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An der Front und Hinter der Front - Au front et à l'arrière


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ist die Lebensmittelversorgung ohnehin nicht geeignet. Die Rüstungswirtschaft der Habsburgermonarchie wies Schwächen auf und konnte den Bedarf nicht immer decken. Dies galt in quantitativer wie in qualitativer Hinsicht. Bei Kriegsbeginn fehlte es an Gewehren, bald gab es auch Engpässe beim Munitionsnachschub für die Artillerie, und vor allem in der Anfangsphase galt es, möglichst schnell zur Ausstattung der gegnerischen Truppen mit Feldgeschützen aufzuschliessen.9 Unter dem Zeitdruck des Kriegs wurde dem raschen Schliessen von Rüstungslücken der Vorzug vor technischen Innovationen gegeben, etwa bei der Wahl der Geschütze oder der Bereitstellung von leichten Maschinengewehren.10 Wie Christian Ortner gezeigt hat, liess sich allerdings relativ bald gerade die Geschütz- und Munitionsproduktion steigern. Die katastrophale Unterlegenheit bei der Bestückung der Verbände mit Feldartillerie, die zu Anfang vor allem an der Galizien-Front verheerende Folgen zeitigte, konnte behoben werden. Mit 2600 Geschützen rückte das Feldheer 1914 aus; Ende 1915 waren bereits über 4500 Geschütze vorhanden, davon allein 2300 im Südwesten; Ende 1916 waren es insgesamt 6200, bei Kriegsende sogar 8500 Geschütze. Auch die Ausstattung mit Maschinengewehren war von Beginn an gut und umfasste Ende 1915 2800 Stück. Erst die letzten eineinhalb Kriegsjahre führten dann wieder zu neuen Engpässen.11

      Anders als im Fall der Lebensmittelversorgung bestand vor allem bei der Artillerierüstung auch schon in den ersten Kriegsmonaten ein gravierender Nachteil für die Operationsfähigkeit der k. u. k. Armee und nicht erst im letzten Kriegsjahr. Die Verantwortung für das Fehlen moderner Feldhaubitzen und die geringe Ausstattung mit Feldkanonen trugen keineswegs nur die sparsamen Politiker der Vorkriegszeit, sondern auch die Militärführung, die bei der Ressourcenallokation andere Prioritäten gesetzt hatte, die sich nicht zuletzt aus der Absicht erklären lassen, auf einen Krieg gegen Italien vorbereitet zu sein.12 Für das zweite, dritte und selbst für das vierte Kriegsjahr waren die so bereits vor 1914 angelegten Defizite der Artillerierüstung aber weniger entscheidend. Bei der Personalrüstung lagen die Dinge zwar anders, aber auch hier galt, dass zumindest bis zur Wehrreform 1912 den Politikern die Schuld für das geringe Kräfteaufgebot 1914 zugesprochen werden konnte – ganz im Sinn Conrads und der früheren Armeeelite urteilte Maximilian Ehnl in einem Ergänzungsheft zum offiziellen österreichischen Weltkriegswerk daher:

      «Die zur Bewilligung des Rekrutenkontingents berufenen Volksvertretungen beider Reichshälften haben in unverantwortlicher Kurzsichtigkeit und Verständnislosigkeit nie die volle Ausnützung der Volkskraft auch schon im Frieden ermöglicht. Mit einem jährlichen Ersatz von 159 500 Mann für das k. u. k. Heer, von 7200 Mann für die bosnisch-herzegowinischen Truppen, von 24 717 Mann für die k. k. Landwehr und von 25 000 Mann für die k. u. Honvéd war an eine Erhöhung der Stände nicht zu denken; man musste froh sein, wenn das Bestehende erhalten und die für zeitgemässe Gestaltung notwendigen Neuaufstellungen an schwerer Feldartillerie und technischen Truppen durchgeführt werden konnten.»13

      Die – durchaus zutreffend geschilderten – Folgen der verspätet einsetzenden und nicht sehr weitreichenden Verstärkung der Personalrüstung erwiesen sich in der Tat als schwerwiegende Belastung für die Kriegführung der Habsburgermonarchie, und zwar mindestens für die ersten drei Kriegsjahre. Allerdings waren die niedrigen Stände auch darauf zurückzuführen, dass sich Österreich-Ungarn bereits im Frieden verhältnismässig (zu) viele Verbände leistete.14 Dementsprechend wurden während des Kriegs im Vergleich zu Deutschland nur spät und in geringem Umfang neue Divisionen aufgestellt. Bei der relativ überdehnten Organisationsstruktur führte die geringe Anzahl ausgebildeter Rekruten auch dazu, dass Österreich-Ungarn über keine zweite Linie verfügte.15 Erst die Wehrreform von 1912 eröffnete überhaupt die Aussicht, auch mit einer so grossen Zahl von ausgebildeten Reserven rechnen zu können, dass sich schon bald die Frage nach einem entsprechenden Organisationsrahmen stellte. Conrad forderte denn auch die Schaffung einer Reservearmee. Bei den Planungen zeigte sich der Generalstab zurückhaltender als die zuständige 10. Abteilung des Kriegsministeriums, die bereits für 1915 die Aufstellung von Reservetruppen ins Gespräch brachte, während der Generalstab im Januar 1914 davon ausging, ab 1918/19 erste Feldformationen und ab 1925 voll ausgestaltete Reservedivisionen bereitstellen zu können.16 Noch nach den ersten Feldzügen, Anfang November 1914, regte der Kriegsminister an, aus Besatzungen der Donaubrückenköpfe zwei bis drei Reservekorps zu bilden. Conrad lehnte dies ab, weil es ihm «viel rationeller erschiene, alles, was wir an Offizieren und Mannschaften verfügbar hätten, in die bestehenden Formationen einzureihen, um diese auf möglichst hohem Stande zu erhalten und deren grosse, durch Gefechts- und Krankheitsverluste verursachte Abgänge zu decken.»17

      Weil bis zum Kriegsausbruch jenseits mittel- bis langfristiger Überlegungen noch wenig passiert war, wurde nun «der Versuch unternommen, mit den Marschformationen eine Art Reservearmee zu improvisieren, indem man sie in Marschregimenter und Marschbrigaden formierte und als Kampftruppe verwendete. Der Versuch zeitigte kein günstiges Ergebnis; unzulänglich ausgerüstet – sie besassen keine Maschinengewehre und so gut wie keine Artillerie – konnten sie trotz bestem Willen, Hingabe und Opfermut den Anforderungen als Kampftruppe nicht gewachsen sein und gingen überdies zum grossen Teil infolge beträchtlicher Verluste ihrem eigentlichen Zwecke, dem Ersatz der Verluste bei ihren Truppen, verloren.»18 Das Experiment wurde rasch beendet und nun stand zusammen mit dem Landsturm auch noch das ganze übrige Reservoir Ausgebildeter für den Fronteinsatz zur Verfügung. «Einen Vorteil hatte die Sache» daher «allerdings: Es standen verhältnismässig zahlreiche Ersätze für eingetretene Verluste zur Verfügung. Diese waren nun freilich bedeutend.»

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      Einrücken von Ersatztruppen in Folwarki Waga, vermutlich 1916. (Österreichische Nationalbibliothek)

      In der Tat: Mit insgesamt 2,7 Millionen Offizieren und Soldaten lagen die Verluste schon im ersten Kriegsjahr besonders hoch, aber auch im zweiten Kriegsjahr mit 1,8 Millionen sowie im dritten und vierten Jahr mit zusammen rund 2,9 Millionen waren die vom Krieg gerissenen Lücken in den Truppenständen und im Offizierskorps gewaltig. In Kämpfen fielen insgesamt 530 000 Mann, davon über 270 000 schon in den ersten zwölf Monaten des Kriegs.19 Den eigentlichen Tiefpunkt an militärischer Schlagkraft erlebten Österreich-Ungarns Landstreitkräfte Anfang 1915. Gerade einmal eine gute halbe Million «Feuergewehre» – also einsatzfähige Kämpfer – zählte die Militärstatistik. Die desaströse Karpatenoffensive forderte dann so viele Opfer, dass bis zum Frühjahr 1915 bereits 2 Millionen Verluste zu beklagen waren.20 Diese Lücken zu füllen wurde zur Herausforderung der militärischen wie der zivilen Administration. Es genügte nicht, die jeweils neu leistungspflichtig werdenden Jahrgänge zu erfassen und möglichst weitgehend einzuziehen, sondern es wurde nun nötig, alle älteren Jahrgänge nachzumustern und den Pool der zahlreichen nicht Ausgebildeten möglichst komplett zu nutzen, aber auch die Landsturmpflicht 1915 um acht Jahre zu verlängern. Unter Einbeziehung von Genesenen, die wieder verwendungsfähig geworden waren, konnten so in den ersten drei Kriegsjahren jeweils rund 2 Millionen Mann aufgebracht werden. Ganz selbstverständlich wurde der Begriff «Menschenmaterial» benutzt, wenn es um die solcherart sichergestellten Ressourcen zur Fortsetzung des Krieges ging – ganz analog zum Waffen- und Munitionsmaterial, das ebenfalls in grossem Umfang verbraucht wurde und zu ersetzen war, sollte ein Zusammenbruch der Front verhindert werden.

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      Friedhof in Mahala, um 1915. (Österreichische Nationalbibliothek)

      Es fehlte zunehmend auch an Offizieren. Die hohen Verluste unter den an der Front eingesetzten Berufsoffizieren – von denen jeder fünfte fiel –, die häufig über gute oder wenigstens leidliche Kenntnisse in mehreren Regimentssprachen verfügten, machten zudem die Kommunikation zwischen Vorgesetzten und Untergebenen nicht leichter. Erschwerend wirkte sich aus, dass auch das Berufsunteroffizierskorps schon in der Anfangsphase des Kriegs viele Tote und Verletzte zu beklagen hatte und damit ein wesentliches Bindeglied zwischen den Sprachkulturen der Truppe und der kulturell zumeist deutsch, gelegentlich auch magyarisch geprägten Militärelite fehlte. Reserveoffiziere mussten schon gegen Ende 1914 die Lücken im Führungspersonal füllen. Bei ihnen war die Ausrichtung auf die Gesamtmonarchie, das Bewusstsein für die übernationalen