sich der Schulraum von einer ständisch geprägten Nutzungsweise allmählich funktional ausdifferenziert hat. Es wird beschrieben, wie sich das Lernen sowohl in der Lateinschule als auch in der Rechenmeisterschule des 16./ 17. Jahrhunderts für die Schüler unterschiedlicher Standeszugehörigkeit in ein und demselben Raum vollzieht. Ein Frontalunterricht ist der Schule noch fremd. An Beispielen zeigt Göhlich auf, wie in der Epoche der Aufklärung ein neues Verhältnis zu Natur und Körperlichkeit dazu führt, dass Schulen den Lebensbezug stärken und den Unterricht ›erfahrungsorientiert‹ und auf Realien bezogen auszurichten versuchen. Erst mit der Industrialisierung und Militarisierung des preußischen Staates im 19. Jahrhundert werden diese Bemühungen durch einen gegenläufigen Trend zunichte gemacht. Der ›kasernenförmig‹ organisierte wilhelminische Schulbau fordert ein Lernen im Gleichschritt sowie Zentralisierung und Kontrolle der Schülermassen. Das Abrücken von diesem Schulraumtypus ist erst mit der beginnenden Reformpädagogik des frühen 20. Jahrhunderts zu erkennen, die auf die Förderung der Lebensgemeinschaft und die Selbsttätigkeit des Individuums setzt – eine Idee, die ein halbes Jahrhundert später erneut aufgegriffen wird und zu den Konzepten des offenen Unterrichts, der Öffnung der Schule und der Reggio-Pädagogik führt. Einen neuen Typus der Öffnung des Lernraums sieht Göhlich in der Virtualisierung des Lernens: Das Lernen mithilfe von Computertechnologien und in digitalen Netzen bringt unerschöpfliche Lernmöglichkeiten wie auch Gefahren mit sich.
Die Überlegungen von Daniel Blömer setzen in der Nachkriegszeit an, die auf die Rehumanisierung der Erziehung setzt. Das Ideal der multifunktionalen Schulräume, der erzieherischen Tätigkeit im aufgelockerten Klassenzimmer und der flächigen Schulbauten in der 50er-Jahren wird freilich dort konterkariert, wo das Argument der steigenden Geburtenquoten und die Urbanisierung für mehrgeschossige Rasterbauten zu sprechen scheint. Am Beispiel der Gesamtschule zeichnet Blömer nach, wie die veränderte gesellschaftspolitische Lage der 60er- und 70er-Jahre eine stärkere Ausrichtung der Erziehung an Chancengleichheit, Demokratie und sozialem Lernen den Schulbau beeinflusst. Ebenso sollen neue didaktische Orientierungen zu einer Rationalisierung und zugleich Individualisierung des Lernens führen. In den kompakten Schulgebäuden für bis zu 1500 Schüler sollen Sprachlabore, Fachräume, Mediatheken, Tonstudios usw. dem Zeitgeist entsprechen. Gesellschaftsreform und Bildungsreform sollen auch schularchitektonisch in eins gehen. Blömer zeigt, wie die Reformen des Bildungswesens sowohl Architekten als auch Pädagogen veranlassen, gemeinsam über geeignete Schulräume nachzudenken. Gleichwohl macht er auf Diskrepanzen zwischen geplanten und tatsächlichen Schulraumnutzungen von Gesamtschulbauten aufmerksam und zeichnet nach, wie sich eine pragmatische Schulraumnutzung im schulischen Alltag der Gesamtschule durchgesetzt hat.
Christian Rittelmeyer variiert den Blickwinkel, indem er die Qualität heutiger Schulgebäude analysiert. Sein Beitrag bildet eine Klammer zwischen den historisch akzentuierten Texten und denen der folgenden Teile des Buches. Rittelmeyer verdeutlicht an Beispielen, dass die Qualität von Schulräumen von Architekten und anderen Baufachleuten einerseits und den Nutzern der Schulräume andererseits recht kontrovers beurteilt werden kann. Er leitet daraus fünf Forderungen ab, die auf die enge Kooperation der am Schulbau beteiligten Interessengruppen und auf den Widerstand gegen die der Pädagogik ferne stehenden Eigeninteressen von Gruppen und Netzwerken zielen: Sensibilisierung für die Bedürfnisse der Nutzer, Initiativen gegen nutzerfeindliche Interessen, Evaluation der Raumqualität, Verständigung der Lehrerkollegien auf ein umfassendes Bildungsverständnis unter Berücksichtigung der Lebenswelten Heranwachsender, Berücksichtigung der Ergebnisse der Schulbauforschung. Zum letzten Gesichtspunkt zieht Rittelmeyer eigene Forschungsergebnisse heran und referiert drei aus der Schülersicht gewonnene Qualitätskriterien.
Der zweite Teil des Buches schließt an die Qualitätsdiskussion Rittelmeyers an, fokussiert aber die akustische Qualität der Schule. Gerhart Tiesler befasst sich mit der akustischen Sanierung von Klassenzimmern. Es wird anhand von empirischen Studien gezeigt, wie sich Räume mit schlechter Akustik auf das Interaktionsgeschehen im Klassenzimmer auswirken, insbesondere vor dem Hintergrund der ›Öffnung‹ des Lernens. Die physiologischen Vorgänge, hervorgerufen durch akustischen Stress, werden erklärt. Demgegenüber wird an Beispielen erörtert, wie sich die akustische Sanierung von Klassenzimmern auswirkt. Besondere Aufmerksamkeit wird dabei der Beanspruchung der Lehrkräfte gewidmet. Zusammenfassend legt Tiesler dem Leser einige Konsequenzen aus den empirischen Studien nahe. An diese Überlegungen schließt der Text von Christian Nocke unmittelbar an mit der Absicht, Leitlinien für die akustische Gestaltung des Schulraums vorzustellen. Der Autor erklärt in einem knappen Aufriss die Grundlagen und die Bedeutung der raumakustischen Planung und Gestaltung von Räumen. Besonderes Augenmerk wird auf die Nachhallzeit entsprechend der DIN 18041 gelenkt. Anhand unterschiedlicher Raumgrößen und Nutzungsweisen werden Konsequenzen für die raumakustische Planung in Schulen gezogen. Eine empirische Studie an einer Grundschule verdeutlicht die unterschiedlichen raumakustischen Verhältnisse vor und nach der Sanierung von Klassenzimmern.
Um das Klassenzimmer geht es auch im dritten Teil des Buches. Allerdings sind die Beiträge von Wolfgang Schönig und Christina Schmidtlein-Mauderer sowie von Michael Kirch und Kai Nitsche ausschließlich auf die Nutzung des Mobiliars im Kontext von Lehren und Lernen konzentriert. Der Text von Schönig und Schmidtlein-Mauderer referiert eine empirische Studie zum Gebrauch des »flexiblen Klassenzimmers« in verschiedenen Schularten. Dazu werden der gegenwärtige Reformkontext gekennzeichnet und die Bestandteile des flexiblen Klassenzimmers vorgestellt. Anschließend wird anhand von Bildmaterial und exemplarischen Originalzitaten von Lernenden und Lehrenden aufgezeigt, wie das flexible Klassenzimmer tatsächlich verwendet und von beiden Gruppen (teils unterschiedlich) beurteilt wird. Abschließend werden die Ergebnisse kommentiert und Vorschläge für eine Integration des flexiblen Klassenzimmers in den Schulalltag und die Kultur der jeweiligen Schule unterbreitet. Michael Kirch und Kai Nitsche plädieren dafür, den Integrationsproblemen früh zu begegnen, nämlich bereits in der ersten Phase der Lehrerausbildung. Sie stellen flexible Grundschulklassenzimmer vor, die zudem mit einer Anlage für den Video-Mitschnitt ausgestattet sind. Dieses Ensemble wird für die Schulpraktika der Lehramtsstudierenden der Ludwig-Maximilians-Universität München genutzt. Es erlaubt, die Unterrichtsversuche einzelner Studierender zeitgleich in einen benachbarten Seminarraum der Studierendengruppe zu übertragen. Die Studierenden erfahren auf diese Weise, dass das Klassenzimmer keine zu vernachlässigende Größe ist, sondern die räumlichen Verhältnisse bereits bei der Unterrichtsplanung hinsichtlich der Passung mit den anderen Strukturmomenten des Unterrichts wie z.B. mit Zielen, Methoden und Medien sorgfältig bedacht werden müssen.
Dass Schule und Unterricht immer auch mit Machtkonstellationen verbunden sind, wird im vierten Teil des Bandes erörtert. Laura Kajetzke und Jessica Wilde ist wichtig zu verdeutlichen, dass trotz der Bestrebungen der Öffnung von Unterricht auch für das flexible Klassenzimmer die Frage nach Macht und Kontrolle zu stellen ist. Dazu bedienen sich die Autorinnen soziologischer Konzepte, insbesondere der Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) von Bruno Latour. Macht wird mit Foucault und Latour als ein Phänomen gesehen, das nicht allein in der Begegnung von Subjekten erzeugt wird, sondern das auch durch scheinbar periphere Elemente wie die Materialität des Raumes entsteht – der Raum wird zum Akteur. Mit der ANT zeigen Kajetzke und Wilde, wie die Materialität bzw. die Artefaktwelt von »klassischen« und »flexiblen« Klassenzimmern neu vermessen werden kann. Dabei ist auch von Interesse, welche Machtwirkungen – positive wie bedenkliche – durch das flexible Klassenzimmer entstehen können. In einem weiteren Schritt wird der Zusammenhang von Bewegungen und Macht sowie von ermöglichenden und einschränkenden Bedingungen im Klassenzimmer erhellt. Ina Herrmann öffnet den Fokus der machttheoretischen Betrachtung des Klassenzimmers und betrachtet die Schule-Umwelt-Relation unter dem Gesichtspunkt von Öffnung und Schließung. Ihr Text geht von dem Widerspruch aus, dass sich die räumlich-institutionellen Grenzen des Pädagogischen zwar auflösen, aber der Schulraum noch weitgehend auf die Schließung räumlicher Grenzen hin angelegt ist. Mithilfe des poststrukturalistischen Ansatzes von Michel Foucault wird zunächst am Beispiel einer Realschule die Schule-Umwelt-Abgrenzung erklärt. Der Bautypus dieser Schule wird sodann mit der Foucault’schen Figur des »Panopticons« konfrontiert. Danach wird die Mikroperspektive eingenommen und die »zellenförmige« Architektur am konkreten Beispiel gekennzeichnet. Abschließend wird auf die baulichen Hindernisse einer »Entgrenzung des Pädagogischen« durch die Schularchitektur hingewiesen.
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