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An der Front und Hinter der Front - Au front et à l'arrière


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Agrarprodukte, fanden den Weg über den Atlantik. In den USA stieg die Eisen- und Stahlproduktion um 76 %. Gleichzeitig verschuldeten sich die Alliierten gegenüber den USA in exorbitanter Weise.31 Vor diesem Hintergrund wäre eine Niederlage der Alliierten für die USA einer wirtschaftlichen und finanziellen Katastrophe gleichgekommen. Selbst die vage Aussicht auf einen Kompromissfrieden wirkte abschreckend. Die Friedensinitiative von Präsident Woodrow Wilson löste im Dezember 1916 an der Wall Street einen Crash aus.

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      Türkische MG-Truppen bei Tel esh Sheria (Gaza-Stellung) im Jahr 1917. (Library of Congress)

      Aber eine aktive Teilnahme am Weltkrieg war in den USA alles andere als populär. Im November 1916 errang Wilson seine Wiederwahl als Präsident mit dem Slogan: «He kept us out of war». Doch die Provokationen von deutscher Seite liessen ihm dann keine andere Möglichkeit, als in den Krieg einzugreifen. Allerdings vermieden die USA ein offenes Bündnis mit den Alliierten und traten nur als «Assoziierte Macht» in den Krieg ein.

      Im Sommer 1917 landete General John J. Pershing mit einer kleinen Expeditionsarmee in Frankreich. Anschliessend besuchte er die Front. Was er dort sah, erschreckte ihn sehr. Die französischen und die britischen Truppen waren am Ende ihrer Kraft. Pershing verlangte deshalb von seiner Regierung die Entsendung von Millionen amerikanischer Soldaten nach Europa, und er bekam diese Männer. Dafür wurde in den USA die allgemeine Wehrpflicht eingeführt. Zudem mobilisierten neue Behörden die Wirtschaft für den Krieg. Massive Propaganda stimmte die Bevölkerung auf den Krieg ein. Gleichzeitig wurden die bürgerlichen Freiheiten rücksichtslos eingeschränkt und jegliche Opposition brutal eingeschüchtert. Es kam zu willkürlichen Verhaftungen und grotesken Verurteilungen. Die deutsche Minderheit sah sich extremen Repressalien ausgesetzt.32 Doch der Kriegseinsatz wurde trotz der 126 000 gefallenen Soldaten ein Erfolg. Die USA waren am Ende die einzige wirkliche Siegermacht und stiegen endgültig zur Weltmacht auf.33

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      Kolonialtruppen aus Französisch-Indochina beim Aussteigen im Lager Saint-Raphael. (Bibliothèque Nationale de France)

      Kriegsschauplätze

      Europa war zwischen 1914 und 1918 der Hauptkriegsschauplatz. Dort spielte sich vier Jahre lang ein erschütterndes Drama ab, das Millionen von toten und verwundeten Soldaten forderte. Schlachten, wie sie die Welt noch nie gesehen hatte, welche teilweise Monate andauerten, wurden zum Kennzeichen des Kriegs in Europa. Doch darüber gerät allzu leicht in Vergessenheit, in welchem Ausmass und mit welch gravierenden Folgen auch in anderen Teilen der Welt gekämpft wurde. Schon die Kämpfe in Osteuropa gelten mitunter als «vergessene Front».34 Das trifft erst recht für die Kämpfe ausserhalb Europas zu. Dabei waren sie wichtig. Auf den Weltmeeren herrschte Krieg, was den internationalen Handel störte. Der amerikanische Kontinent blieb zwar von grösseren Kampfhandlungen verschont, ebenso wie weite Teile Asiens, Afrikas und Ozeaniens. Aber die indirekten Auswirkungen des Kriegs, vor allem wirtschaftlicher Natur, waren auch ausserhalb der unmittelbaren Kampfzonen massiv. Zudem wurden von dort Millionen von Soldaten und Arbeitern zu den Kriegsschauplätzen verschickt.

      Letztere lagen eben nicht nur in Europa. Der ganze Nahe Osten stand in Brand. In Ostasien wurde zumindest kurzzeitig gekämpft. Zentralasien wurde durch den Aufstand von 1916 zum Schauplatz einer humanitären Tragödie. In Afrika dauerten die Kämpfe um die deutschen Kolonien zum Teil Jahre. Dies galt besonders für Ostafrika. Hier brach General Paul von Lettow-Vorbeck befehlswidrig einen harten Krieg vom Zaun, für den Hunderttausende von Afrikanern, vor allem als Träger und Arbeiter, von beiden Seiten zumeist zwangsrekrutiert wurden. Womöglich mehr als 300 000 Träger kamen auf den brutalen Märschen infolge schlechter Ernährung, Krankheiten und des ungesunden Klimas ums Leben. In manchen Regionen Ostafrikas starben bis zu zehn Prozent der Bevölkerung, sogar ausserhalb der Kampfzonen.35 Soldaten aus verschiedenen Kontinenten waren im Einsatz. Die Kämpfe dauerten bis Ende 1918 und verwüsteten weite Teile Deutsch-Ostafrikas, Nordrhodesiens und Mozambiques. Das war die grausame Realität hinter Lettow-Vorbecks «Heia Safari».36

      Mit dem Waffenstillstand vom 11. November 1918 waren die Kämpfe keineswegs beendet. Russland versank für Jahre in einem schauerlichen Bürgerkrieg, dem ein Krieg gegen das wiedererstarkte Polen folgte. Auch anderswo in Europa gab es Aufstände und Bürgerkriege. Im Nahen Osten folgten zum Teil massive militärische Auseinandersetzungen um das Erbe des Osmanischen Reiches. In Libyen wurde mit extremer Gewalt die im Weltkrieg geschwächte Kolonialherrschaft Italiens wiederhergestellt. Die Pariser Vorortverträge und der neu gegründete Völkerbund erwiesen sich als ungeeignet, eine dauerhafte Friedensordnung zu etablieren. Zwanzig Jahre später stand die Welt erneut in Flammen. Die Weltkriege des 20. Jahrhunderts waren ein hoher Preis für den Prozess der Globalisierung, welcher die Welt vernetzt hatte.

      Fazit

      Die Publikationen im Hinblick auf den hundertsten Jahrestag des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs haben eine Auseinandersetzung über die Ursachen dieses Kriegs ausgelöst, die in ihrer Heftigkeit schon fast an die Fischer-Debatte der 1960er-Jahre erinnert. Christopher Clark wollte in seinem Bestseller eigentlich nur der Frage nachgehen, wie Europa in diesen Krieg geriet. Die durch Polemik und Propaganda belastete Kriegsschuldfrage wollte er bewusst ausklammern.37 Doch das erwies sich letztlich als unmöglich, weil sich eben die Frage nach den Verantwortlichkeiten für Millionen von Toten dennoch stellt.38 Dabei nahmen die Entscheidungsprozesse im Sommer 1914 mitunter geradezu absurde Züge an.39 Doch die Entscheidungsträger handelten nicht in einem Vakuum. Vielmehr standen sie unter dem Druck struktureller Rahmenbedingungen, die man als langfristige Kriegsursachen begreifen kann. Die strukturellen, langfristigen Kriegsursachen gegeneinander abzuwägen ist eine äusserst schwierige Aufgabe, die hier nicht weiter verfolgt werden soll. Häufig werden in diesem Zusammenhang allerdings der Imperialismus, die Rivalität der europäischen Mächte in Übersee und die sich daraus entwickelnden Konkurrenzkämpfe erwähnt. Sicherlich spielte all dies in der internationalen Politik vor 1914 eine erhebliche Rolle. Doch im Licht der Forschung der letzten Jahre kann man wohl nicht davon sprechen, dass die Auseinandersetzungen um Kolonien und Märkte zu den entscheidenden Ursachen des Ersten Weltkriegs gehörten. Zwischen dem Deutschen Reich und Grossbritannien zeichnete sich sogar eine kolonialpolitische Annäherung ab.40

      So lagen denn die Kriegsursachen primär in Europa. Doch angesichts der bereits weit vorangeschrittenen Globalisierung und der Effekte der europäischen Expansion konnte dieser Krieg nicht auf Europa beschränkt bleiben. Wie schon um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert resultierte ein allgemeiner Krieg in Europa zwangsläufig in einem Weltkrieg. Damit war dieser Krieg aber auch keineswegs mehr eine rein europäische Veranstaltung. Die Entwicklungen in Aussereuropa wirkten mittelbar und unmittelbar auf Europa zurück: politisch, wirtschaftlich, militärisch und auch kulturell. Letztlich veränderte dieser Krieg in zahlreichen Wechselwirkungen die Welt. Es war auch bezeichnend, dass nach jahrelangem entscheidungslosem Ringen, in dem sich Europa zugrunde richtete, es des Eingreifens einer aussereuropäischen Macht, nämlich der USA, bedurfte, um dem blutigen Treiben ein Ende zu setzen. Und es mag kein Zufall sein, dass gerade die Führungen jener Mächte, die es nicht schafften, diesen Krieg global zu führen, sondern primär regional fixiert blieben – also Russland, das Osmanische Reich, Österreich-Ungarn und das Deutsche Reich –, zu den unmittelbaren Verlierern gehörten. Frankreich und vor allem die angelsächsischen Mächte mit ihrem direkten Zugang zum Weltmarkt waren hier in einer ungleich besseren Position.

      Vor diesem Hintergrund und angesichts des begrüssenswerten Trends zu einer transnationalen Geschichtsschreibung ist eine auf Europa fixierte Historiografie des Ersten Weltkriegs nicht mehr adäquat. Sie war es eigentlich nie, denn dieser Krieg ist ohne seine globale Dimension gar nicht zu verstehen. Damit aber eröffnen sich neue Forschungsfelder und neue Kooperationsmöglichkeiten mit Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen aus vielen Teilen der Welt. Der Anfang ist gemacht, und die Zukunft verspricht noch viele neue Einsichten und Erkenntnisse zu liefern. Man darf darauf gespannt sein.