Ablehnung gründete sich vor allem auf die Tatsache des fehlenden Wortes im Film; in diesem Zusammenhang schreckte er nicht davor zurück, sich auf den Bibelsatz zu berufen: ‚Und Gott sprach; so wurde die Welt geschaffen.‘ Hanns Heinz Ewers antwortete ihm in einer Zuschrift an die ‚B.Z. am Mittag‘ (9), dass er wohl die Pantomime nicht kenne und hielt ihm den Goethe-Satz aus dem ‚Faust‘ entgegen: „Geschrieben steht: ‚Im Anfang war das Wort!‘ Hier stock ich schon! Wer hilft mir weiter fort? Ich kann das Wort so hoch unmöglich schätzen, ich muß es anders übersetzen -- “ (10) Ewers plädierte in seiner Antwort auch für das nur für das Kino geschriebene Stück, und er betonte, dass auch das Schaffen eines Filmmanuskriptes genau so strenge künstlerische Arbeit wie jedes Gedicht, jeder Roman und jedes Drama erfordern würde. „Nur die Technik ist eine andere, ‚das Ringen mit dem Geiste: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn‘- ... ist genau dasselbe.“ (11) Ewers musste hierüber Bescheid wissen, war er doch gerade damit beschäftigt, sich selbst in diesem Metier, dem Schreiben von Filmmanuskripten, zu versuchen; auch sein in der Antwort niedergeschriebener Wunsch, dass aus Hans Kyser hoffentlich noch ein Paulus werde, sollte sich erfüllen – Kyser wurde in den zwanziger Jahren ein ziemlich renommierter Drehbuchautor und war 1935 kurioserweise Mitverfasser eines Drehbuchs für ein Tonfilm-Remake von Ewers‘ DER STUDENT VON PRAG. (12)
Neben seinen Manuskript- und Inszenierungsversuchen für die ‚Deutsche Bioscop-Gesellschaft‘ im Frühjahr 1913, die sich wohl zuerst in dem Streifen DER VERFÜHRTE niederschlugen, muss Ewers zu dieser Zeit auch noch mit Artur Landsberger für die ‚Literarische Lichtspiel-Verlag G.m.b.H.‘ (13) an einem ‚Autorenfilm‘ mit dem Titel GOTTHEIT WEIB geschrieben haben; auch die ‚Pagu‘ zählte in einer Anzeige, die am 7.6.1913 in der ‚EIFZ‘ erschien, Ewers neben Hermann Sudermann (1857-1928), Dr. Oscar Blumenthal (1852-1917), Georg Engel (1866-1931), Dr. Lothar Schmidt, Dr. Rudolf Presber (1868-1935), Walther Turszinsky, Hans Brennert (1870-1942), Dr. Alfred Schirokauer (1880-1934) und Heinrich Bolten=Baeckers (1871-1938) zu denjenigen Autoren, die für die Gesellschaft schreiben würden. Der Film GOTTHEIT WEIB, den die Firma Pathé-Frères vertrieb, wurde späterhin, so z.B. in der ‚EIFZ‘ vom 14.6.1913, nur noch als von Artur Landsberger verfasst ausgewiesen; auch von realisierten Ewers‘schen Manuskripten für die ‚Pagu‘ ist nichts bekannt.
Mit dem Film DER VERFÜHRTE, einem ‚Sozialen Drama‘, das nur 2 Akte und eine Länge von 1000 m hatte, war wiederum Hanns Heinz Ewers nicht zufrieden; seiner eigenen Aussage nach (14) missfiel er sowohl ihm als auch dem Hauptdarsteller Paul Wegener so gründlich, dass sie ihn nach der Fertigstellung vernichten ließen. Es gilt aber zu bedenken, dass dieser Streifen, bei dem Max Obal (1881-1949) Regie führte und Guido Seeber (1879-1940) an der Kamera stand, von dem es heute keine Kopie mehr gibt, zeitlich später als DER STUDENT VON PRAG zensiert wurde – am 30.7.1913 –, und auch von Gerhard Lamprecht wird berichtet (15), dass der Film in den Kinos gelaufen sei. Er tauchte auch noch in einer Original-Negativ-Liste der Film-Gesellschaft ‚Bioscop‘ von 1918 auf. (16)
Diese erstmalige Zusammenarbeit zwischen Hanns Heinz Ewers und Paul Wegener (1874-1948) sollte für die deutsche Filmgeschichte nicht ohne Folgen bleiben, denn schon mit dem nächsten gemeinsamen Film, dem ‚Romantischen Drama‘ DER STUDENT VON PRAG – der am 26.6.1913 zensiert wurde (17) –, gelang ihnen nicht nur der erste Vorstoß zur ‚Filmkunst‘ im deutschen Film, der Streifen eroberte auch den Weltmarkt. Erst DER STUDENT VON PRAG verhalf der Kinematographie zu einer gewissen gesellschaftlichen Reputation in Deutschland und überzeugte endgültig die Mehrheit der Presse von ihrer Wichtigkeit:
„Der Student Balduin verkauft an einen geheimnisvollen Sonderling namens Scapinelli sein Spiegelbild, um zu Geld zu kommen und sich der schönen Comtesse Margit zu nähern. Durch seinen so erworbenen Reichtum in die Gesellschaft aufgestiegen, hat er auch bald Erfolg. Die Liebe des einfachen Zigeunermädchens Lyduschka verschmäht er. Ein gespenstischer Doppelgänger verfolgt ihn jedoch und durchkreuzt seine Pläne. Es kommt zu einem Duell mit Margits eifersüchtigem Verlobten; entgegen seinem Versprechen, ihn, den einzigen Sohn einer adligen Familie, zu schonen, findet der Student, der sich zum Duell verspätet – seinen Widersacher schon getötet: sein Spiegelbild, das verselbständigte andere Ich des Studenten, hatte ihn so entehrt. Der Verstörte wird nun überall von diesem höllischen Abbild verfolgt, bis er schließlich verzweifelt auf seinen Doppelgänger, den hartnäckigen Verderber seines Glücks, schießt und so – sich selber tötet. Scapinelli kann triumphieren.“ (18)
Die Grundidee dieses Films, das Motiv des Doppelgängers, wird heute in der Sekundärliteratur übereinstimmend dem Schauspieler Paul Wegener zugeschrieben. Der von diesem neuen Medium ebenso wie Ewers faszinierte Wegener, der auch späterhin in der Stummfilmzeit mit seinen Filmen immer um die Entwicklung der künstlerischen Möglichkeiten des Films bemüht war, war wohl durch die damals bei Studenten beliebten Scherze mit Fotos von Doppelgängern neugierig geworden, ob es wohl möglich sei, solche Aufnahmen auch im Film zu machen. (19) Ewers brachte ihm dann seine Idee in die Form eines Films:
„Ich schrieb ein Stück für den Rollfilm: ‚Der Student von Prag‘ heißt es. Ich schrieb es für Paul Wegener, und mit ihm arbeitete ich lange Monate daran, in Prag und hier in Berlin. Es soll ein Prüfstein sein, es soll mir beweisen, daß der Rollfilm – so gut wie die Bühne, große und gute Kunst bergen kann.“ (20)
Sein ‚Szenario‘ war zwar sehr kolportagehaft und inhaltlich stark einem literarischen Eklektizismus verhaftet – es finden sich darin u.a. Anklänge an E.T.A. Hoffmann, an Adelbert von Chamissos ‚Schlemihl‘, an E.A. Poes ‚William Wilson‘ und an den ‚Faust‘-Stoff – (21), es hob sich aber doch andererseits durch sein Verständnis für die formalen Möglichkeiten des Films von der Masse der anderen ‚Vorlagen‘ ab:
„Und darüber hinaus richtete sich das Manuskript auf die Möglichkeiten dieser Kunst ein. Man spürte nach Bildern. Man suchte Beleuchtungseffekte zu schaffen. Man bemühte sich, Stimmungen zu dichten. Das rein Mechanische des Filmmanuskripts bekam einen zweifellos poetischen Schwung.“ (22)
Ewers verhalf mit diesem ‚Romantischen Drama‘, welches am 22.8.1913 in den ‚Lichtspielen‘ im Berliner ‚Mozartsaal‘ uraufgeführt wurde (23), einem Thema zur Verbreitung auf der Leinwand, „das eine Obsession des deutschen Films werden sollte: eine tiefe und furchtbare Sorge um die Grundlagen des Ich.“ (24) Das phantastische Thema, die Persönlichkeitsspaltung, signalisierte bereits ein Merkmal des so genannten deutschen Filmexpressionismus der zwanziger Jahre. DER STUDENT VON PRAG ist wie das von Hugo von Hofmannsthal geschriebene ‚Traumspiel‘ DAS FREMDE MÄDCHEN (1913) ein frühes Beispiel dieses nichtrealistischen Filmstils, dem in diesem konkreten Fall aber noch die traditionell naturalistische Inszenierung entgegenstand, sowie die kongeniale bildkräftige Umsetzung eines phantastischen Stoffes und seine stilbildende Kraft, die z.B. den beiden Neuverfilmungen des STUDENTEN aus den Jahren 1926 und 1935 vollkommen fehlt. Wenn es überhaupt für die ganzen ‚Autoren‘- oder ‚Künstlerfilms‘ dieser Jahre einen gemeinsamen Nenner gibt, „so ist er am ehesten in der Vorliebe für phantastische, legenden- und märchenhafte Stoffe zu suchen.“ (25) Die meisten anderen Stoffgebiete, die den Vorwurf für die ‚Kinostücke‘ lieferten, waren zudem zu dieser Zeit von der Film-Industrie bereits gründlich ‚ausgebeutet‘ worden. Die eigentümliche Konstanz der ‚Autorenfilme‘, in denen die Bilderwelt eines vorindustriellen Zeitalters entstand, entsprach aber auch ganz einfach den filmtheoretischen Vorstellungen mancher zeitgenössischer Schriftsteller, die die Filmemacher dazu aufforderten, „den spezifischen Möglichkeiten ihres Mediums Substanz zu verleihen und weniger existierende Objekte als vielmehr Produkte reiner Imagination wiederzugeben.“ (26) In den Inhalten der ‚Autoren-Films‘ ‚spiegeln‘ sich sicherlich auch sozialpsychologische Dispositionen ihrer Urheber.
Man muss Hanns Heinz Ewers auch das filmhistorische ‚Verdienst‘ zusprechen, dass er mittels seines Exposés das literarische Motiv ‚Horror‘, das in der zu Beginn des Jahrhunderts in Deutschland vorhandenen Form der ‚Schauerromane‘ seinen wohl populärsten Niederschlag fand, in ein neu entstehendes Genre der Film-Industrie transponierte. Das Motiv des Doppelgängers zählt auch heute noch zu den sechs oder sieben immer wiederkehrenden Themen des Genres ‚Horrorfilm‘, es ist eines seiner typologischen Grundmuster. Den STUDENT VON PRAG muss man allerdings noch zu denjenigen Filmen zählen, die die Thematik verbreiten