und aneinandergereiht werden sollte – realisiert worden ist (vgl. Kemnitz, 2003). Der Plan gründet auf der Feststellung des zur reformpädagogischen Avantgarde der Weimarer Republik zählenden Berliner Schulleiters Fritz Karsen, dass die neuen Arbeits- und Gemeinschaftsformen in dem bis dahin gängigen Schulbau an Grenzen stoßen. »Das hieß, dass die alten Schulräume ein Arbeiten in kooperativen Formen, wenn nicht verhinderten, so doch nur ungenügend zuließen, die benötigten Arbeitsmittel und Bibliotheken nicht vor Ort waren und die Lichtverhältnisse für den Gruppenunterricht ungeeignet waren, weil es nur eine Fensterfront im Raum gab« (a.a.O., 257). Der Plan entwickelt einerseits den modernen Schulraum weiter, indem er ihn weiter rationalisiert und den betrieblichen Charakter von Schule unterstreicht, andererseits schließt er an die genannten vormodernen Tendenzen der Öffnung der Schule zur Welt an und entwickelt diese weiter. So soll das Schulgelände zur es umschließenden Siedlung hin nicht umzäunt, sondern offen sein. Statt Holztüren sollen Glastüren eingesetzt werden. Für die Außenwand ist überhaupt viel Glas vorgesehen, zudem fällt durch das Flachdach Oberlicht ein. So entstehen »helle Räume, die schon durch ihre Einrichtung die Energie auf nützliche Ziele lenken, Räume, über denen niemand durch Lärm stören kann [die Schule war bis auf die Fachräume einstöckig geplant, M. G.], aus denen man entweder durch die Schiebetüren unmittelbar ins Freie, in die davorliegende Pergola geht oder auf der anderen Seite in den Korridor« (Karsen, zit. n. Kemnitz, 2003, 264). Fast schon selbstverständlich erscheint, dass Tauts Plan einen Werkhof vorsieht, in dem Jungen und Mädchen nähen, zeichnen sowie mit Holz und Pappe arbeiten; aber auch Sport- und Schwimmhalle, Küche und Speisesaal machen deutlich, dass hier Schulraum als Lebensraum gedacht ist.
5 Neue Reformpädagogik (spätes 20. Jahrhundert)
Diese Konzeption des Schulraums als Lebens- und Erfahrungsraum wird in den neuen Reformpädagogiken wiederbelebt, die mit den gesellschaftlichen Umbrüchen der späten 1960er-Jahre einsetzen und sich insbesondere in den 1970er- und 1980er-Jahren ausformen. So findet sich der Einbezug der Außenwelt in den Schulraum, die Simulation von Abenteuer und außerschulischem Leben beispielsweise in der Laborschule Bielefeld, in der zudem auch das Großraum-Modell der Vormoderne reaktiviert wird, aber auch in den freien Alternativschulen der 1980er-Jahre, deren Räume durch Kinder, Eltern und Lehrer zumindest partiell, mancherorts sogar überwiegend als Spielräume, Werkstätten, Liege- und Toberäume eingerichtet wurden, sowie in den Bepflanzungen, Kuschelecken, Streichelzoos und Lernwerkstätten »offener« Regelschulen (vgl. Göhlich, 1998 sowie Abb. 10).
Abbildung 10
Aus dem Wettbewerb »Schülerfreundliches Klassenzimmer« (Mitte 1980er-Jahre)
Quelle: Lehrer und Schule heute, Sonderheft 1988, 41
Die entschiedenste Weiterentwicklung des Raums pädagogischer Einrichtungen erfolgt in jenen Jahren allerdings im kleinkindpädagogischen Bereich, in den Kindertagesstätten von Reggio Emilia, in denen der pädagogische Ansatz entsteht, der heute im deutschsprachigen Raum als Reggio-Pädagogik bekannt ist. Der Raum gilt der Reggio-Pädagogik als dritter Erzieher (neben den beiden Gruppenerzieherinnen). Er ist in viele kleine, funktional differenzierte Bereiche unterteilt, die mit den Kindern unmittelbar zugänglichem und regelmäßig aktualisiertem Material ausgestattet sind. Jede Einrichtung besitzt neben den Gruppenräumen auch ein Atelier, zudem befindet sich in der Regel neben jedem Gruppenraum ein Miniatelier, in dem Farben, Papier, Scheren ebenso zu finden sind wie nach Farben und Formen sortierte Knöpfe, Blätter, Textilreste, Muscheln. Es gibt eine Verkleidungsecke (s. Abb. 11), eine Wohnküche in Kindergröße, eine Leseecke und anderes mehr.
Abbildung 11
Reggianische Kindertagesstätte (1985)
Quelle: Göhlich, 2009a, 106
6 Postmoderne/Virtualisierung (21. Jahrhundert)
Von einem Schulraum der Postmoderne zu reden, ist zugegebenermaßen fragwürdig, wird doch der Begriff der Postmoderne selbst nicht einheitlich verwendet. Wenn der Versuch hier dennoch unternommen wird, so geschieht dies mit Blick auf den Mediatisierungssprung der letzten Jahrzehnte, der die Gestaltung des Schulraums vor gänzlich neue Herausforderungen stellt. Der virtuelle, nur im Datennetz vorhandene Raum ist als Schulraum zu entdecken und zu gestalten. Zugleich ist der physische Schulraum mit dem virtuellen Raum zu verbinden. Michael Scheibel (2008) hat an der kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburgs, der Radiokonzeption Brechts, der Fernuniversität Hagen, der ETH World und anderen Beispielen die Entwicklung virtueller Lehr- und Lernräume herausgearbeitet. Dabei wird bekräftigt, was ich für die Entwicklung von der frühen Neuzeit bis ins 20. Jahrhundert aufgezeigt habe (s.o., vgl. Göhlich, 1993): dass die räumliche Entwicklung stets eng mit der Schul- bzw. Unterrichtsentwicklung und dem Wandel der Bilder von Mensch und Welt zusammenhängen.
Die Vor- und Nachteile der Virtualisierung lassen sich nach Otto Peters, dem Gründungsrektor der Fernuniversität Hagen, folgendermaßen umreißen:
Die Stärken [des physischen Lernraums, M. G.] sind vor allen Dingen […] die geistige Intimität. Sagen wir wenigstens die Möglichkeit zur geistigen Intimität, und die kann hervorragend sein. Dies ist im virtuellen Raum uneinholbar. Der zweite Vorteil im physischen Raum ist eine Form der Kommunikation, die naturwüchsig ist. Diese Form der Kommunikation kommt jeden Tag vor, wird von klein auf eingeübt und ist das Ergebnis einer unendlich langen Tradition. Sie ist selbstverständlich und wird bei der Vermittlung von Wissen zu einem Mittel des Unterrichts. Beim Arbeiten am Computer ist die Kommunikation dagegen künstlich und abstrakt und wurde nicht im Alltag der Lebenswelt eingeübt. Gleichwohl – und jetzt kommen wir in eine anthropologische Dimension – hat sich die Ausstattung des Menschen im Laufe der Jahrhunderte stark verändert. Der Mensch im Industriezeitalter ist naturgemäß in vielfacher Beziehung ein anderer als im Agrarzeitalter. Ich könnte mir vorstellen, dass die Entwicklung im Laufe von weiteren Jahrzehnten zu einer derartigen Gewöhnung an die Computertechnologien und die virtuellen Lernräume führen wird, wie wir es uns noch gar nicht vorstellen können. In diesem Bereich werden Entwicklungen geschehen, die auf eine Fusion des Biologischen und Technischen zielen. Dies ist etwas, was wir heute befürchten, weil wir das Humanum retten wollen. Wahrscheinlich ist es aber gar nicht zu retten, und die Menschen werden in drei oder vier Jahrzehnten möglicherweise über unsere Bedenken lachen. (Peters, zit. n. Scheibel, 2008, 78)
Wer Kinder im familiären Alltag ihres Kinderzimmers heute am Computer beim alltäglichen Downloaden, Chatten und Skypen erlebt, ahnt, dass die von Peters avisierte Entwicklung gar keine drei oder vier Jahrzehnte mehr dauern wird. Zu erwarten ist, dass das, was in Hochschulräumen bereits an Virtualisierung geschieht, in nächster Zeit auch in Schulräumen stattfinden wird. Exemplarisch ist deshalb die ETH World anzuführen, ein Planungskonzept zur Umstrukturierung und Virtualisierung der ETH Zürich.
Im Jahr 2000 wurde von ETH World ein internationaler Wettbewerb ausgeschrieben, der die Herstellung einer Beziehung zwischen physischer und virtueller Hochschul-Infrastruktur als Aufgabe stellte. Nicht die Fernuniversität sollte als Leitbild dienen, sondern eine integrale Infrastruktur, in der durch die Kombination von physischen und virtuellen Elementen eine erweiterte Realität geschaffen wird. […] Das Preisträger-Projekt beyond luxury […] entwickelt praktische Ideen für die permanente und persönliche Anbindung ans ETH-Netz: Smart Cards und Wearables. Beispielsweise eine einfache Card im Kreditkartenformat, deren intelligentes Innenleben einerseits die elektronische Identifikation ihres Trägers und andererseits den Wireless-Anschluss an alle erdenklichen ETH-Daten ermöglicht. Dasselbe als Accessoire zur Alltagskleidung: miniaturisierte Info-Portale zur ETH-Welt. Die individuelle Konfiguration der