Reinhold Keiner

Hanns Heinz Ewers und der Phantastische Film


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bei Kinematographenaufnahmen, und der ‚Deutsche Bühnenverein‘ veröffentlichte im Juni 1912 eine ‚Denkschrift‘ gegen das Kino. Als einen Monat später, im Juli 1912, zur Bekämpfung der Kinogegner ein ‚Agitationskomitee der kinematographischen Fachpresse‘ gegründet wurde, berief man auch Hanns Heinz Ewers in ein so genanntes Ehren-Komitee, zu dem u.a. auch – man musste ja auf gesellschaftliche Reputation bedacht sein – zwei Theaterdirektoren, einige Herausgeber und Redakteure von Zeitungen und Zeitschriften, Pastoren, Rechtsanwälte und Lehrer zählten. Das ‚Agitationskomitee ...‘ verfügte u.a. über eine Zensurkommission, die zu harte Entscheidungen der Zensurbehörden durch mündliche Verhandlungen bei gegenseitigem Entgegenkommen abzuändern und für die Filmfabrikanten günstiger zu gestalten versuchte; es kämpfte auch gegen die steuerliche Willkür der Behörden. (41) Ewers sprach auf Demonstrations-Versammlungen, die in Berlin und anderen großen Städten Deutschlands abgehalten wurden, wobei er u.a. betonte, dass die Bestrebungen der Theaterleiter gegen ‚den‘ Kino nur dem Brotneid entspringen würden. (42) Als sich im Jahr 1913 das Präsidium des ‚Deutschen Bühnenvereins‘ sogar mit einer Petition an die ‚Handels- und Gewerbekommission‘ des Abgeordnetenhauses um Einführung von Maßnahmen zur Bekämpfung von Missständen auf dem Gebiete der Kinematographen-Theater richtete – die die ‚Kommission‘ der Regierung zur Berücksichtigung überwies –, zog das ‚Agitationskomitee ...‘ mit einer eigenen ‚Denkschrift‘ nach, die sich auf eine Reihe von so genannten Sachverständigengutachten, u.a. auch von Hanns Heinz Ewers, berief. Diese Gutachten betonten natürlich alle einmütig, dass der Kinematograph als ein neues Ausdrucksmittel der Kunst anzusehen sei. (43)

      Ewers Interesse und sein Eintreten für die Belange der Kinematographie in dem um diese Zeit tobenden ‚Kulturkampf‘ gingen sogar soweit, dass er in die Leitung des im März 1913 eröffneten Kinos ‚Cines-Nollendorf-Theater‘ am Nollendorfplatz in Berlin eintrat. In seiner Conférence bei der Eröffnung polemisierte er gegen einen gegen das Kino gerichteten Artikel eines Professors, den dieser im ‚Berliner Tageblatt‘ veröffentlicht hatte, und er wandte sich gegen die ständige ablehnende Haltung des sozialdemokratischen ‚Vorwärts‘ gegenüber den Kinematographen-Theatern. „Mit einem pathetisch gerufenen ‚Durch!‘ schloß Ewers seine Ansprache“ (44) , die in der Presse nicht ohne Widerhall blieb – dazu war er schon zu sehr ‚Institution‘ im Lager der Kinointeressierten und -begeisterten:

      „Was flimmert dort in der Höhe? Ist es die Nielsen? Ist‘s der Lindner? (korrekt: Linder, R.K.) Ist es gar der Nauke? Es ist der Ewers. (Telegramm – Adresse: Filmewers.) Hanns Heinz Ewers, Doktor und Dichter, der ‚wärmste Fürsprecher des Filmwesens, der dem neueröffneten Kino durch eine dityrambische Rede die höhere Weihe gab.‘ Auch sonst geht es abwärts. Das Schicksal setzt die Kurbel und den Ewers an ... Ich glaube an Prädestination und so glaube ich auch, dass es Menschen gibt, die Kraft einer höheren Bestimmung flimmern müssen. Ob sie in Berlin auf Kamelen oder am Ganges auf der Muttersprache reiten; ob sie mit Satan, ob mit Buddha oder Mosse handeln – einerlei: sie flimmern.“ (45)

      Auch die Karikaturisten fanden in Ewers mittlerweile ein dankbares Objekt für ihre Zeichnungen, so veröffentlichten sowohl das ‚Berliner Tageblatt‘ (46) als auch die Zeitschrift ‚Ulk‘ (47) nach der Eröffnung des ‚Cines‘ die nachstehende Karikatur:

ulk.jpg

      Inwieweit Ewers auf die Programmgestaltung des ‚Cines‘ Einfluss nahm und/oder welche Funktionen er sonst versah, lässt sich heute nicht mehr nachvollziehen; vermutlich war er sogar nur in die Leitung eingetreten bzw. berufen worden, um das Prestige des Kinos zu erhöhen und neue Zuschauerschichten mit seinem Namen und Renommee anzulocken. Hanns Heinz Ewers war zu dieser Zeit, auch durch den Erfolg seines 1911 veröffentlichten Romans ‚Alraune‘, auf der Höhe seines literarischen Ruhms und seiner gesellschaftlichen Bekanntheit.

      Die Manuskriptarbeiten für die Film-Gesellschaften ‚Deutsche Bioscop-Gesellschaft‘ und ‚Eiko-Film GmbH‘ 1913/14

      Die Möglichkeit, seine bislang nur theoretisch geäußerten Ansichten in die Praxis umzusetzen, hatte der Direktor der Berliner Filmfirma ‚Deutsche Bioscop-Gesellschaft‘ Erich Zeiske (1), Ewers bereits im Jahr 1912 angeboten. Schließt man sich der Schilderung von Ewers an, die dieser selbst von dem Vorgang gibt, so nahm ihn Zeiske mit hinaus in die Ateliers nach Neubabelsberg. „Ein paar kleine Regisseure drehten dort mit kleinen Schauspielern und Statisten Zehnminutenfilms, zu denen sie selbst die Texte schrieben, die an Kindlichkeit ihresgleichen suchten. (...) Der Betrieb da draußen war in ausgezeichneter Ordnung: ...“ (2) Interessant ist, dass Ewers sich gegenüber der Gesellschaft nicht nur darauf verpflichtete, acht Filme zu schreiben, zehn Filme sollte er auch inszenieren (3) – und: im selben Jahr besuchte er auch die Filmstudios von Pathé und Gaumont in Paris, um sich dort über den aktuellen Stand der Filmtechnik zu informieren!

      Eine nennenswerte Mitarbeit von anderen Schriftstellern in der Kinoindustrie hatte bisher immer noch nicht stattgefunden. Anregungen zur Einbeziehung der Schriftsteller und namhafter Theater-Schauspieler waren auch von einigen ‚Kino-Reformern‘, die dem Spielfilm – im Gegensatz zu der Mehrzahl dieser ‚Reformer‘ – freundlich gegenüberstanden, ausgegangen; die so genannten Kino-Reformer rekrutierten sich weitgehend aus Kreisen der Lehrerschaft und begutachteten den Film von ihrer angeblich höheren Warte der Literatur und Pädagogik aus. Ihr Impetus wurde von den Film-Produzenten nicht zuletzt deshalb aufgenommen, weil man auf die Gewinnung neuer bürgerlicher Zuschauerschichten spekulierte. Ende 1912 kündigte die Filmfirma ‚Nordische Films-Co.‘ an, dass von nun an die namhaftesten deutschen Schriftsteller, darunter Gerhart Hauptmann (1862-1946), Max Halbe (1865-1944), Herbert Eulenberg (1876-1949) und Ernst von Wolzogen, für diese Gesellschaft ‚Autoren-Films‘ schreiben würden; Sinn und Zweck sei die „Veredelung der Kinokunst“ und die „Vervollkommnung des Kinodramas“. (4)

      Wenig später meldete sich auch die ‚Deutsche Bioscop-Gesellschaft‘ zu Wort; unter dem Motto: „Films berühmter Autoren sind die Zukunft des Kinos!“ (5) – vermeldete sie in Anzeigen, die in den Filmzeitschriften erschienen, dass sie sich das alleinige Bearbeitungs- und Aufführungsrecht der Werke u.a. von Max Kretzer (1854-1941), Hans Land, Hanns Heinz Ewers, Fritz Mauthner (1849-1923) und Victor Blüthgen (1844-1920) gesichert habe. Als dritte Film-Gesellschaft trat die ‚Projektions-Aktien-Gesellschaft-Union‘, abgekürzt ‚Pagu‘, auf den Plan; sie hatte sich durch die Gründung eines ‚Lichtspiel-Vertriebs des Verbandes Deutscher Bühnenschriftsteller‘ die Mitarbeit der entsprechenden Kräfte gesichert. Der ‚Wettlauf‘ um die Schriftsteller und deren Werke brachte mancherlei Spitzfindigkeiten zuwege, so verkündete die Film-Gesellschaft ‚Meßters Projection G.m.b.H.‘, dass sie mit den Mitgliedern des ‚Verbandes Deutscher Bühnenschriftsteller‘ ein Abkommen getroffen habe dahingehend, dass ihre für die Kinematographie verfassten Werke ausschließlich dieser Firma zur Verfügung stehen würden. Den Bühnenschriftstellern konnte diese Situation ökonomisch nur recht sein, konnten sie doch nun ihre bereits aufgeführten Theaterstücke über den ‚Lichtspiel-Vertrieb des Verbandes Deutscher Bühnenschriftsteller‘ der ‚Pagu‘ zur Verfügung stellen, während sie ihre originär für die Verfilmung geschriebenen Manuskripte der Filmfirma ‚Meßters Projection G.m.b.H.‘ anbieten und verkaufen konnten.

      Die meisten der von den Schriftstellern gelieferten Filmmanuskripte erwiesen sich bei und nach ihrer Umsetzung als den spezifischen Eigenschaften des neuen Mediums wenig gerecht; auch der heute noch Bekannteste der sogenannten Autorenfilme – die ‚Deutsche Bioscop-Gesellschaft‘ brachte ihre Filme allerdings unter der Bezeichnung ‚Künstlerfilms‘ heraus –, der nach einem gleichnamigen Bühnenstück von Paul Lindau (1839-1919) und mit dem berühmten Theater-Schauspieler Albert Bassermann (1867-1952) gedrehte Film DER ANDERE (1913) (6) vermochte letztendlich nur wegen der Mitwirkung von Albert Bassermann bei Publikum und Presse Interesse zu erwecken. (7) Die vollmundigen Ankündigungen der Filmfirmen, wen sie nun alles von den Schriftstellern als Mitarbeiter gewonnen hatten, entsprachen wohl auch nicht immer der Wahrheit, so lehnte z.B. Gerhart Hauptmann es weiterhin ab, seine Dramen zur Verfilmung freizugeben; die Einwilligung gab er vorerst nur für seinen Roman ‚Atlantis‘. Zudem stieß die beabsichtigte moralische und künstlerische Hebung des Kinos