Emil Wettstein

Berufsbildung (E-Book)


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zum beruflichen Unterricht. Im Oktober beginnen bereits die ersten Studiengänge für Lehrpersonen von Berufsschulen, vorerst in gemieteten Räumen und einem «hölzernen Pavillon» (d. h. einer Baracke!) in Bern-Wankdorf. Im Jahr darauf wird eine französischsprachige Abteilung in Lausanne gegründet, und ab 1979 finden im Tessin italienischsprachige Kurse statt.

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      Abbildung 9 Der Hautpsitz des Schweizerischen Instituts für Berufspädagogik, dem heutigen Eidgenössischen Hochschulinstitut für Berufsbildung, konnte 1986 einen repräsentativen Neubau in Zollikofen (BE) beziehen (G. Herzog und EHB)

      1986 kann der Hauptsitz von Bern in einen repräsentativen Neubau in Zollikofen zügeln. 2007 wird aus dem SIBP das «Eidgenössische Hochschulinstitut für Berufsbildung» (EHB). Inzwischen ist das Arbeitsfeld auf alle Bereiche der Berufsbildung ausgeweitet worden, sowohl bezüglich der Ausbildung als auch der Forschung. (Lustenberger 2010)

      Die Qualifizierung der Lehrpersonen ist auch Thema des Kapitels 24

      Das EHB hat aber auch Konkurrenz bekommen: Verschiedene Pädagogische Hochschulen bilden ebenfalls Lehrpersonen für die Berufsschulen aus, ergänzend zur Ausbildung von Handelslehrerinnen und -lehrern an mehreren Universitäten.

      Im Oktober 1957 schiesst die Sowjetunion überraschend einen Satelliten ins All und beweist damit, dass sie technisch leistungsfähiger ist, als der Westen annahm. («Sputnikschock»). Der Westen leitet eine Aufholjagd ein, an der sich auch die Schweiz beteiligt. Die MEM-Industrie verlangt eine Verdopplung der Ausbildungsplätze für Techniker und Ingenieure. Die «Begabtenförderung» wird zum Anliegen der Bildungspolitik, wobei darunter in erster Linie die Förderung des Mittel- und Hochschulbesuchs verstanden wird. In den 1960er-Jahren entstehen im Rahmen dieser Bemühungen neue Mittelschulen, aber auch neue Technika zur Weiterbildung von Berufsleuten, darunter auch Abendtechnika und ein landwirtschaftliches Technikum.

       Wovon ist die Rede?

      Mittelschulen sind Schulen in der Sekundarstufe II. Die bekanntesten Mittelschulen sind die Gymnasien. Weitere sind insbesondere Handelsmittelschulen, Fachmittelschulen, Berufsmittelschulen. Sie bereiten auf Hochschulen vor, weshalb sie auch als Maturitätsschulen bezeichnet werden. Sie können aber auch doppelqualifizierend sein, also sowohl auf das Erwerbsleben wie auf ein Studium vorbereiten.

      Die im 19. Jh. üblichen Industrie-, Handels- und Kunstschulen umfassten oft zwei Stufen, die wir heute (wie die Langzeitgymnasien) zu Sekundarstufe I bzw. Sekundarstufe II zählen würden. Vgl. auch [Mittelschulen] im Materialienband.

      Die Bestrebungen sind erfolgreich: In den 1960er-Jahren verdoppelt sich sowohl die Zahl der Maturitäten (1960 sind es 3105, 1970 bereits 5959) als auch die Zahl der Studierenden an den Schweizer Hochschulen. Der Drang an die Gymnasien stösst bei den Gymnasiallehrern nicht nur auf Begeisterung, denn ihre Schülerschaft verändert sich. Dies führt dazu, dass eine Studiengruppe von Gymnasiallehrern 1967 einen neuen, weniger anspruchsvollen Typ von Mittelschulen vorschlägt, die «Schule für mittleres Kader». [1967g; 1968c]

      Auch der Anteil an Jugendlichen, die in eine Berufslehre eintreten, wächst. Von den leistungsfähigsten wandert ein Teil an die Mittelschulen ab. «Die Qualität der Lehrlinge hat sich wesentlich verschlechtert», stellt H. Dellsberger, Sektionschef BIGA, fest. [1968g]

      Bereits 1968, im Anschluss an die Präsentation der Schule für mittleres Kader, gibt das BIGA grünes Licht für einen Pilotversuch mit einem Zug mit mehr Allgemeinbildung, genannt «Berufsmittelschule» (BMS). Sie soll die Berufslehre wieder attraktiv für leistungsstarke Jugendliche machen und damit die Abwanderung in die Mittelschulen bremsen. Noch im gleichen Jahr nehmen an der Gewerbeschule Aarau und der Berufsschule BBC in Baden die ersten Berufsmittelschulen ihren Betrieb auf. Ein Jahr darauf ziehen Bern und Zürich nach. Die neuen Schulen sind für die «besten 5 Prozent der Lehrlinge» bestimmt und vermitteln ihnen an einem Tag pro Woche zusätzlichen allgemeinbildenden Unterricht.

      Zu Nachwuchsförderung siehe Kapitel 11, zu BMS und Berufsmatura Kapitel 25

      1970 tritt der SVBU mit einer grossen Tagung unter dem Schlagwort «Berufsbildung im Umbruch» an die Öffentlichkeit. Die Analyse, wonach «zu lange für zu viele zu wenig getan» worden sei, führt zur Forderung: «Die Berufsbildung ist durch Sofortmassnahmen zu verbessern sowie durch mittelfristige und langfristige Pläne auf die Erfordernisse der Zukunft auszurichten.» [1970h] Die Zeit für einen grossen Schritt nach vorn scheint reif zu sein, die Öffentlichkeit erwartet Verbesserungen, auch angeregt durch die 1968 beginnende Studentenbewegung, die Beispiele schlechter Ausbildung in Berufslehren medienwirksam recherchiert hatte. [1970j]

      1970/71 werden von Behörden und Berufsverbänden Reformkonzepte präsentiert. Im Parlament werden mehr einschlägige Vorstösse deponiert als je zuvor. Sogar der Schweizerische Gewerbeverband, nach 1930 eher zu einer konservativ reagierenden Kraft geworden, verlangt Kurse zur systematischen Einführung in die Berufsarbeit und mehr Allgemeinbildung. Der Bundesrat fordert einen echten qualitativen Fortschritt und setzt eine eidgenössische Expertenkommission ein, die diesen vorbereiten soll. Sie präsentiert ihren Schlussbericht 1972. (Grübel 1972)

      Nicht nur in der Berufsbildung herrscht Aufbruchstimmung. 1973 wird dem Volk einen Zusatz zur Abstimmung vorgelegt, der ein «Recht auf Bildung» verlangt. Er wird aber vom Volk abgelehnt. [1973a]

      Im Zusammenhang mit dem Jom-Kippur-Krieg und der Ölpreiskrise 1973 fällt die Wirtschaft in die erste Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg. Die Hoffnung, die zuständigen Behörden und Verbände sicherten Wirtschaftswachstum und Vollbeschäftigung auf Dauer, verschwindet. Die Stimmung kippt. 1974 diskutiert man über Lehrstellenmangel und Umschulung und nicht über Modernisierung und Qualitätssteigerung.

      Zwar wird das Berufsbildungsgesetz revidiert und 1978 verabschiedet. Es enthält einige Reformen von Bedeutung. Von einem Aufbruch, wie ihn 1970 breite Kreise von Politik, Gewerbe und Medien verlangt haben, kann aber nicht mehr gesprochen werden.

      Mehr zu BBG 1978 in Kapitel 07, zu Leistungsschwachen und -starken in Kapitel 18 und 25

      Wie hier dargelegt, war die Gültigkeit des Berufsbildungsgesetzes während des ganzen 20. Jh. und damit auch der Wirkungskreis der Bundesbehörde eingeschränkt. Berufe wie Pflegefachfrau, Landwirt, Altenpflegerin, Briefträger, Förster, Käser, Balletttänzerin, Kondukteur, Naturheilerin, Masseur etc. fielen nicht darunter und wurden – wenig glücklich – unter dem Begriff «Nicht-BIGA-Berufe» geführt. 1985 beispielsweise umfasste die Ausbildung in Berufen mit Regelungen ausserhalb des Berufsbildungsgesetzes 16 Prozent aller Ausbildungsverhältnisse in der Grundbildung. Wie Grafik 3 zeigt, verschwindet die Differenz ab 2004 weitgehend, denn ab 2004 gilt das Berufsbildungsgesetz für alle Bereiche der nichtakademischen Berufsbildung,