S. 38; Schabram, 2007, S. 7), weil die Einstufung einer Aufgabe als Problem vom je individuellen Kenntnisstand der Schülerin oder des Schülers abhängt. Für die Unterrichtspraxis ist somit eine Unterscheidung zwischen Aufgabe und Problem wenig zielführend, da der Einsatz von Problemen als spezifische Art von Aufgaben an das Verhältnis zwischen den Lernvoraussetzungen der Schülerinnen und Schüler und dem Anforderungsniveau der Aufgaben geknüpft ist.
Als übergreifendes Verständnis für eine Aufgabe lässt sich folgender gemeinsamer Kern bestimmen, der auf alle Fächer übertragbar ist:
Eine Aufgabe umreißt eine Anforderungssituation, die Lernende zur inhaltlichen Auseinandersetzung mit einem Sachverhalt veranlasst. Sie ist Teil einer Angebot-Nutzungs-Struktur, die es notwendig macht, zwischen dem Potenzial der Aufgabe (Angebotsseite) und der tatsächlichen Aufgabenbearbeitung (Nutzungsseite) zu unterscheiden. Aufgaben folgen in diesem Sinne einem (fach-)didaktischen Aufgabenverständnis, das offenlässt, in welchem Maße Aufgaben von außen an die Lernenden herangetragen oder durch sie selbst entwickelt und formuliert werden. Dieses Verständnis lässt auch offen, ob Aufgaben schriftlich oder mündlich erteilt werden. Fragen und Anweisungen im Rahmen des Klassenunterrichts gelten in den folgenden Ausführungen nicht als Aufgaben. Zudem wird auf eine Unterscheidung zwischen Problem und Aufgabe verzichtet, sodass in diesem Verständnis sowohl einfache Übungsaufgaben als auch komplexe Problemaufgaben eingeschlossen sind.
1.1.1 Aufgaben als konstitutive Elemente des Unterrichts
Aufgaben werden im Unterrichtsalltag oft gleichgesetzt mit dem präsentierten Material (z. B. Arbeitsblatt, Lehrmittel) und den Organisationsformen (z. B. zu zweit arbeiten, in der Kleingruppe diskutieren). Doch bereits Doyle (1983) hat deutlich gemacht, dass Aufgaben nicht nur Oberflächenphänomene bezeichnen, sondern auf eine Tiefenstrukturebene des Unterrichts zielen, auf der sie Lernprozesse initiieren, steuern und organisieren: »Tasks influence learners by directing their attention to particular aspects of content and by specifying ways of processing information. These effects are clearly apparent in the contrast between semantic and nonsemantic processing, that is, the processing of information for meaning versus the processing of information for surface features« (ebd., S. 162). Folglich sind Aufgaben situationsgebundene Denk- und Handlungsanweisungen, welche die Grundstruktur potenzieller Lerngelegenheiten definieren (vgl. Jordan et al., 2006, S. 11), das heißt: Sie durchdringen den Unterricht!
Wie ist dies zu verstehen? Sofern Aufgaben tatsächlich den Unterricht durchdringen, müsste dies an einem geeigneten Modell, das sowohl auf die Oberflächen- als auch auf die Tiefenstruktur von Unterricht fokussiert, aufgewiesen respektive geprüft werden können.
Als Modell hierfür eignet sich das didaktische Dreieck, durch das sich Unterricht jenseits einer bestimmten Organisationsform in seiner ganzen Komplexität abbilden lässt. Das didaktische Dreieck beschreibt die Grundfigur des didaktischen Vermittlungszusammenhangs und findet sich in der Literatur stets in neuen Kontexten, Formen und Anwendungen wieder (vgl. z. B. Gruschka, 2002; Reusser, 2006; Schneuwly, 2014). Die Figur des didaktischen Dreiecks ist ein gleichseitiges Dreieck, dessen drei Eckpunkte für je ein konstitutives Element von Unterricht stehen: Lerngegenstand (oder Thema), Schülerinnen und Schüler, Lehrkraft; die drei Seiten des Dreiecks stehen für die Beziehungen zwischen den konstitutiven Elementen von Unterricht.
Reusser (2006, 2014) beschreibt die drei Grunddimensionen des didaktischen Dreiecks als »Teilkulturen« von Unterricht, die sich folgendermaßen charakterisieren lassen (Abbildung 1.1):
•Die Ziel- und Inhaltskultur steht für die bildungsinhaltliche oder curriculare Dimension des Unterrichts. Es geht um das »Was« des Unterrichts, um die Frage, was warum und wozu gelernt werden soll.
•Die Lernkultur bezieht sich auf das »Wie« des Unterrichts, auf die Inszenierung des Lernens, das heißt die Lernprozessstruktur mit den Formen, in denen der Lernprozess stattfindet.
•Die Dialog- und Unterstützungskultur bezieht sich auf die Interaktions- und Partizipationsstrukturen sowie die Kommunikations- und Beziehungsgestaltung zwischen der Lehrkraft und den Lernenden und zwischen den Lernenden untereinander.
Nach Reusser (2006) können die drei Kulturen als »fachübergreifende Struktur verstanden werden, in der sich das pädagogische Sehen, Denken und Handeln von Lehrpersonen, bezogen auf ihre Kernaufgabe, artikuliert« (ebd., S. 161).
Bringt man Aufgaben mit dem didaktischen Dreieck in Verbindung, so wird deutlich, dass Sie in allen drei Dimensionen und Teilkulturen des didaktischen Dreiecks bedeutsam sind:
1. Hinsichtlich der Ziel- und Inhaltskultur erscheinen Aufgaben als zentrale Bestandteile der Unterrichtsqualität, weil die inhaltliche Qualität des Unterrichts wesentlich durch die sachliche und pädagogische Aufgabenqualität bestimmt wird (vgl. Müller & Helmke, 2008, S. 31): Aufgaben repräsentieren fachinhaltliche Kernideen und lenken den Blick auf jene Konzepte, Zusammenhänge, Prozesse, Fertigkeiten und Haltungen, die den Bildungsgehalt von Lehr-Lern-Situationen auszeichnen und an denen sich fachliche und überfachliche Kompetenzen erwerben lassen.
2. Im Rahmen der Lernkultur erscheinen Aufgaben in Hinblick auf den Kompetenzaufbau und die Kompetenzentwicklung. Aufgaben initiieren und strukturieren Lernprozesse, sie konkretisieren Lernergebnisse, indem sie sie operationalisierbar machen. Aufgaben spielen eine nicht zu unterschätzende Rolle für die Bearbeitungsqualität und die Qualität der Prozesse, durch die in der Schule gelernt wird. Nachhaltig sind Aufgaben, wenn sie nicht nur ein kurzfristiges Ziel ansteuern, sondern in ein Curriculum zum Aufbau fachlicher und überfachlicher Kompetenzen eingebunden sind (vgl. Leisen, 2006, S. 266).
3. Im Rahmen der Dialog- und Unterstützungskultur erscheinen Aufgaben unter dem Aspekt der effektiven Gestaltung der Lernsituation. Es sind aufgabenbezogene Diskurse der Lernenden untereinander oder zwischen den Lernenden und der Lehrkraft, die tiefere Verarbeitungsprozesse auslösen und Einblicke in die Vorstellungen, Erfahrungen und Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler geben. Aufgaben stehen somit im Dienste des Sichtbarmachens von Wissen und Fähigkeiten. Wird Lernen sichtbar gemacht, sind auch adaptive und individuelle Unterstützungsleistungen möglich.
In Anlehnung an Reusser (2014) lassen sich somit für die drei Dimensionen des didaktischen Dreiecks neu folgende drei Teilkulturen bestimmen, die für eine vertiefte und weitergehende Auseinandersetzung mit Aufgaben interessant sind: 1. die Qualität der einzelnen Aufgabe, 2. die funktionale Qualität der Aufgaben im Lernprozess und 3. die Qualität der Einbettung in die jeweilige Unterrichtssituation, in der die Aufgaben bearbeitet werden. Und wenn unter »Aufgabenkultur«[5] die Art und Weise zu verstehen ist, wie Lehrende und Lernende im Unterricht mit Aufgaben umgehen (vgl. z. B. Bohl et al., 2013, S. 7; Kless, 2014, S. 93), dann operationalisieren diese drei Teilkulturen – bezogen auf den Kompetenzaufbau – das Konzept »Aufgabenkultur« auf einer neuen, konkreteren Ebene.
Das didaktische Dreieck kann aufgrund dieser Überlegungen wie folgt entwickelt werden (Abbildung 1.2): Es präsentiert sich im Konzept einer kompetenzfördernden Aufgabenkultur mit den drei Teilkulturen »Aufgabenqualität« (auf der Ziel- und Inhaltskulturebene), »Lernprozessqualität« (auf der Lernkulturebene) und »Qualität der Aufgabensituation« (auf der Dialog- und Unterstützungskulturebene).
Durch die bisherigen Ausführungen wird deutlich:
Aufgaben sind das konstitutive Element des Unterrichts. Sie sind zugleich Träger der Lerninhalte (Aufgabenqualität) und Strukturgeber für die Aktivitäten der Schülerinnen und Schüler (Lernprozessqualität) sowie Stifter von Interaktionen und Lerndialogen zwischen der Lehrkraft und den Schülerinnen und Schülern (Qualität der Aufgabensituation).
1.1.2 Aufgabenqualität: Die Ziel- und Inhaltskultur
Seit Jahren wiederholen sich Klagen wie: Unsere