ungarn den Krieg verloren hatte. Die österreichische Variante der Dolchstosslegende sollte daher die mangelhafte Kohärenz der unterschiedlichen Nationen in den Streitkräften betonen – jenseits der Verratsrhetorik ehemaliger Offiziere, deren Entlastungsfunktion offenkundig ist, wirft die Geschichte der Streitkräfte in «Österreich-Ungarns letztem Krieg»3 die Frage auf, ob multinationale Armeen in der Moderne nicht grundsätzlich besonders verletzlich sind. So einfach, wie es die «kakanische» Variante der Dolchstosslegende suggeriert, lagen die Dinge dabei allerdings nicht. Das lässt sich gut am wichtigsten Belegstück dieser Denkschule zeigen, den Tschechen. Christian Reiter und Richard Lein haben detailliert nachgewiesen, dass von einer besonderen Unzuverlässigkeit tschechischer Soldaten keine Rede sein konnte. Führungsfehler oder schlechte Versorgung erklären die Fälle von Desertion, massenweiser Kapitulation oder Meuterei zumeist hinreichend. Nationale oder nationalistische Motive standen hingegen deutlich im Hintergrund, auch wenn der Mythos tschechischer Insubordination oder gar tschechischen Überläufertums als Massenphänomen sowohl der tschechischen Nationalbewegung als auch der Führung der k. u. k. Armee mehr als gelegen kam – aus entgegengesetzten Gründen, aber mit dem gleichen, die Erinnerungskultur lange prägenden Resultat.4 Rudolf Kucera hat allerdings auch konzise herausgearbeitet, dass die nationale Perspektive die Kriegserfahrung vieler tschechischer Soldaten doch immer stärker prägte, je länger der Krieg dauerte, je häufiger Diskriminierungserfahrungen wurden und natürlich auch je schlechter die Kriegslage erschien.5 Auch wenn es bei Soldaten aus den nichtprivilegierten Nationen der Doppelmonarchie immer wieder zu einzelnen Problemfällen kam, so blieben doch die Einsatzfähigkeit und der Gehorsam der Truppen über Jahre hinweg bemerkenswert stabil. Die Angst, die multiethnische Armee könnte rasch auseinanderbrechen, die mit dazu beigetragen hatte, 1914 den Krieg zu wagen, solange die Nationalisierung der Streitkräfte noch nicht weiter vorangeschritten war, erwies sich als unbegründet – zweifellos ein Fall von Ironie der Geschichte. Erst in der Schlussphase des Kriegs, als es auf eine erneute moralische wie materielle Mobilmachung anzukommen schien, erwies sich Österreich-Ungarn als vergleichsweise schwach, die Armee als nationalistischer Propaganda gegenüber zumindest teilweise anfällig. Mark Cornwall konnte jedoch zeigen, dass dieser Wandel eben wirklich erst sehr spät manifest wurde, trotz der antiösterreichischen Propagandakampagnen vor allem an der italienischen Front.6

      Das ist umso bemerkenswerter, als die Versorgungslage sich im Laufe des Kriegs, vor allem aber seit Herbst 1917 dramatisch verschlechterte. Dies galt nicht nur für das Hinterland, wo vor allem in der österreichischen Reichshälfte der Hunger immer schärfere Formen annahm, sondern es betraf zunehmend auch die Truppen der Habsburgermonarchie. Weder die militärisch abgestützte Ausplünderung der Ukraine, mit der sich etwa Wolfram Dornik befasst hat, noch die konsequente und in Massen auch erfolgreiche Exklusivnutzung des besetzten Serbiens als Speisekammer der Armee, wie Jonathan Gumz gezeigt hat, boten hier ausreichende Abhilfe.7 In der letzten Kriegsphase wurden die Lebensmittel so stark rationiert, dass an der Südwestfront Kampftruppen in Gefahr gerieten zu verhungern. Dass sich solche Bedingungen auch auf die Schlagkraft und schliesslich auf die Kampfmoral auswirkten, ist nachvollziehbar. Die Zerfallserscheinungen der k. u. k. Armee gegen Kriegsende waren mit grosser Sicherheit nicht nur von der Ungewissheit über den Fortbestand des Imperiums und von der Politisierung ethnisch-nationaler Konflikte verursacht, sondern auch der Erschöpfung der mangelhaft ernährten, bekleideten und mit Waffen, Munition und Transportmitteln versorgten Truppe geschuldet. Als Begründung für die Niederlage eignete sich der Topos von der entscheidenden Wirkung der ethnisch-politischen Konfliktlinien in Heer und Imperium, und er wurde von ehemaligen Offizieren der k. u. k. Armee gerne bemüht, aber selbst in der offiziellen Kriegsgeschichtsschreibung bestand die Einsicht: «Der grösste Feind des guten Geistes im Heere war – das muss immer wieder betont werden – die wirtschaftliche Verelendung der Soldaten. […] Hunger, Mangel am Nötigsten auf allen Gebieten und Krankheiten unterschiedlichster Art öffneten nur zu leicht den erdenklichsten [sic] Einflüssen die Türe zu den Soldatenseelen.»8

      Scheidet also die Schwächung durch nationalistische Strömungen als direkte Ursache für die vielen Rückschläge aus, die die k. u. k. Armee über den Gesamtverlauf des Kriegs hinweg erlitt, so harrt die Frage nach den Ursachen der gerade im Vergleich zum deutschen Verbündeten wenig erfolgreichen Kriegführung Österreich-Ungarn einer schlüssigen Antwort. Die ökonomischen Rahmenbedingungen, Probleme der zivilen Verwaltung oder die Koordinationsprobleme zwischen dem Königreich Ungarn und Österreich waren für die defizitäre Versorgungslage, die gegen Kriegsende in Teilen Österreichs und, wie erwähnt, selbst bei den Truppen an der Front katastrophale Züge annehmen konnte, in erster Linie verantwortlich. Die k. u. k. Armee und ihre Führung hatte darauf eher indirekten Einfluss,