Wolfgang Schönig

Gestalten des Schulraums


Скачать книгу

wird. Georg Breidenstein (2004) hat im Anschluss an die Raumsoziologie von Martina Löw (2001) für dieses Raumverständnis den Begriff des relationalen Raums eingeführt und stellt drei gleichzeitig vorhandene Dimensionen der Strukturierung des Klassenzimmers vor. Diese Dimensionen sind der visuelle, der akustische und der haptische Raum. Umgekehrt gilt aber auch, dass die materiale Raumordnung die sozialen Handlungen der Akteure bestimmt. Räumliche Verhältnisse sind nicht allein das Produkt, sondern auch die Bedingung des Handelns. Dies ist insbesondere dort zu bedenken, wo es um das Gelingen der schulischen Bildung im Sinne neuer didaktisch-pädagogischer Prämissen sowie um die Analyse der Machteinflüsse des Raums auf die Heranwachsenden geht (Rieger-Ladich/Ricken, 2009; Kajetzke, 2010; Böhme/Herrmann, 2011).

      Das Interesse am Schulraum ist inzwischen durch zahlreiche Buchpublikationen dokumentiert, und kaum eine pädagogische Fachzeitschrift lässt das Raumthema aus (beispielhaft: PÄD Forum, Heft 6/2009; Engagement, Heft 4/2011; Erziehung & Unterricht, Heft 5, 6/2011), jedoch ist bei Weitem noch nicht geklärt, wie Räume bilden, in welcher Vielfalt und Varianz, mit welcher Intensität und mit welcher Dauer sie das tun. Es ist wohl nicht zu prognostizieren, ob es sich um einen durchschlagenden Trend oder eher um eine vorübergehende Konjunktur handelt, wie Daniel Blömer (2011) sie für die Raumkonzepte der bildungspolitisch angefachten Gesamtschulentwicklung in den 1960er- und 1970er-Jahren vorgestellt hat.

      Bemerkenswert ist, dass seit wenigen Jahren zahlreiche Beispiele gelungener Schularchitektur in der Bundesrepublik Deutschland und im benachbarten Ausland in der Fachliteratur vorgestellt werden (vgl. Watschinger/Kühebacher, 2007; Walden/Borrelbach, 2002; Böhme, 2009b; Dreier u.a., 1999). An ihnen lässt sich manches über das gelungene Zusammenspiel von Architektur und Pädagogik ablesen. Aber sie werfen auch Fragen nach den Gelingensbedingungen auf, Fragen nach den Kosten, der zeitlichen ­Planung, dem Einbezug von Schülern und Eltern in den Planungsprozess oder nach der Festlegung der Pädagogik durch Schulbaurichtlinien in den Bundesländern der BRD.

      In der Praxis sind die Irritationen über die Bindung durch konventionelle Bauverordnungen bzw. Schulbaurichtlinien groß. Dies liegt wohl daran, dass die Verordnungen von den Bauverwaltungen der Schulträger in recht unterschiedlicher Weise für die Bauplanung und Schulbausanierung herangezogen werden. Tatsächlich schreiben sie nur wenige Parameter fest, so etwa die Mindest­fläche oder das Luftvolumen pro Schüler im Klassenzimmer. Das bedeutet, dass darüber hinausgehende Planungsoptionen offen sind und eine groß­zügigere, pädagogisch angemessene Raumplanung Verhandlungssache der Baureferenten der Schulträger, der Architekten und Ingenieure sowie der direkt Betroffenen ist. Die entscheidende Rolle spielen sicherlich die Finanzkraft der jeweiligen Gemeinde, die pädagogische Einsicht des Schulträgers und die Entschlossenheit der Pädagogen, ihre Vorstellungen von einer Schule mit anderem Gesicht zu realisieren. Baurichtlinien können aber auch rigide ausgelegt werden und dadurch einem ›heimlichen Lehrplan des Raums‹ (z.B. Festigung von Macht durch Kontrolle und Disziplinierung, Stilllegung des Schülerkörpers, methodische Engführung des Lernens) Vorschub leisten. Josef Watschinger hat am Beispiel von Südtirol gezeigt, wie wichtig es deshalb für eine pädagogisch legitimierte Schulraumnutzung ist, dass die Bauricht­linien eine flexible Aufteilung von Verkehrs- und Nutzflächen je nach dem pädagogischen Konzept der jeweiligen Schule verlangen (Watschinger, 2011). Aber auch die pädagogische Öffnung von Schulbauricht­linien ist nur dann wirksam, wenn die beteiligten Interessengruppen den Willen aufbringen, gemeinsam ein pädagogisches Raumkonzept zu entwerfen. Dies setzt wiederum voraus, dass die Schule bereits ein pädagogisches Profil hat, zumindest aber anstrebt. Auf eine Formel gebracht: Raumkonzept folgt Schulkonzept!

      Der vorliegende Band geht auf eine Tagung mit dem Thema »Der Schulraum im interdisziplinären Dialog: Neue Kulturen des Lernens und Lebens im Raum der Schule« zurück, die am 7. und 8. Oktober 2011 an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt stattgefunden hat. Die Beiträge der Referentinnen und Referenten sind durch weitere ergänzt worden, um das Fragenspektrum zu vervollständigen. Es ist unser Ziel, den in der Fachliteratur sich abbildenden Dialog zwischen den Disziplinen, aber auch zwischen Theorie und Praxis fortzusetzen und vorhandene Ansätze weiterzuent­wickeln.

      Der Band gliedert sich in fünf