Herbert Luthiger

Kompetenzförderung mit Aufgabensets


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ersetzen, aber sinnvoll ergänzen und vermutlich zu einer Verbesserung der Lehrer-Schüler-Interaktion beitragen. Deshalb sollte z. B. ein Lob des Lehrers die sachbezogenen Aspekte der Aufgabe einbeziehen, hierbei wertschätzende Anerkennung guter Leistung mit aufgabenrelevanten Argumenten verknüpfen, vornehmlich an individueller Bezugsnorm orientiert sein und konstruktive Kritik zur Überwindung von Fehlern anbieten. (Jacobs, 2008, S. 109)

      Rückmeldungen sind von verschiedenen Seiten und auf unterschiedliche Weise möglich. Üblicherweise gibt die Lehrkraft Rückmeldungen. Inzwischen liegen aber vielfältige Formen der Selbst- (z. B. Portfolios, Lernjournale, Lerntagebücher) und der Fremdbeurteilung durch Mitschülerinnen und -schüler (z. B. Textlupe, wandernde Texte) vor.

      4. Grundlage für eine aufgabenbezogene Lernbegleitung ist die Qualität der Beziehung zwischen der Lehrkraft und den Lernenden, die sich in emotionaler und motivationaler Lernunterstützung konkretisiert. Weil der Aufbau von Kompetenzen aus Sicht der Lernenden mehrere und unterschiedliche Aktivitäten einschließt – Kontakt herstellen, Aufmerksamkeit auf einen Lerngegenstand richten, Informationen aufnehmen, diese mit dem eigenen Vorwissen verknüpfen, Strukturen bilden, eigene Schlüsse ziehen usw. – und somit elaborierende Lernprozesse bedingt, ist den Lernenden in dieser Phase explizit das Recht auf Fehler einzuräumen. Vor allem in Situationen, in denen Aufgaben bearbeitet werden, können Lehrkräfte entscheidend dazu beitragen, positive Bedingungen für das Lernen zu schaffen, indem sie Fehlersuchprozesse anregen und mit den Schülerinnen und Schülern über gelungene und misslungene Versuche nachdenken. Dies erfordert von der Lehrkraft eine aktivierende physische und psychische Präsenz, aus der heraus sich ein niederschwelliges und lösungsorientiertes Interventionsverhalten gestalten lässt.

      Die Lehrkraft benötigt für die aufgabenbezogene Lernbegleitung ein ganzes Bündel von fachlichen, fachdidaktischen, diagnostischen, kommunikativen und sozialen Kompetenzen. Lepper, Drake und O‘Donnell-Johnson (1997) fassen dieses Kompetenzbündel in ihrem INSPIRE-Modell wie folgt zusammen (Abbildung 1.4):

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      Fazit: Aufgaben sind selten didaktische Selbstläufer. Vor allem für mittlere oder schwächere Schülerinnen und Schüler ist eine klug dosierte aufgabenbezogene Lernbegleitung wichtig. Diese setzt voraus, dass Lehrkräfte Schülerinnen und Schüler beim Aufgabenlösen beobachten und sich über die individuellen Lernvoraussetzungen und die spezifischen Anforderungsstrukturen von Aufgaben ins Bild setzen, damit sie zu einer kognitiv empathischen und wirksamen Lernbegleitung fähig sind. Ob Aufgaben ihr Lernpotenzial entfalten, hängt nicht nur von der Aufgabenstellung ab, sondern auch von einer auf fachliche Lerntiefe zielenden didaktisch-methodischen Unterstützung.

      Aufgaben geben Impulse zur möglichst selbstständigen Auseinandersetzung mit einem Lerngegenstand und sind damit wesentlicher Bestandteil des kompetenzfördernden Unterrichts. Sie sollen Lernprozesse so steuern, dass das mit den Bildungsstandards angestrebte Wissen und Können gelernt wird. Darüber hinaus sollen sie fachliche und überfachliche Kompetenzen fördern, die zum Handeln in der Gesellschaft und zur Bewältigung und Gestaltung des eigenen Lebens befähigen. Gründliche fachliche, didaktische, diagnostische und unterstützende Fähigkeiten sind verlangt, um ein Lernangebot machen zu können, das dieser anspruchsvollen Doppelaufgabe gerecht wird. (Wie) werden Lehrerinnen und Lehrer dabei unterstützt? Um mit Aufgaben relevante kognitive Aktivitäten zu initiieren, sind sowohl Makroprozesse als auch Mikroprozesse des Lernens im Unterricht zu betrachten (vgl. Schmit, Peters & Kiper, 2014, S. 25). Makroprozesse des Lernens folgen den im Lehrplan festgelegten fachspezifischen und überfachlichen Kompetenzen und Kompetenzstufen. Der Kompetenzerwerb wird als Ganzes in den Blick genommen. Folglich sind, wie in Abschnitt 1.1.3 ausgeführt, die funktionalen Qualitäten von Aufgaben hinsichtlich ihrer Stellung im Kompetenzerwerb zu erfassen und entlang dieser Logik zu typisieren.

      Ob Aufgaben lernwirksam sind, hängt auf der Mikroebene des Lernens insbesondere von der Aufgabenqualität ab, also vom Potenzial der Einzel­aufgabe hinsichtlich ihrer Lernwirksamkeit im Lernprozess. Instrumente, mit denen das Potenzial von Aufgaben analysiert werden kann, liegen heute – wie in Abschnitt 1.1.2 deutlich wurde – seitens der Fachdidaktiken und der Allgemeinen Didaktik vor.

      Die meisten Lernprozessmodelle und Aufgabentaxonomien lassen jedoch die typischen Merkmale von Aufgaben unberücksichtigt, die maßgeblich durch ihre didaktische Funktion und Stellung im Lernprozess geprägt sind. Dadurch bleibt unklar, für welche Aufgabensituationen sich welche Aufgaben besonders gut eignen, um im Unterricht eingesetzt zu werden.

      Dem Desiderat, zwischen der Makro- und der Mikroprozessebene zu vermitteln, versucht das in diesem Kapitel exponierte LUKAS-Modell zu begegnen (vgl. Wilhelm, Luthiger & Wespi, 2014b). Das in LUzern entwickelte Modell zur Entwicklung Kompetenzfördernder AufgabenSets (ebd.) nimmt den Kompetenzerwerb über die funktionalen Qualitäten von Aufgaben im Lernprozess in den Blick und stiftet somit einen Zusammenhang zwischen den drei Qualitäten der Aufgabenkultur, die Gegenstand von Abschnitt 1.1 waren: der Aufgabenqualität, der Lernprozessqualität und der Aufgabensituation. Das LUKAS-Modell besteht zum einen aus einem Lernprozessmodell, zum anderen aus einem Kategoriensystem. Es zielt darauf, auf Basis lernpsychologischer Erkenntnisse kompetenzfördernde Aufgabensets entwickeln zu können, die den Kompetenzerwerb nachhaltig fördern.

      In Abschnitt 1.3 wird das LUKAS-Lernprozessmodell vorgestellt, das zur Identifikation verschiedener Aufgabentypen entlang ihrer didaktischen Funktion im Lernprozess verhilft.

      In Abschnitt 1.4 wird das LUKAS-Kategoriensystem erläutert, das dazu dient, die für die Aufgabentypen relevanten Merkmale und Merkmalsausprägungen zu erkennen.

      In Abschnitt 1.5 schließlich werden die beiden Instrumente zum LUKAS-Modell zusammengefügt, auf dessen Basis sich kompetenzfördernde Aufgabensets entwickeln lassen.

      In einem kompetenzfördernden Unterricht sind unterschiedliche Aufgabentypen relevant, die entlang instruktionspsychologischer Ansätze geordnet werden können (vgl. Luthiger, 2014, S. 63–65): Es sind Aufgaben bereitzustellen,

      1.die der Lernunterstützung dienen und einen Lernprozess zum Erwerb und/oder zur Veränderung von Kompetenzen auslösen;

      2.die auf Basis der Ergebnisse von vorher bearbeiteten Aufgaben eine zielgerichtete Vertiefung oder Festigung der erworbenen Kompetenzen ermöglichen;

      3.die eine möglichst angemessene Überprüfung und Diagnose des Kompetenzstandes ermöglichen;

      4.die standardisiertes Überprüfen ermöglichen.

      Für diese vier Aspekte sind grundsätzlich zwei unterschiedliche Typen von Aufgaben notwendig (vgl. Senn, 2009, S. 90):

      •Für den ersten und zweiten Aspekt ist ein Aufgabentyp erforderlich, der einerseits dem Aufbau und der Entwicklung von Kompetenzen dient und andererseits Übungszwecke erfüllt.

      •Für den dritten und vierten Aspekt wird ein Aufgabentyp zur Überprüfung und Diagnose von Kompetenzen benötigt.

      Hier zeichnet sich eine Trennung zwischen Aufgaben für den Kompetenz­erwerb (Lernaufgaben) und Aufgaben für die Kompetenzüberprüfung ab, mit denen der Grad der Ausprägung einer Kompetenz festgestellt werden soll (Beurteilungsaufgaben).[9]

      Die Unterscheidung zwischen Lern- und Beurteilungsaufgaben ist deshalb sinnvoll, weil der Erwerb von Kompetenzen anderen psychologischen Gesetzmäßigkeiten folgt als deren Nachweis (vgl. z. B. Köster, 2008, S. 4; Luthiger, 2014, S. 82–83): In Lernsituationen soll eine breite Palette von Lernaufgaben dafür sorgen, Schülerinnen und Schüler in ein Thema einzuführen und fachliche und überfachliche Kompetenzen verständnisbezogen aufzubauen. Die Aufgaben sind deshalb darauf angelegt,