der Lehrperson hat sich in den letzten Jahrzehnten gewandelt. Die traditionelle Rolle der Lehrperson als Informationsvermittlerin ist in den Hintergrund getreten. In der heutigen Zeit sind dank der elektronischen Medien fast alle Informationen dieser Welt per Knopfdruck erhältlich. Die Lehrperson ist damit viel mehr zu einem Wegbegleiter von Kindern und Jugendlichen geworden, der an der Seite steht, anleitet und begleitet (Herz 2004).
Damit haben sich auch die Anforderungen an angehende und praktizierende Lehrpersonen geändert. Als charakteristisch für den Lehrberuf wird die beachtliche Vielfalt von Arbeitsaufgaben gesehen. Die Aufzählung reicht von Unterrichten, Erziehen, Diagnostizieren und Beurteilen, Beraten bis zur Schulentwicklung (Bauer 2002). In Anbetracht der vielfältigen Aufgaben, die eine Lehrperson im täglichen Berufsleben zu bewältigen hat, sollte sie ihre eigenen Handlungen konsequent reflektieren, um sich beruflich weiterentwickeln und sich den praktischen Anforderungen anpassen zu können. Das Handeln der Lehrperson ist damit nicht bloß ein gewohnheitsmäßiges Tun, sondern ein intelligentes Handeln, das durch explizites und implizites Wissen gesteuert ist und sich auf vielfältige Reflexionen abstützt (Messner & Reusser 2000).
Um zu erfahren, ob und inwiefern Lehrpersonen über ihr Handeln und ihren Unterricht reflektieren, wurden junge Lehrpersonen im Berufseinstieg, die ihre Ausbildung an der Pädagogischen Hochschule Zürich (PHZH) absolviert hatten, und erfahrene Lehrpersonen, die für die PHZH als Praktikumslehrpersonen tätig waren, mit verschiedenen Instrumenten befragt. Dabei waren die Aussagen der Lehrpersonen in den mündlichen Interviews besonders aufschlussreich.
Sehr erfreulich sind die positiven Einstellungen, die die Lehrpersonen gegenüber der Reflexion von Unterricht äußern. Die Lehrpersonen sind grundsätzlich der Ansicht, dass die Reflexion ein wichtiger Bestandteil der Lehrerarbeit ist, der zu einer verbesserten Unterrichtsqualität und zur Unterrichtsentwicklung beiträgt. Gemäß den Angaben der Lehrpersonen gehört die Reflexion zu den alltäglichen Arbeiten, und die Reflexion von Unterricht wird regelmäßig und bewusst vorgenommen. Die Aussagen der Lehrpersonen machen jedoch auch deutlich, dass die Reflexion zumeist individuell und wenig strukturiert abläuft. Als Zeitgefäße werden insbesondere Mittagspausen, die Pausen zwischen zwei Unterrichtslektionen oder der Reiseweg vom Schulort nach Hause genutzt. Die Reflexion findet dabei zumeist in Gedanken statt, eine Verschriftlichung oder eine Reflexion auf der Grundlage von schriftlichen Vorlagen wird sehr selten vorgenommen. Als Grund für diese eingeschränkte Reflexionstätigkeit wird von den Lehrpersonen angegeben, dass im Unterrichtsalltag zumeist wenig Zeit für die Reflexion vorhanden ist. Dies einerseits, weil kaum institutionalisierte Gefäße für die Reflexion zur Verfügung stehen, zum anderen, weil der Alltag mit so vielen anderen Aufgaben und Ämtern beladen ist, dass für eine gezielte Reflexion keine Zeit oder Energie mehr aufgewendet werden kann. Viele Lehrpersonen bedauern diesen Zustand und würden sich wünschen, dass vermehrt Möglichkeiten für kollegiales Reflektieren, beispielsweise beim Besprechen von Unterricht oder bei Unterrichtshospitationen, vorhanden wären.
Die Aussagen der Lehrpersonen sind sehr verständlich und nachvollziehbar. Nebst allen anderen Aufgaben noch Zeit und Energie für die individuelle oder kollegiale Reflexion zu finden, ist im Unterrichtsalltag nicht immer leicht. Umso wichtiger ist es, dass sich eine Lehrperson bereits in der Ausbildung Gedanken dazu macht, welche Kriterien, Ziele und Inhalte eine Reflexion umfassen kann und welche Möglichkeiten der Umsetzung in der Berufspraxis bestehen. Denn wie jede andere Kompetenz erfordert auch die Reflexionskompetenz Fähigkeiten und Fertigkeiten, die angeeignet und geübt werden müssen. Nur dann ist es möglich, auch im teilweise hektischen Berufsalltag gezielt, regelmäßig und bewusst zu reflektieren. Damit wird sich nicht nur die Qualität des eigenen Unterrichts verbessern. Die Reflexion kann auch dabei helfen, sich über die Hintergründe und Ziele der eigenen Handlung bewusst zu werden und diese gegenüber Drittpersonen darlegen zu können, sich selber, die eigenen Ansichten und Fähigkeiten besser kennenzulernen und dadurch die Grenzen des eigenen Handelns zu erkennen, neue, erweiterte Sichtweisen einzunehmen und sich dadurch bei der Arbeit längerfristig wohlzufühlen (Dauber 2006). ›
Literatur
Baer, M., Guldimann, T., Fraefel, U. & Müller, P. (2005). Standarderreichung beim Erwerb von Unterrichtskompetenz im Lehrerstudium und im Übergang zur Berufstätigkeit. Zürich und St. Gallen: Pädagogische Hochschule (Forschungsgesuch zuhanden des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung [Projekt Nr. 100013-112467/1]).
Baer, M., Guldimann, T., Kocher, M., Larcher, S., Wyss, C., Dörr, G. & Smit, R. (2009). Auf dem Weg zu Expertise beim Unterrichten – Erwerb von Lehrkompetenz im Lehrerinnen- und Lehrerstudium. Unterrichtswissenschaft, 37 (2), S. 118–144.
Bauer, K.-O. (2002). Kompetenzprofil: LehrerIn. In H.-U. Otto, T. Rauschenbach & P. Vogel (Hrsg.), Erziehungswissenschaft: Professionalität und Kompetenz (S. 49–63). Opladen: Leske + Budrich (UTB).
Dauber, H. & Zwiebel, R. (Hrsg.) (2006). Professionelle Selbstreflexion aus pädagogischer und psychoanalytischer Sicht. Schriftenreihe zur humanistischen Pädagogik und Psychologie. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
Herz, O. (2004). Konzepte für Deutschland VIII: «Im Leben lernen – im Lernen leben». Otto Herz im Gespräch mit Ralf Lilienthal. a Tempo, (8), S. 6–9.
Messner, H. & Reusser, K. (2000). Berufliches Lernen als lebenslanger Prozess. Beiträge zur Lehrerbildung, 18 (3), S. 277–294.
Auszug aus: Wyss, C. (2010). Unterrichts- und Reflexionskompetenz. Eine mehrperspektivische Analyse von Lehrpersonen im Berufseinstieg und erfahrenen Lehrpersonen. Dissertation, Universität Zürich.
Kommentierte Literaturhinweise
Kommentierte Literaturhinweise
Berlinger, Donatus, Birri, Thomas & Zumsteg, Barbara (2006)
Vom Lernen zum Lehren. Ansätze für eine theoriegeleitete Praxis. Bern: hep.
Die Publikation beschreibt die Zusammenhänge zwischen theoretischem Wissen und dem Handeln von Lehrpersonen. Eine Bedingung für die Professionalisierung im Lehrberuf ist die Explizierung der eigenen subjektiven Theorien und die Anreicherung mit handlungsrelevanten Theorien aus der Wissenschaft. Wichtige theoretische Erkenntnisse zu Lehren und Lernen werden in diesem Buch kompakt und verständlich dargestellt und mit Praxisumsetzungen illustriert. Vor diesem Hintergrund können Lehrpersonen ihr Praxishandeln begründet planen, erklären, reflektieren und weiterentwickeln.
Felten, Regula von (2005)
Lernen im reflexiven Praktikum. Eine vergleichende Untersuchung. Münster: Waxmann.
Dieses Buch fragt nach der Wirkung der berufspraktischen Ausbildung. Die Lehrerinnen- und Lehrerbildung sieht das Ziel des Praktikums in der Verbindung von Theorie und Praxis. Untersuchungen zeigen jedoch, dass theoretisches Wissen in herkömmlichen Praktika kaum genutzt wird. Um das Praktikum nicht länger auf die Anwendung von Wissen auszurichten, wurde ein neues Konzept für die Zusammenarbeit von Studierenden und Praxislehrpersonen entwickelt. Es basiert auf Donald Schöns Idee des reflexiven Praktikums und stellt die Reflexion des Handelns ins Zentrum. Die Ergebnisse der vergleichenden Felduntersuchung zeigen, dass das reflexive Praktikum die Reflexion und Entwicklung des Handelns stärker fördert als das herkömmliche Praktikum.
Helmke, Andreas (2017)
Unterrichtsqualität und Lehrerprofessionalität. Diagnose, Evaluation und Verbesserung des Unterrichts (7. Auflage). Seelze-Velber: Klett/Kallmeyer.
In der vollständig umgearbeiteten Neuauflage des 2003 erstmals erschienenen Buches «Unterrichtsqualität erfassen, bewerten und verbessern» setzt sich Andreas Helmke im Kapitel «Diagnose und Evaluation des Unterrichts» (S. 268–303) mit der Frage «Wie kann man die Qualität des Unterrichts erfassen und bewerten?» auseinander. Neben begrifflichen Klärungen und einem Überblick über die Vielfalt von Methoden und Akteuren sind in diesem Kapitel auch ganz konkrete Hilfestellungen für Schülerfeedback und Unterrichtsbeobachtungen zu finden.
Herzog, Walter (1995)
Reflexive Praktika in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung. Beiträge zur Lehrerbildung,