Zusammenarbeit zwischen Bund, Kantonen und Organisationen der Arbeitswelt hat sich bewährt. Das bedeutet nicht, dass Diskussionen und Prozesse immer spannungsfrei vonstattengehen, aber der Gemeinsinn, das Engagement für die Sache und damit die Bereitschaft, auch bei divergierenden Interessen und Standpunkten an einem Tisch für tragfähige Lösungen zu sorgen, ist bei allen Partnern und Partnerinnen verankert.
Wenn im Rahmen des Strategieprozesses «Berufsbildung 2030» Arbeiten in Gang gesetzt worden sind, um die verbundpartnerschaftlichen Organe auf ihre Wirksamkeit hin zu überprüfen und Unklarheiten in Bezug auf die Zuständigkeiten zu klären, hat dies weder mit einer grundsätzlichen Systemkritik noch mit einer Infragestellung der Verbundpartnerschaft zu tun. Vielmehr sind Steuerungsprozesse und Gremienstrukturen seit 2004 innerhalb der bewusst offenen Rahmengesetzgebung gewachsen. Mit Blick auf die Herausforderungen der Zukunft ist es nach Abschluss der umfassenden Berufsreformen angezeigt, den Fokus auf eine Optimierung der Governance zu richten.
Zwei vom Bund in Auftrag gegebene Expertenberichte liefern diesbezüglich wichtige Erkenntnisse. In Bezug auf die Berufsfachschulen wird zum einen festgestellt, dass diese die Zusammenarbeit mit den Kantonen und dem Bund als wenig zufriedenstellend betrachten (Renold, Caves & Oswald-Egg, 2019, S. 10). Ein Grund dafür mag der Wunsch nach einem stärkeren Mitwirken sein, was angesichts der Aufgaben einer Berufsfachschule als Lernort nachvollziehbar ist. Der zweite Bericht kritisiert denn auch, dass Bildungsanbieter in fachlich-operativen Fragen nicht immer gebührend berücksichtigt würden (Emmenegger & Seitzl, 2019, S. 40). Gleichzeitig macht er deutlich, dass ein Vertretungsanspruch auf Ebene der strategischen Steuerung nicht legitim wäre: «Neben der nicht vorhandenen gesetzlichen Grundlage und dem Fehlen einer Dachorganisation ist nicht ersichtlich, auf welcher politischen Basis dieser Anspruch erhoben werden könnte» (ebd., S. 37).
Damit wird unterstrichen, dass bei der Frage, welche Akteure in welcher Weise in die Prozess- und Gremienstrukturen einbezogen werden, dem Gesamtsystem Rechnung getragen werden muss.[3] Den Berufsfachschulen kommt in der Verbundpartnerschaft und damit in Steuerungsfragen indirekt durch die Kantone (als ihren Trägern) eine Stimme zu. Auf fachlich-operativer Ebene bestehen bereits heute mit der Table Ronde Berufsbildender Schulen (TR BS) und den Kommissionen für Berufsentwicklung und Qualität (B&Q) Gremien, über die sich die Berufsfachschulen einbringen können.[4] Dabei schreiben Emmenegger und Seitzl (2019) dieser Ebene eine «ausserordentliche Wichtigkeit» zu, «weil hier die strategischen, das Gesamtsystem betreffenden Weichenstellungen umgesetzt und konkretisiert werden» (S. 32).
Herausforderungen: Digitalisierung, Heterogenität, Kompetenzorientierung
Überlegungen, wie sich die Berufsfachschulen selbst stärker positionieren können und wie ihnen mehr Gewicht auf fachlich-operativer Ebene eingeräumt werden kann, sind wie eingangs erwähnt eng mit den derzeitigen (und künftigen) Herausforderungen verknüpft. Dazu gehören insbesondere die digitale Transformation, die Heterogenität der Lernenden sowie die Handlungskompetenzorientierung.
1. Digitalisierung und digitale Transformation
Digitale Technologien durchdringen und beeinflussen Gesellschaft und Wirtschaft und somit sämtliche Lebens- und Arbeitsbereiche immer stärker. Es braucht Antworten auf die Frage, wie die digitale Zukunft optimal gestaltet werden kann – gerade in der Bildung. Der Bund hat in seinem «Aktionsplan Digitalisierung im BFI-Bereich in den Jahren 2019 und 2020» Handlungsschwerpunkte auf drei Ebenen definiert (SBFI, 2017b): Auf der Ebene der Lernenden geht es um den Erwerb der nötigen Kompetenzen, auf der Ebene der Bildungseinrichtungen um die Nutzung der Informations- und Kommunikationstechnologien beim Lehren und Lernen, und auf der Systemebene unter anderem um die schnellere Anpassung der Bildungsgänge und Ausbildungsinhalte. Für Berufsfachschulen bedeutet dies einerseits einen Kulturwandel im Sinne von Digital Leadership, das heisst ein Umdenken in Bezug auf pädagogische Ansätze und Lehrpläne, auf Management und Qualitätssicherung. Seufert (2018) hält dazu fest: «Dabei wird die gemeinsame Schulentwicklung im Team und in (digitalen) Netzwerken an Bedeutung zunehmen […]. Rahmenbedingungen sind zu schaffen, welche insbesondere den erforderlichen Kulturwandel und eine stärkere Selbstorganisation in den Bildungsinstitutionen unterstützen» (S. 30 f.). Hinzu kommen neue Kompetenzen für Lehrpersonen, gekoppelt nicht zuletzt an ein verändertes Rollenverständnis, etwa wenn es darum geht, allfällige Wissensvorsprünge von Lernenden nutzbar zu machen. Trede, Aeschlimann und Zbinden (2018) messen der Weiterentwicklung der «fachlichen, fachdidaktischen, medienpädagogischen und eigenen digitalen Kompetenzen» eine entscheidende Bedeutung zu, wenn es darum geht, «wie gut es Lehrpersonen gelingen wird, den fachlichen Gehalt und die lebensweltliche Bedeutsamkeit von Lernsituationen zu gestalten» (S 23).
2. Heterogenität der Lernenden
Ein erfolgreicher Start ins Arbeitsleben ist für junge Menschen entscheidend – für die persönliche Entwicklung, aber auch für den künftigen Karriereverlauf und Weiterbildungsmöglichkeiten. Die berufliche Grundbildung gewährleistet mit ihren Bildungsgefässen – zweijährige berufliche Grundbildung mit eidgenössischem Berufsattest (EBA), drei- oder vierjährige berufliche Grundbildung mit eidgenössischem Fähigkeitszeugnis (EFZ) und eidgenössische Berufsmaturität (BM) –, dass Jugendliche mit unterschiedlichen Voraussetzungen, Interessen und Fähigkeiten eine passende Ausbildung beginnen können.[5] Nichtsdestotrotz sind Lehrpersonen in ihren Klassen mit einer grossen Heterogenität konfrontiert. Dies nicht nur betreffend Kompetenzen, kognitiver und sprachlicher Fähigkeiten, sondern auch in Bezug auf Motivation, Leistungsbereitschaft und (Sozial-)Verhalten (Berger, 2018). In einigen Branchen zeugen nicht zuletzt überdurchschnittlich hohe Lehrabbruchs- und Durchfallquoten von der Herausforderung, Jugendliche zu integrieren, die einer schulischen Risikogruppe angehören. Für die Berufsfachschulen beziehungsweise die Lehrpersonen gilt es einerseits, möglichst früh zu erkennen, wo Unterstützungsmassnahmen (z. B. fachkundige individuelle Begleitung) angezeigt sind, die über den Regelunterricht hinausgehen. Andererseits muss der Unterricht so individuell gestaltet werden, dass weder schwächere Lernende abgehängt noch stärkere ausgebremst werden.
3. Handlungskompetenzorientierung
Die Förderung beruflicher Handlungskompetenzen stand im Zentrum der Berufsreformen und -entwicklungen, die durch die Inkraftsetzung des BBG 2004 eingeleitet wurden. Trotz unterschiedlicher Definitionen des Begriffs herrscht grundsätzlich Einigkeit darüber, was deren Kern ausmacht. Wie im Handbuch «Prozess der Berufsentwicklung» (SBFI, 2017a, S. 7) festgehalten, gilt als kompetent, «wer berufliche Aufgaben und Tätigkeiten eigeninitiativ, zielorientiert, fachgerecht und flexibel ausführt». Es geht darum, situationsgerecht auf erworbenes Wissen und erlernte Fähigkeiten zurückzugreifen sowie verfügbare externe Hilfsmittel und Werkzeuge zu nutzen.
In den Bildungserlassen der rund 230 Berufe der beruflichen Grundbildung ist der Leitgedanke der Handlungskompetenzorientierung inzwischen fest verankert. Allerdings zeigt sich in der Praxis immer wieder, dass die konsequente Umsetzung eines handlungskompetenzorientierten Unterrichts mit Herausforderungen verbunden ist. Lehrpersonen übernehmen eine andere Rolle: weg von der reinen Wissensvermittlung, hin zur Begleitung in selbstorganisierten Lernprozessen mit Aufgaben, die sich auf reale Anforderungen im Arbeits- und Lebensalltag fokussieren. Ein solcher Unterricht erfordert nicht nur andere Kompetenzen, sondern auch andere didaktische Methoden, die oft mehr Zeit in Anspruch nehmen – und dies bei vollen Lehrplänen mit umfangreichen Stoffanforderungen. Hinzu kommt, dass auch Lernkontrollen und Qualifikationsverfahren im beruflichen wie allgemeinbildenden Unterricht handlungskompetenzorientiert gestaltet werden sollen. Eine von der Schweizerischen Berufsbildungsämter-Konferenz (SBBK) in Auftrag gegebene Standortbestimmung macht mit Blick auf eine optimale und kohärente Umsetzung der Handlungskompetenzorientierung Schlüsselfaktoren auf allen Ebenen aus: eine konsequente Ausrichtung bei Berufsrevisionen, Good-Practice-Empfehlungen der Berufsfachschulkonferenzen, eine Verankerung der Handlungskompetenzorientierung in der jeweiligen