Reinhold Keiner

Hanns Heinz Ewers und der Phantastische Film


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und der weiter unten besprochene Film DIE LAUNEN EINER WELTDAME wurden von dem Regisseur Max Obal gedreht, dem Ewers später zugestand (50), dass er weit über das Niveau der sonstigen Regisseure jener Jahre hinausgeragt habe. Von dem 4 Akte langen ‚sozialen Drama‘ ... DENN ALLE SCHULD RÄCHT SICH AUF ERDEN, das laut einer Besprechung in der ‚EIFZ‘ „... eine Schicksalstragödie von außerordentlicher Herbheit“ (51) war, gibt es heute keine Kopie mehr:

      „Baron Rüttersheim verführt unter einem falschen Namen die Tochter eines einfachen Musikers, Grete Rothe, und läßt sie dann sitzen. In höchster Verzweiflung, vom Vater verstoßen und ohne Chance auf eine Stellung, will sie sich ins Wasser stürzen – da führt ein Zufall ihr die Baronin Rüttersheim über den Weg, die sie als Gesellschafterin engagiert. Nichtsahnend trifft sie im Hause der Baronin auf ihren Verführer, der eine neuerliche Liaison mit ihr anfängt und sie dann wieder verläßt. Grete Rothe rächt sich nun an seinem Sohn Paul, der ihr rettungslos verfallen ist. Als der Baron von seiner ehemaligen Geliebten Rechenschaft über ihr Tun fordert -- da ertönt aus dem Nebenzimmer ein Schuß! Paul hat sich in der höchsten Not, als ihm kein anderer Ausweg mehr blieb, erschossen.“ (52)

      Den am 3.11.1913 zensierten Streifen DIE EISBRAUT, der 4 Akte und 1198 m lang war, hatte Ewers nach seiner Novelle ‚John Hamilton Llewellyns Ende‘ gestaltet; lediglich den Schlussteil der Novelle – die Unterbringung des Malers in einem Irrenhaus – hatte er unberücksichtigt gelassen. Hier war er zum ersten Mal von seiner später aufgestellten Maxime abgewichen, Stoffe, die er zuvor literarisch gestaltet hatte, nicht selbst für den Film zu bearbeiten – von ‚Ummünzung‘ und ‚Umgießung‘ hielt er nichts bzw. hielt den Autor der literarischen Vorlage eigentlich für die dafür denkbar ungeeignetste Person (53); Anfang der dreißiger Jahre formte er dann auch seinen Roman ‚Horst Wessel‘ in ein Drehbuch für einen gleichnamigen Film um. Inwieweit in DIE EISBRAUT wie in der Novelle der bei Ewers um diese Zeit typische Schicksalsglaube herrscht, lässt sich heute nicht mehr anhand einer Sichtung feststellen, da es auch von diesem Streifen keine Kopie mehr gibt. (54) Zudem verbot der Zensor diesen Streifen und so liegen auch keine Besprechungen der Filmzeitschriften vor. „Wenn man weiß, daß es um die Liebe des Malers Llewellyn zu einer nackten Frauenleiche geht, die seit 20.000 Jahren in einen Eisblock eingeschlossen ist und dem wahnsinnig werdenden Maler, als er sie befreit, unter den Händen zu Brei zerfließt, wird die Zensurentscheidung verständlicher.“ (55) Das ‚Programmheft‘ des Films wies auf den dem Streifen zugrundeliegenden philosophischen Hintergrund hin und betonte, dass es Ewers um mehr als um die Schilderung eines sensationellen Geschehnisses gegangen sei. (56)

      Hanns Heinz Ewers setzte mit seinen sämtlichen Manuskripten der Jahre 1913/14 die mit DER VERFÜHRTE und DER STUDENT VON PRAG begonnene Linie fort, wenngleich er mit keinem Film mehr so reüssieren konnte wie mit DER STUDENT VON PRAG. Er folgte seiner Neigung zum Absonderlichen und zur abenteuerlichen Romantik; die Themen pendelten zwischen ‚wilder‘ Phantastik und ‚echtem‘ Alltagsleben, durchzogen von grotesken Verwandlungsszenen und phantastischem Spuk:

      „Die Tat ist nichts – der Gedanke ist alles. Die Wirklichkeit ist hässlich, und dem Hässlichen fehlt die Berechtigung des Daseins. Die Träume aber sind schön, und sind wahr, weil sie schön sind. Und darum glaube ich an die Träume, als an das einzig Wirkliche.“ (57)

      Ein Beleg für seine Linie ist auch das „phantastische Abenteuer“ und „romantische Drama“ (58) DIE AUGEN DES OLE BRANDIS. Aus ‚Scapinelli‘ ist in diesem Streifen der abschreckend hässliche Antiquitätenhändler ‚Coppilander‘ geworden, und wieder schließt der ‚Held‘ einen Pakt mit dem Teufel ‚Coppilander‘ ab – ein von ihm ausgehändigter Brief, über die Augen gestrichen, lässt Ole Brandis die Menschen in ihrer wahren Gestalt sehen:

      „Sein Held wird mit der zweifelhaften Gabe begnadet, die Menschen in ihrer wahren Gestalt zu sehen. Schon will er, an der Welt verzweifelnd, sich selbst den Tod geben, als ein armes Mädchen, ein anderes Kätchen von Heilbronn, die Prüfung standhält und ihn durch ihre demütige Liebe dem Leben und dem Glück zurückgewinnt.“ (59)

      In dem 4 Akte und 1412 m langen Streifen, Mit-Regie Stellan Rye, Kamera Guido Seeber, spielte der bekannte Theater-Schauspieler Alexander Moissi die männliche Hauptrolle, mit dessen Art der Darstellung Ewers allerdings nie zufrieden war. Moissi hatte es sich in den Kopf gesetzt, von der Pantomime auszugehen, und dies rief den Unmut von Ewers hervor: „ich flimmere hier mit Alexander Moissi u. i. v. Moissi ist der gräßlichste Tenor, den man sich denken kann ganz unintelligent und blöd, es ist eine Qual derart zu arbeiten.“ (60) Seine Einschätzung teilte zumindest der Rezensent des ‚Der Kinematograph‘ nicht (61); dieser lobte nach der Uraufführung, die am 9.1.1914 anlässlich der Wiederöffnung der ‚U.-T.-Lichtspiele‘ am Berliner Alexanderplatz stattfand, nicht nur die herrlichen Naturaufnahmen, sondern auch das vorzügliche Spiel der Darsteller und besonders das von Alexander Moissi – er leihe dem Ole Brandis den Reiz seiner Persönlichkeit. Auch die ‚Deutsche Bioscop-Gesellschaft‘ wies in ihrem ‚Begleitheft‘ zum Film darauf hin – und dies war nicht gerade ein Lob für den Manuskriptschreiber Ewers –, dass der „... an sich spröde Stoff, der an alle Darsteller die höchsten künstlerischen Anforderungen stellt, namentlich von Moissi derartig gehandhabt worden (ist), daß dem Beschauer die psychologischen Unmöglichkeiten möglich und folgerichtig erscheinen.“ (62)

      Überhaupt scheint Ewers während und nach den Aufnahmen zu diesem Film, die wohl im Juli/August 1913 stattfanden, festgestellt zu haben, dass es zwischen seinen ideellen theoretischen Vorstellungen über die Möglichkeiten des ‚Rollfilms‘ und der praktischen Filmarbeit doch einige Unterschiede gibt – so schrieb er Ende August 1913 auf einer Postkarte an seine Mutter: „langsam wird mir die Filmerei nun auch über, aber ich muß erst die begonnenen Sachen wenigstens beendigen!!“ (63) Zu diesen hatte auch der schon am 30.7.1913 zensierte, 4 Akte und 1540 m lange Streifen EVINRUDE, DIE GESCHICHTE EINES ABENTEURERS gehört – die Uraufführung fand aber erst am 21.2.1914 statt:

      „Im Vorspiel werden wir in das Getriebe des wilden Westens, in den Goldgräberdistrikt und in die Prärie geführt, während sich das eigentliche Drama in Berlin, bald im fashionablen Klubhaus, bald im Salon der Gesellschaft, bald im eleganten Motor- und Segelboot, bald auf der primitiven Zille, abspielt.“ (64)

      Hanns Heinz Ewers spielte unter dem Namen seines literarischen ‚alter ego‘ Frank Braun die Rolle eines Ingenieurs Addison; ein sich in seinem Nachlass im Düsseldorfer Heine-Institut befindliches Foto zeigt ihn aber auch, wie er – offensichtlich in seinem Manuskript blätternd – einer ihm zuhörenden Gruppe von Schauspielern Anweisungen erteilt. Vermutlich hat Ewers auch für diesen Film einige Szenen selbst inszeniert. Die Kamera führte wie bei den Streifen DER VERFÜHRTE, DER STUDENT VON PRAG, DIE AUGEN DES OLE BRANDIS und dem weiter unten besprochenen Film EIN SOMMERNACHTSTRAUM IN UNSERER ZEIT ‚Aufnahme-Operateur‘ Guido Seeber. In einem Artikel in der Filmzeitschrift ‚Der Kinematograph‘ wurde darauf hingewiesen, dass dieser Film, der ein Stück echter Romantik mitten im Alltagsleben darstelle, mit dem STUDENT VON PRAG, trotz Verschiedenheit des Milieus, Berührungspunkte habe: die ‚Helden‘ seien in beiden Filmen Charaktere, „die sich nicht einordnen noch unterordnen lassen; Menschen von starken Lebensbedürfnissen, Herrennaturen, die an dem eigenen unbeugsamen Ich zugrunde gehen.“ (65) Lobend erwähnte der Schreiber des Artikels auch die Charakterisierungskunst der Schauspieler und die Massenszenen. 1921 kam der Film – in einer um 115 m gekürzten Fassung – unter dem Titel EVINRUDE noch einmal in die Lichtspielhäuser.

      Für den im März 1914 uraufgeführten Film EIN SOMMERNACHTSTRAUM IN UNSERER ZEIT transponierte Ewers – der zusammen mit Stellan Rye das Manuskript schrieb – das Shakespearsche Stück auf ein Rittergut und ins 20. Jahrhundert, „ohne freilich ganz auf Shakespeares Figuren zu verzichten – die (weibliche Hauptdarstellerin Grete, R.K.) Berger spielte den Puck gerade mit großem Erfolg auf dem Deutschen Theater. Die Atmosphäre der im Programm abgedruckten Bilder erinnert stark an die erfolgreichen Märchenfilme, die Wegener in den nächsten Jahren drehte (‚Rübezahl‘ usw.).“(66) Ewers selbst hielt diesen 4 Akte und 1395 m langen Streifen für den schönsten seiner Filme (67):

      „Hier wie dort (Film/Theater, R. K.) tritt Puck, der neckische Geist, der alle Verwandlungen des Stückes schafft, als das Symbol der dichterischen Laune in