(27):
„‘Der Student von Prag‘ öffnete dem deutschen Zuschauer das Tor zur Welt der Phantasie, er berührte Saiten, die dem Publikum, das durch die häusliche und schulische Erziehung eine gewisse Vorliebe für die Literatur mit irrealer Atmosphäre hatte, bekannt und nahe waren. Der damals führende Theatermann Max Reinhardt hatte mit seinen Inszenierungen zum vollen Durchbruch der märchenhaften und phantastischen Elemente in der Kunst beigetragen.“ (28)
In Artikeln und in Anzeigen, die in den damaligen Filmzeitschriften erschienen, galt DER STUDENT VON PRAG in allererster Linie als ‚Ewers-Film‘. Die ‚Deutsche Bioscop-Gesellschaft‘ zählte ihn – wie den Streifen DER VERFÜHRTE – in ihren Anzeigen zu den Filmen einer ‚Hanns-Heinz-Ewers-Serie‘, gelegentlich ordnete sie ihn aber auch ihrer so genannten Paul-Wegener-Serie zu. Der Name des Schauspielers Paul Wegener hatte wohl – bedingt durch dessen Erfolge an Max Reinhardts ‚Deutschem Theater‘ in Berlin – einen ähnlich populären Ruf wie der von Ewers. Die Film-Gesellschaft wies sogar in einer Anzeige, die in der ‚EIFZ‘ vom 16.8.1913 erschien, darauf hin, dass DER STUDENT VON PRAG vom Verfasser selbst in Szene gesetzt worden sei. Weder im Programmheft noch im Titelvorspann – „Regie: der Verfasser“ (29) – wurde sein Mit-Regisseur Stellan Rye (1880-1914) erwähnt; selbstredend vereinnahmte auch der immer etwas selbstgefällige und eitle Hanns Heinz Ewers dessen Regieleistung für sich selbst. (30) Viele Jahre später verschob sich dann die Zumessung ästhetischer Urheberschaft zugunsten von Rye und besonders von Wegener. Man muss aber bei diesem Streifen, wohl zum ersten Mal in der deutschen Filmgeschichte, von einer echten Ensembleleistung aller künstlerisch Mitwirkenden sprechen; auch Ewers hat sicherlich einige der Aufnahmen persönlich geleitet (31), aber „... die in die Spielhandlung eingebauten Filmtricks der Doppelgängeraufnahme und des Stoptricks, die Beweglichkeit der schwenkenden Kamera, die Inszenierung der Massenszenen in die Tiefe, …, die Beleuchtungseffekte …“ (32) sind z.B. ohne das Können des ‚Aufnahme-Operateurs‘ Guido Seeber nicht denkbar. Mit 20.000 Mark Produktionskosten war DER STUDENT VON PRAG etwa doppelt so teuer wie eine normale Produktion in jenen Jahren.
Der Film hält sich in seinem Handlungsablauf weitgehend an das 19-seitige und 80 ‚Bilder‘ umfassende Exposé von H. H. Ewers, das nur elf Titel vorsah. Der Film kam dann mit ganzen 17 Tafeln aus, was für die Zeit sehr wenig war. Die in späteren Betrachtungen des Films (33) immer wieder erwähnten 90 Zwischentitel sind dem Umstand geschuldet, dass der Film ca. 1915 von der ‚Deutsche Bioscop-Gesellschaft‘ an die Firma Robert Glombeck in Berlin verkauft wurde und diese ihn später, wohl in den Jahren 1925/26, entsprechend veränderte, – und, so Ewers:
„Er (die Glombeck-Fassung, R. K.) enthält hunderte von Metern, die völlig neu gemacht wurden. Er enthält ferner fast hundert geradezu ungeheuerlich blöder und kindischer Schriften, die selbstverständlich nicht von mir stammen: Mein Original-‚Student‘ hatte nur ein halbes Dutzend Schriften. Dazu ließ Herr Glombeck – der übrigens in der Titulatur des Films stolz als Glombeck-Film bezeichnete – eine Reihe von Passagen ein halbes Dutzendmal hintereinander wiederholen, brachte dieselben Schriften immer wieder von neuem. Kein Wunder, daß (später, R. K.) das Publikum den Film von vorn bis hinten verlachte.“ (34)
Den Film, dessen Negativ nach dem Verkauf verbrannt war, hatte Robert Glombeck bereits am 4.6.1921 erneut der Zensur vorgelegt und er lief bis zu seiner wesentlichen Veränderung 1925/26 in den Kinos, allerdings fehlten in dieser Fassung durch Beschädigung des Films bereits 70 m von der ursprünglichen Länge von 1538 m. (35) 1925/26 fügte Robert Glombeck in seine Fassung des Films hauptsächlich Dialogtitel, orts- und zeitbestimmende Titel bzw. Mischformen wie erklärende Dialogtitel sowie erklärende orts- und zeitbestimmende Titel ein. (36)
Die Rezensenten der ursprünglichen Fassung lobten dagegen öfters, dass die Handlung ohne die Aufklärung des Wortes sich abwickle und der Inhalt auch durch Mimik und ansprechende Bilder verständlich sei; überhaupt rief DER STUDENT VON PRAG das Lob der Kritiker, besonders in der Tagespresse, hervor, „auch wenn sie nicht bloß aus dem 12 seitigen Programmheft der Bioscop zu dem Film abschrieben.“ (37) Die ‘Deutsche Bioscop-Gesellschaft‘ konnte schon bald nach der Premiere des Films die Dokumentation einer Vielzahl von positiven Presseaussagen und -kritiken erstellen, die dann per Anzeige in Filmzeitschriften und als Sonderdruck für die Kinobesitzer verbreitet wurde. (38) Ewers selbst reiste gelegentlich zu Vorführungen des Films. Im November 1913 benutzte er auch noch einmal eine Aufführung bei der Eröffnung der ‚Harvestehuder Lichtspiele‘ in Hamburg, um in „… eigenartiger, von der üblichen Prologschema=Manier interessant abweichender Weise ...“ (39), das Publikum über die Möglichkeiten des ‚Rollfilms‘ zu informieren:
„Er setzte in nettem Plauderton einer die Hammonia repräsentierenden, mit ihm am Tisch sitzenden Dame auseinander, wie sich Kino und Schauspielbühne unterscheiden und welche weitgehenden Möglichkeiten dem Kino, obgleich ihm das gesprochene Wort fehle, in mancher Hinsicht ein Uebergewicht über die Bühne verliehen.“ (40)
Ansonsten war Hanns Heinz Ewers während dieser Zeit mehr mit seiner Tätigkeit bei der ‚Deutsche Bioscop-Gesellschaft‘ beschäftigt. In Arbeitskontakt zu dieser Firma dürfte er etwa ein Jahr, bis zu seiner Abreise nach Amerika, gestanden haben, aber es ist fraglich, ob er festangestellter Dramaturg war. Diese Funktion übte von den Schriftstellern m. W. nur der „geniale Vagantendichter“ (41) Heinrich Lautensack (1881-1919) bei der Filmfirma ‚Continental-Kunstfilm G.m.b.H.‘ aus (42) – zudem war seit dem 1.2.1913 Alfred Leopold, der vormalige Dramaturg der ‚Dekage-Films‘ und Reklamechef der ‚Deutschen Kinematographen-Gesellschaft‘, als Dramaturg und Reklamechef bei der ‚Deutsche Bioscop-Gesellschaft‘ eingestellt. Ewers hatte aber wahrscheinlich sehr schnell die „‘geistige‘ Oberleitung“ (43) bei der Film-Gesellschaft an sich gerissen; als ein Mitarbeiter der in Berlin erscheinenden Filmzeitschrift ‚Das Lichtbild-Theater‘ bei „Ein(em) Gang durch die Kino-Industrie“ (44) auch „… in Hanns Heinz Ewers‘ Reich“ (45) in Neubabelsberg vorbeischaute, drängte sich ihm sogar der Eindruck auf, dass die Firma vollkommen von dem Schriftsteller geleitet werde. Erich Zeiske ließ aber umgehend in die nächste Nummer der Zeitschrift eine Berichtigung einrücken, in der er darauf hinwies, dass er seit fast sechs Jahren unverändert der alleinige Direktor der Film-Gesellschaft sei (46) – der „spiritus rector“ (47) Ewers hatte wohl lediglich durch eine Erkrankung von Zeiske vorübergehend den Betrieb geleitet. Im Mai 1913 schrieb er begeistert an seine Mutter: „- hier ist wieder die große flimmerei im gange: Berlin hört, sieht, sieht, spricht nichts anderes als: flimmern, flimmern, flimmern!“ (48) Über das emsige Treiben in der Kinoindustrie hatte sich schon im März des Jahres das humoristisch-satirische Wochenblatt ‚Kladderadatsch‘ lustig gemacht und dabei auch Hanns Heinz Ewers nicht unerwähnt gelassen:
„m.br. Eine bekannte Filmfabrik hat sich neuerdings an die Regierung mit der Anfrage gewandt, ob sie kinematographische Aufnahmen von der demnächst zu erwartenden Hinrichtung eines bekannten siebenfachen Raubmörders gestatten wolle. Für diesen Fall erbietet sich die Firma,
1. Die gesamten Unkosten der neuen Militärvorlage zu übernehmen.
2. 120 vollarmierte Überdreadnoughts stärkster Sorte zu stellen.
3. Die Hälfte der Reichsschulden zu bezahlen.
4. Die Apanage sämtlicher preußischen Prinzen und Prinzessinnen zu bestreiten.
5. Die ganze Insel Korfu dem Kaiser als Jubiläumsgeschenk darzubieten.
6. Außerdem aber noch alle in Frage kommenden Burgen Deutschlands funkelnagelneu zu restaurieren. Sollte die Aufnahme auf Grund dieser Bedingungen zustande kommen, wird Hanns Heinz Ewers die Einleitungsworte bei der ersten Vorführung sprechen.“ (49)
Der ‚Kinostiker‘ Ewers hatte allen Grund, zufrieden zu sein: die ‚Deutsche Bioscop-Gesellschaft‘ ließ ihm zur Verwirklichung seiner Ideen und Manuskripte weitgehend freie Hand – auch finanzieller Art. Die Verpflichtung solch damals bekannter Theater-Schauspieler wie u.a. Alexander Moissi (1880-1936), Lucie Höflich (1883-1956) und Tilla Durieux (1880-1971) für die ‚Deutsche Bioscop-Gesellschaft‘ ist vermutlich auch auf ihn zurückzuführen.
1913 kamen noch zwei von ihm geschriebene und wohl auch teilweise mitinszenierte Filme zur Uraufführung, wobei der