Barbara Zumsteg

Didaktisch handeln und denken (E-Book)


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in die pädagogische Reflexion einbeziehen (ebd., S. 22 ff.).

      Steht die Reflexion des eigenen Handelns im Vordergrund, beziehen sich die Argumentationslinien auch häufig auf Donald A. Schöns «Epistemologie der Praxis» (Wittenbruch 2007; von Felten 2005; Altrichter & Lobenwein 1999; Dick 1999; Herzog 1995). Schön zeigt in seinen beiden Werken «The Reflective Practitioner» (1983) und «Educating the Reflective Practitioner» (1987) auf, wie wichtig es ist, dass Praktikerinnen und Praktiker ihr Handeln aus Distanz betrachten. Befreit von Handlungsdruck, können Probleme überhaupt erst wahrgenommen werden. «In real-world practice, problems do not present themselves to the practitioner as givens. They must be constructed from the materials of problematic situations which are puzzling, troubling, and uncertain. In order to convert a problematic situation to a problem, a practitioner must do a certain kind of work» (Schön 1983, S. 40).

      Diese Art von Praxisreflexion bezeichnet Schön als «reflection-on-action». Nach dem Unterricht analysieren Lehrpersonen Geschehenes. Sie beziehen bisher unberücksichtigte Aspekte ein, fassen das Problem, betrachten es aus unterschiedlichen Perspektiven und suchen nach möglichen Handlungsalternativen. Schließlich gilt es, neu entdeckte Handlungsmöglichkeiten in der weiteren Praxis zu erproben, ihre Wirkung zu überprüfen und das eigene Wissen und Können auf diese Weise zu erweitern und zu differenzieren.

      Um die Fähigkeit zur Reflexion und zur Entwicklung des eigenen HandeIns – in eben beschriebenem Sinne – zu erwerben, sieht Schön (1987) ein spezifisches Ausbildungssetting vor. Anhand von Beispielen aus der Ausbildung von Architektinnen und Architekten illustriert er, wie Studierende im reflexiven Praktikum mit ihren Coachs zusammenarbeiten. Begleitet von erfahrenen Praktikerinnen und Praktikern, üben sich Architekturstudierende darin, Probleme in der Praxis zu erkennen, nach adäquateren Handlungsweisen zu suchen und so das eigene Wissen und Können schrittweise zu entwickeln.

      Erfolgreiche Praktikerinnen und Praktiker verfügen aber nicht nur über die Fähigkeit, ihr Handeln im Nachhinein zu reflektieren, sie sind auch in der Lage, unvorhergesehene Situationen während des Handelns neu zu interpretieren und geschickt darauf zu reagieren. Schön spricht in diesem Zusammenhang von «reflection-in-action».

      «Reflection-in-action has a critical function, … we may, in the process, restructure strategies of action, understandings of phenomena, or ways of framing problems […]. Reflection gives rise to on-the-spot experiment. We think up and try out new actions intended to explore the newly observed phenomena, test our tentative understandings of them, or affirm the moves we have intended to change things for the better» (Schön 1987, S. 28).

      «Reflection-in-action» meint also ein Neurahmen («reframing») einer Situation während des Handelns. Die Situation erscheint dadurch in neuem Licht und weist der Lehrperson die Richtung für weitere Handlungsschritte. Dieses Im-Austausch-mit-der-Situation-Sein («reflexive conversation») und das unmittelbare Reagieren auf Unerwartetes erfordert Präsenz, Gefühl und Kreativität. Entscheidungen fällt die Lehrperson dabei intuitiv, und es wird ihr im Nachhinein nicht auf Anhieb gelingen, das Geschehene zu erklären. Was nicht heißt, dass das Wissen und Können von Lehrpersonen irrational ist (Dewe, Ferchhoff & Radtke 1992, S. 85).

      «Reflection-in-action is a process we can deliver without being able to say what we are doing. Skillful improvisers often become tongue-tied or give obviously inadequate accounts when asked to say what they do. Clearly, it is one thing to be able to reflect-in-action and quite another to be able to reflect on our reflection-in-action so as to produce a good verbal description of it» (ebd., S. 31).

      Um Ereignisse im Unterricht klar zu fassen und das eigene Handeln zu begründen, sind daher Phasen der Rechenschaftslegung unabdingbar. In diesen beziehen sich Lehrpersonen auf ihre persönlichen Überzeugungen, was eine gute Schule bzw. guter Unterricht ausmacht, und haben Gelegenheit, diese aufzuarbeiten.» ›

      Literatur

      Altrichter, H. & Lobenwein, W. (1999). Forschendes Lernen in der Lehrerbildung? Erfahrungen mit reflektierenden Schulpraktika. In U. Dirks & W. Hansmann (Hrsg.), Reflexive Lehrerbildung. Fallstudien und Konzepte im Kontext berufsspezifischer Kernprobleme (S. 169–196). Weinheim: Deutscher Studien Verlag.

      Dewe, B., Ferchhoff, W. & Radtke, F. (1992). Das «Professionswissen» von Pädagogen. Ein wissenstheoretischer Rekonstruktionsversuch. In dies. (Hrsg.), Erziehen als Profession. Zur Logik professionellen Handelns in pädagogischen Feldern (S. 70–91). Opladen: Leske + Budrich.

      Dick, A. (1999). Vom Ausbildungs- und Reflexionswissen in der LehrerInnenbildung. In U. Dirks & W. Hansmann (Hrsg.), Reflexive Lehrerbildung. Fallstudien und Konzepte im Kontext berufsspezifischer Kernprobleme (S. 149–167). Weinheim: Deutscher Studien Verlag.

      Felten, R. von (2005). Lernen im reflexiven Praktikum. Eine vergleichende Untersuchung. Münster: Waxmann.

      Herzog, W. (1995). Reflexive Praktika in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung, Beiträge zur Lehrerbildung, 13 (3), S. 253–273.

      Plöger, W. (Hrsg.) (2006). Was müssen Lehrerinnen und Lehrer können? Beiträge zur Kompetenzorientierung in der Lehrerbildung. Paderborn: Schöningh.

      Schön, D. A. (1983). The Reflective Practitioner. How Professionals Think in Action. New York. Basic Books.

      Schön, D. A. (1987). Educating the Reflective Practitioner. San Francisco: Jossey-Bass.

      Wittenbruch, W. (2007). Stichwort: Reflexives Lernen, Engagement. Zeitschrift für Erziehung und Schule, 1, S. 31–43.

      Auszug aus: Felten, R. von (2011). Lehrerinnen und Lehrer zwischen Routine und Reflexion. In H. Berner & R. lsler (Hrsg.), Lehrer-Identität – Lehrer-Rolle – Lehrer-Handeln. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren © 2011 Schneider Verlag Hohengehren, Baltmannsweiler; Verlag Pestalozzianum, Zürich.

      4 Lernen ist nicht Reflex, sondern Reflexion

      Dieser Ausschnitt setzt sich mit den Relationen zwischen wissenschaftlichen Erkenntnissen und den subjektiven Theorien von Lehrpersonen und ihrem Handeln auseinander. Der Autor zeigt auf, wie Lehrpersonen sich mithilfe von Reflexion über die eigenen subjektiven Theorien bewusst werden und sie mit handlungsrelevanten Theorien aus der Wissenschaft begründen, überdenken und erweitern können.

      < «Nichts ist praktischer als eine gute Theorie»

      Die Quellenzuschreibung zu dieser listigen Überbrückung des Theorie-Praxis-Grabens reicht von den Philosophen Immanuel Kant und Karl Popper über den Physiker Albert Einstein bis zum Sozialpsychologen Kurt Lewin. Vielleicht stärkt dies noch die universelle Gültigkeit des Bonmots. Wichtiger jedoch als die Herkunft ist die Aussage mit ihrer List: Es wird nicht etwa der Nutzen der Theorie für die Praxis betont, sondern gar die Theorie selbst als praktisch bezeichnet!

      Jede Profession verfügt über ihre Berufstheorie und -wissenschaft, und Professionelle können im Unterschied zu angelernten Hilfskräften ihr berufliches Handeln auf diese Berufstheorie beziehen: Der Maler weiß, wie er Wände und Decke im Bad der Altbauwohnung vorbehandeln und streichen muss, damit der schöne Anstrich nicht nach wenigen Monaten blättert. Er verfügt über eine Berufstheorie. Der Hilfsmaler streicht dann die Farbe in diesem oder jenem Kübel nach Anweisung.

      Auf Bildung übertragen, heißt das: Die professionelle Lehrperson plant ihr berufliches Handeln in Verbindung der Situation mit relevanter und aktueller Theorie. Sie handelt und reagiert in der Praxis theoretisch fundiert, und sie reflektiert den Lehr-Lern-Prozess theoriegeleitet.

      Professionelle Handwerker verfügen über eine differenzierte Berufstheorie, nutzen diese und sind stolz auf sie. Hingegen ist es ernüchternd und auch erschreckend, wie gerade im Bildungsbereich die Berufswissenschaft schlicht kaum zur Kenntnis genommen wird, ja wie es oft gar zum guten Ton gehört, Berufstheorien zu negieren und schlechtzureden.

      Die Lern- und Unterrichtsforschung hat im Laufe der letzten Jahrzehnte gesichertes Wissen zu Lernen und Lehren angereichert und stellt dadurch ganz «praktische» Theorien zur Verfügung.