zweiten Typ die Übungsaufgaben.
Vertiefungsaufgaben (→ Va)
Epistemologische Funktion: Beim Vertiefen soll das zuvor erarbeitete Wissen und Können geprüft, flexibilisiert, vernetzt und für den Transfer bereitgestellt werden. Kenntnisse (deklaratives Wissen) und Fertigkeiten (prozedurales Wissen) werden in verschiedenen Kontexten und unter wechselnden Aspekten eingesetzt. Dabei werden Sachverhalte, Fertigkeiten oder Konzepte nicht mehr in dem Zusammenhang angewendet, in dem sie ursprünglich gelernt worden sind, sondern auf unterschiedliche Aspekte des Lerngegenstandes übertragen. Das Bearbeiten von Vertiefungsaufgaben ist ohne das Verstehen des bisher Gelernten nicht denkbar – aus epistemologischer Perspektive führt dieser Aufgabentyp zu einem überlegten, flexiblen und beweglichen Verwenden von Begriffen und Operationen. Das neu zu Lernende wird mit dem zuvor Gelernten in Beziehung gesetzt und vernetzt, damit es stabil und nachhaltig zur Verfügung steht. Es geht primär darum, durch vielfältiges Durchdenken von Wissensstrukturen, durch Denken in Variationen oder verschiedenen Perspektiven ein tieferes und breiteres Verständnis zu erzielen.
Didaktische Funktion: Ziel der Vertiefungsaufgaben ist es, Wissen und Können zu elaborieren. Damit ist gemeint, dass es in verschiedenen Richtungen oder unter verschiedenen Fragestellungen durchdacht und analysiert, das heißt durchgearbeitet wird (vgl. Aebli, 1997, S. 235–242). Mit Vertiefungsaufgaben sollen die erarbeiteten Kompetenzaspekte unter leicht variierenden Bedingungen mehrfach rekonstruiert werden, sodass die Essenz eines Inhalts besser verstanden wird: Vertiefungsaufgaben pflegen das »inhaltliche Denken« (Prediger, 2009, S. 168). Hierbei können – mehr oder weniger anspruchsvolle – variantenreiche Verfahren zum Einsatz kommen (vgl. Grunder et al., 2007, S. 290–291):
•Umorganisieren: Ein Lerninhalt soll zum Beispiel zusammengefasst, in eine neue Hierarchie gebracht oder in einer Tabelle abgebildet werden.
•Umkehren: Es soll geprüft werden, ob eine Operation sowohl in der einen als auch in der anderen Richtung ausführbar ist, zum Beispiel werden Addition und Subtraktion, Multiplikation und Division nicht mehr isoliert, sondern vermischt geübt; eine Bildergeschichte von verschiedenen Bildern ausgehend wird vorwärts oder rückwärts erzählt; es wird geprüft, ob Stoffe sich durch Erhitzen und Abkühlen verändern.
•Variieren: Es sollen beispielsweise möglichst viele Lösungswege zu einer Aufgabe gesucht oder die Aufgabenstellung soll leicht verändert werden (z. B. wird die Operation »Teilen« auf Gegenstände, Flüssigkeiten oder Volumina bezogen), die Darstellungsweise soll anders repräsentiert werden (z. B. wird ein Säulendiagramm in ein Kuchendiagramm verwandelt) oder die Perspektive auf einen Lerninhalt soll gewechselt werden (z. B. wird eine Geschichte aus der Sicht verschiedener Beteiligter erzählt). Die Förderung der geistigen Beweglichkeit und Offenheit der Schülerinnen und Schüler in Bezug auf die zu lernenden Inhalte trägt dazu bei, dass sie sich keine unverstandenen (Standard-)Lösungen einprägen und keine einseitigen Fixierungen vornehmen, sondern unterschiedliche Aspekte eines Sachverhaltes sehen lernen.
•Erfinden: Es sollen Aufgaben mit verschiedenen Lösungen entwickelt werden als Indiz dafür, dass der Lerninhalt verstanden worden ist (z. B. werden Rechengeschichten oder Zahlenmauern erfunden).
Vertiefungsaufgaben verschaffen den Schülerinnen und Schülern Gelegenheiten zu prüfen, wie weit die in der Erarbeitung erworbenen Fähigkeiten (bisher) reichen und wie tragfähig sie sind. Ziel dieses Aufgabentyps ist es, Schülerinnen und Schüler zu produktiver und verstehender Lernarbeit anzuregen und zur Flexibilität des Denkens beizutragen.
Fazit: Durch variantenreiche Vertiefung soll eine Ausdifferenzierung der erarbeiteten Kompetenzaspekte bewirkt werden. Vertiefungsaufgaben dienen einerseits einem konsolidierten und nachhaltigen Wissensaufbau, andererseits ermöglichen sie die Vernetzung unterschiedlicher Aspekte des Lerngegenstandes und bedienen die höheren Anforderungen. Man bezeichnet dies häufig als intelligentes und produktives Üben.
Übungsaufgaben (→ Üa)
Epistemologische Funktion: Üben führt zum Können! Die epistemologische Qualität von Übungsaufgaben ist es, deklaratives Wissen und Fertigkeiten auf eine Weise verfügbar zu machen, dass sie möglichst leicht und ohne besondere Aufmerksamkeitsleistungen abrufbar bzw. anwendbar sind. Verinnerlichte Kenntnisse und automatisierte Tätigkeiten laufen völlig unbewusst ab, weil »aufgrund intensiven Übens prozeduralisiertes Wissens herauskommt, d. h., dass die Muster ohne mentalen Aufwand abgerufen und eingesetzt werden können« (Steiner, 2010, S. 75). Durch automatisierendes Üben werden also neu angeeignete Wissenselemente und Prozeduren zu zügig anwendbarem Wissen und Können verdichtet. Das Ziel ist dabei, das Individuum bei ihrer Anwendung zu entlasten, um ihm kognitive Kapazitäten für anspruchsvollere Handlungen zu geben. Erfolgreich gelöste Übungsaufgaben verschaffen den Schülerinnen und Schülern Sicherheit und Selbstvertrauen.
Didaktische Funktion: In jedem Fach gibt es sowohl deklaratives Wissen, das man auswendig lernen muss, weil es sich nicht durch Überlegen, Nachdenken oder Verstehen erschließen lässt, und psychomotorische Fertigkeiten, die automatisiert werden sollen. Demzufolge unterscheidet man zwei Typen von Übungsaufgaben:
1.Übungsaufgaben, um dem Vergessen vorzubeugen: Diese Aufgaben verfolgen das Ziel, bereits erworbenes deklaratives Wissen durch Auswendiglernen so zu stabilisieren, dass dieses leicht und ohne besondere Aufmerksamkeitsleistung abrufbar ist, zum Beispiel das Einüben von Begriffen, Regeln, Definitionen, Vokabeln, Einzelfakten.
2.Übungsaufgaben, um Handlungsabläufe oder Wissen zu automatisieren: Diese Aufgaben zielen darauf ab, gewisse Kompetenzaspekte (hier Fertigkeiten) so routiniert und flüssig verfügbar zu machen, dass der Kopf für das Bearbeiten komplexer Probleme frei ist. Beispiele sind das Lösen mathematischer Algorithmen (schriftliche Multiplikation), Bewegungsabläufe im Sportunterricht, rhythmische Fertigkeiten im Musikunterricht.
Für beide Typen gilt: Je besser die Übungsaufgaben in einen für die Lernenden nachvollziehbaren und sinnvollen Gesamtzusammenhang eingebettet sind, desto eher werden die Schülerinnen und Schüler bereit sein – im Gegensatz zu einem reinen Fertigkeitstraining im sinnentleerten Paukunterricht –, sich auf ein konzentriertes, vorübergehend isoliertes Üben und Wiederholen einzelner Elemente einzulassen. Für beide Aufgabentypen gilt auch, dass die Verinnerlichung eines Konzeptes noch nicht dessen Anwendbarkeit garantiert. Denn Automatisieren allein läuft immer Gefahr, träges Wissen zu produzieren, also solches Wissen, das nur in Situationen wiedergegeben werden kann, die den Lern- und Übungssituationen mehr oder weniger ähnlich sind, und das somit nicht auf neue Situationen übertragen werden kann (z. B. zu einer Problemlösung). – Auch dies spricht für variantenreiches Üben und Wiederholen.
Das Herausforderungsniveau von Übungsaufgaben ist dem individuellen Lernstand der Schülerinnen und Schüler anzupassen, um ihnen Erfolgserlebnisse zu ermöglichen. Das Erleben eigener Kompetenz ist ein wesentlicher Faktor für den Aufbau einer längerfristigen Motivation (vgl. Deci & Ryan, 1993). Wichtig ist dazu, dass möglichst während des Übens oder unmittelbar im Anschluss daran eine Erfolgskontrolle durchgeführt wird (Lösungsblätter liegen auf, eine Korrekturmöglichkeit ist in der Aufgabe selbst angelegt, die Lehrkraft korrigiert ausgewählte Aufgaben usw.). Damit wird verhindert, dass Fehler routinisiert werden, die sich später nur noch mit Mühe ausmerzen lassen. Auch können die Schülerinnen und Schüler einen Bezug zur erbrachten Leistung herstellen und so ein Feedback zum eigenen Lernen erhalten.
Übungsaufgaben werden, wie in Abschnitt 1.1.2 dargelegt, im Unterricht sehr häufig mit geringer Wirkung eingesetzt. Im Einzelfall muss die Lehrkraft daher sehr genau prüfen, ob und wie viel automatisierendes Üben an dieser oder jener Stelle des Lernprozesses wirklich zweckmäßig ist, denn Wiederholungen können für sich genommen auch sehr geistlos erfolgen. Genauso wie die Aufnahme von Informationen noch nicht bedeutet, dass dadurch etwas Neues nachhaltig gelernt wurde, ist die bloße Wiederholung von Fakten oder Handlungsabläufen noch keine Garantie dafür, dass das zu Lernende wirklich verstanden und beherrscht wird. Deshalb sollte beispielsweise das Automatisieren von Fähigkeiten niemals allein im Vordergrund stehen, sondern es sollte immer dazu angeregt werden, die Begriffe und Verfahren in ihrer Bedeutung zu sehen, sie näher