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An der Front und Hinter der Front - Au front et à l'arrière


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man die vielen Gesamtdarstellungen, die in diesem Zusammenhang veröffentlicht wurden, so fällt auf, dass Europa noch immer im Mittelpunkt der Betrachtung steht. Das ist nicht weiter verwunderlich, denn der Erste Weltkrieg fand vornehmlich in Europa statt, ging von diesem Kontinent aus und wurde letztlich auch auf den (west-)europäischen Schlachtfeldern entschieden. Hier fanden auch die gewaltigsten Schlachten statt, wie etwa in Verdun, Passchendaele und an der Somme.

      Es ist auch der erfreuliche Trend zu beobachten, dass selbst die eurozentrische Geschichtswissenschaft die Geschehnisse ausserhalb Europas zunehmend zur Kenntnis nimmt und nicht mehr nur einigen exotischen Spezialisten überlässt.1 Die monumentale Cambridge History of the First World War, die sich einem transnationalen Zugang verpflichtet, widmet wesentliche Teile ihrer drei Bände den Vorgängen jenseits des europäischen Kontinents.2 Es lässt sich sogar behaupten, dass die «Entdeckung» der globalen Dimension des Ersten Weltkriegs die vielleicht wichtigste Neuerung in der Erforschung dieses Konflikts darstellt. Auf diesem Gebiet sind herausragende Publikationen erschienen, die bislang weitgehend unbekannte oder wenig beachtete Zusammenhänge herausgearbeitet haben.3 Der folgende Aufsatz soll zur globalen Weltkriegsforschung in aller gebotenen Kürze einen kleinen Beitrag leisten und der Leserschaft demonstrieren, wie wichtig und interessant der Blick über den europäischen Tellerrand hinaus ist.

      Dass die Geschichtswissenschaft lange Zeit in einer Mischung aus nationaler Verengung und Eurozentrismus die globale Dimension des Ersten Weltkriegs ignoriert hat, ist eigentlich erstaunlich. Denn schon im Vorfeld dieses Konfliktes prognostizierten informierte Zeitgenossen einen Weltkrieg, sollte es zu einer allgemeinen gewaltsamen Auseinandersetzung zwischen den Grossmächten kommen. Bereits zu Jahresbeginn 1887 vertraute der künftige deutsche Generalstabschef Alfred Graf Waldersee seinem Tagebuch die Feststellung an, dass sich ein allgemeiner Krieg zu einem Weltkrieg entwickeln würde.4 Dies blieb keineswegs eine Einzelstimme. Vor allem unter Marineoffizieren wurde der globale Charakter eines künftigen Kriegs international debattiert.5 Aber auch Zivilisten waren sich dieser Gefahr bewusst. So bemerkte Reichskanzler Theobald von Bethmann-Hollweg am 6. Juni 1914 gegenüber dem nationalliberalen Parteiführer Ernst Bassermann: «Wenn es Krieg mit Frankreich gibt, marschiert der letzte Engländer gegen uns. Wir treiben dem Weltkrieg zu.»6 Noch in der Nacht vom 30. zum 31. Juli 1914, als der Kriegsausbruch nicht mehr zu verhindern war, erklärte Generalstabschef Helmuth von Moltke seinem verdutzten Adjutanten Hans von Haeften:

      «Dieser Krieg wird sich zu einem Weltkriege auswachsen, in den auch England eingreifen wird. Nur Wenige können sich eine Vorstellung über den Umfang, die Dauer und das Ende dieses Krieges machen. Wie das alles enden soll, ahnt heute niemand.»7

      Die Befürchtungen im Hinblick auf das Ausmass des bevorstehenden Krieges waren also gross. Was genau sie unter einem Weltkrieg verstanden, liessen diese Herren allerdings im Dunkeln. Sicher scheint jedoch, dass sie alle unter dem Eindruck der sich seit dem 19. Jahrhundert enorm beschleunigenden Globalisierung standen. Dies soll nun das Thema der folgenden Ausführungen sein. Es wird darum gehen, den Weltkrieg 1914 bis 1918 als globales Ereignis zu betrachten und in die Geschichte der Globalisierung, die zumindest bis 1914 vor allem eine Geschichte der europäischen Expansion war, einzubetten. Dabei wird es auch nötig sein, den Begriff «Weltkrieg» genauer zu fassen und einen Blick auf die generelle Geschichte der Weltkriege zu werfen. Den Kriegsverlauf zwischen 1914 und 1918 in Europa werden wir bei alldem nur am Rand streifen, denn das meiste in diesem Kontext ist ja bekannt. Stattdessen soll die aussereuropäische Welt im Mittelpunkt stehen, denn hier gibt es manch Überraschendes zu entdecken. Vor allem aber können der Verlauf und die Ergebnisse dieses Kriegs ohne die globale Dimension gar nicht verstanden werden.

      Globalisierung und Weltkriege

      Die Geschichte der Globalisierung im modernen Sinne war vor allem die Geschichte der europäischen Expansion. Sie nahm ihren Anfang, als Ende des 15. Jahrhunderts Vasco da Gama den Seeweg nach Indien fand und Christoph Kolumbus den Atlantik überquerte und dort eine für die Europäer neue Welt entdeckte. In den folgenden Jahrzehnten und Jahrhunderten griffen europäische Entdecker, Abenteurer, Kaufleute, Soldaten, Eroberer und schliesslich auch Wissenschaftler immer weiter in die Welt aus und machten den Planeten europäischen Interessen zugänglich. Was sie dabei erreichten, war vor allem die Vernetzung von Völkern, Regionen, Zivilisationen, Wirtschaftsräumen und Kulturen. Menschen reisten wie nie zuvor im globalen Massstab. Wanderungsbewegungen, die in der älteren Steinzeit noch Jahrtausende gedauert hatten, benötigten nun nur noch Jahrzehnte. Mit dem technischen Fortschritt und dem Ausbau der Infrastrukturen beschleunigte sich dieser Prozess zunehmend. Die Welt wurde zum Spielfeld der Europäer, die aber gleichzeitig auch Nichteuropäer in diesen globalen Austauschprozess einbezogen – Letztere allerdings häufig unfreiwillig. So wurden bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts etwa zehn Millionen Menschen aus Afrika als Sklaven über den Atlantik verschifft.8

      Überhaupt war die Geschichte der europäischen Expansion alles andere als ein friedlicher Vorgang. Ganze Völker und Kulturen fielen den Eroberern zum Opfer. Andere wurden unterjocht, versklavt und ausgebeutet, wobei es allerdings auch durchaus Profiteure unter den Einheimischen gab. Eroberungen und Zerstörungen waren jedoch keineswegs alles. Es entstand ein weltweites Wirtschaftsnetz, das immer enger verknüpft wurde. Signifikant und langfristig von grösster Bedeutung war die Ansiedlung von Europäern in Gebieten ausserhalb des eigenen Kontinents. All dies wurde durch die Revolution des Transport- und Kommunikationswesens im 19. Jahrhundert rasant beschleunigt. Jetzt erst kam es zu Massenauswanderungen aus Europa nach Nord- und Südamerika, Südafrika, Australien, Neuseeland, Sibirien, Zentralasien und anderen Regionen. Dadurch entwickelte sich jene europäisierte Welt auf anderen Kontinenten, die den Gang der Geschichte fortan entscheidend beeinflussen sollte.9 Gleichzeitig wurden im illegalen Sklavenhandel noch einmal drei Millionen Menschen aus Afrika nach Amerika verschleppt.10 Überhaupt nahm der Prozess der Globalisierung erst im 19. Jahrhundert so richtig Fahrt auf.11 Damit entstand jene Welt, die 1914 in Flammen aufging.

      Die europäische Expansion war in weiten Teilen ein gewaltsamer Prozess. Kriege gegen aussereuropäische Gruppen, Völker und Staaten kamen immer wieder vor. Dabei wurden Kolonien und imperialistische Einflusszonen errichtet. Dies wiederum führte zu immer neuen Konflikten zwischen europäischen Mächten in Übersee. Zahlreiche Kriege zwischen Europäern und ihren indigenen Verbündeten ausserhalb Europas waren die Folge. Spanier, Portugiesen, Franzosen, Briten, Niederländer und andere Europäer bekämpften sich in fernen Gefilden. Derartige Kämpfe griffen auch auf Europa über oder gingen von europäischen Konflikten aus. Dabei entwickelte sich potentiell die Gefahr einer ganz neuen Art von Kriegen: Weltkriege. Kriege in Europa und Aussereuropa, insbesondere aber auch regionale Konflikte ausserhalb des europäischen Kontinents konnten zu einem einzigen globalen Krieg vernetzt werden. Seit dem 16. Jahrhundert führten europäische Mächte wiederholt mehrere globale Kriege gegeneinander. Der Siebenjährige Krieg Mitte des 18. Jahrhunderts demonstrierte dann die Möglichkeit eines Weltkriegs, der auf mehreren Kontinenten unter Einbeziehung aller Grossmächte und auch in Europa geführt wurde.12

      Ob dieser Krieg bereits wirklich ein Weltkrieg war, darüber kann man füglich streiten. Doch um einen solchen Streit zu führen, muss man sich erst einmal über die Frage einigen, was wir eigentlich unter einem Weltkrieg verstehen. Die Geschichtswissenschaft hat hier ein grundsätzliches Problem. Klare Begriffsdefinitionen sind nämlich in diesem Fach weitgehend unmöglich. Friedrich Nietzsche hat diesbezüglich treffend geäussert: «[…] definierbar ist nur das, was keine Geschichte hat.»13 Es macht daher Sinn, die Elemente eines Weltkriegs zu bestimmen, statt nach einfachen Definitionen zu suchen. Weltkriege wären demnach globale militärische Auseinandersetzungen, die regionale Konflikte in einen einzigen Krieg vernetzen. Sie ziehen direkt oder indirekt den grössten Teil der Welt in den allgemeinen Krieg hinein. Da aber Europa das Zentrum des Globalisierungsprozesses bildete, war es ein allgemeiner Krieg auf dem europäischen Kontinent, der die Voraussetzung für einen Weltkrieg darstellte. Andererseits spielte die aktive Beteiligung aussereuropäischer Kräfte eine zentrale Rolle bei der Herausbildung von Weltkriegen. Dies geschah auf zwei Ebenen, nämlich einerseits durch die Intervention von souveränen nichteuropäischen Staaten und andererseits durch die Mobilisierung von Gesellschaften ausserhalb Europas