Herbert Luthiger

Kompetenzförderung mit Aufgabensets


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Lernerfahrungen gemacht worden sind. Deshalb sind Übungsaufgaben integrativer Bestandteil aller Phasen eines vollständigen Lernprozesses. Durch Übungsaufgaben werden Fertigkeiten automatisiert und Kenntnisse verinnerlicht und vor dem Vergessen geschützt. Neben dem Festigen des Gelernten dienen Übungsaufgaben auch dazu, dass die Schülerinnen und Schüler Vertrauen in das eigene Können gewinnen. Übungsaufgaben sollten differenzierend gestaltet werden, sodass der individuelle Übungsbedarf erfasst und in der Bearbeitung berücksichtigt wird.

      1.3.4 Synthese- (→ Sa) und Transferaufgaben (→ Ta)

      Sind Wissen, Können, Einstellungen aufgebaut, vertieft und geübt, sollten die Schülerinnen und Schüler in der Lage sein, die einzelnen Kompetenz­aspekte und Teilkompetenzen, die sie an einem bestimmten (exem­plarischen) Sachverhalt oder Lerngegenstand entwickelt haben, in einer komplexen Anforderungssituation zur Zielkompetenz zusammenzuführen und/oder die Gesamtheit der Teilkompetenzen auf analoge Probleme bzw. Phänomene anzuwenden. Hierbei zeigt sich, inwieweit und auf welchem Niveau die Schülerinnen und Schüler die Zielkompetenz tatsächlich erreicht haben. Was heißt es nun – im Zusammenhang mit schulischem Lernen –, etwas Gelerntes anzuwenden? Lernpsychologisch gesehen, handelt es sich um Synthese und Transfer. Dementsprechend lassen sich für die letzte Phase eines vollständigen Lernprozesses – die Anwendung – idealtypisch die beiden folgenden Aufgabentypen unterscheiden:

      1.Geht es darum, am Ende einer Unterrichtseinheit Anwendungssituationen zu bewältigen, die innerhalb des Themengebiets liegen und in denen die Gesamtheit der Zielkompetenz situiert ist, dann kommen Syntheseaufgaben zum Einsatz.

      2.Soll die Gesamtheit der erarbeiteten Teilkompetenzen aktiviert und auf gewohnte oder ungewohnte Weise auf neue Kontexte übertragen werden, bezeichnet man die dazu benötigten Aufgaben als Transferaufgaben.

      Sowohl bei Synthese- als auch bei Transferaufgaben geht es um die Analogiebildung, das heißt um die Bezugnahme zu Ähnlichem, bereits Bekanntem, das in einen komplexeren Zusammenhang gestellt wird. Auch in dieser Phase geht es darum, die Schülerinnen und Schüler exemplarisch in ein Phänomen oder Problem aus ihrer Lebenswelt zu »verwickeln«, damit sie sich in ihrer Lebenswelt ein Stück kompetenter zurechtfinden können. Die Schülerinnen und Schüler erweitern dadurch die erworbenen Denk- und Handlungsoptionen und erreichen, wenn dies gelingt, das Niveau der angestrebten Kompetenz. Beide Aufgabentypen zielen auf aktiv-entdeckendes Lernen, regen zum Austausch an und stärken das Kompetenzerleben.

      Syntheseaufgaben (→ Sa)

      Epistemologische Funktion: Das menschliche Weltverständnis stützt sich ganz grundlegend auf Analogiebildungen. Vor diesem Hintergrund überführen Syntheseaufgaben die Phase der Konvergenzbildung beim Erarbeiten, Üben und Vertiefen in die Phase des analogiebildenden Denkens und Handelns. Die Lernenden setzen die bereits erworbenen Kompetenzaspekte miteinander in Beziehung und verweben sie zur Zielkompetenz, damit sie stabil und nachhaltig verfügbar bleiben. Mithilfe von Syntheseaufgaben soll den Schülerinnen und Schülern bewusst werden, welcher Kompetenzzuwachs erreicht worden ist und inwiefern die Denk- und Handlungsoptionen erweitert worden sind (Kompetenz- und Selbstwirksamkeitserleben).

      Didaktische Funktion: Während Vertiefungsaufgaben dem gründlichen Durcharbeiten unterschiedlicher Aspekte des Lerngegenstandes und dem tiefen Verstehen, Vernetzen und Flexibilisieren einer aufgebauten Struktur dienen, intendieren Syntheseaufgaben eine horizontale Kompetenzvernetzung: Die kumulativ aufgebauten Teilkompetenzen werden auf neue Anforderungssituationen innerhalb des Themengebietes angewendet.

      Dabei kann ohne Weiteres nochmals auf die Konfrontationsaufgabe zurückgegriffen werden, die nun zur Syntheseaufgabe umformuliert wird. Dies gilt beispielsweise in Fällen, in denen die Konfrontationsaufgabe nicht vollständig gelöst werden konnte, weil die wesentlichen Teilkompetenzen erst noch erarbeitet werden mussten. Das Wiederaufgreifen der Konfrontationsaufgabe kann aber auch zur Arbeitsrückschau eingesetzt werden. In diesem Fall bietet sie, indem auf den Lernprozess als Ganzes zurückgeblickt werden muss, die Chance, die Nachhaltigkeit des Lernens zu beurteilen. Selbstverständlich ergeben sich solche Situationen nicht nur am Ende einer Unterrichtseinheit, sondern es lassen sich während des gesamten Unterrichts gezielt Aufgaben bearbeiten, die auf diesen Nachhaltigkeitsaspekt fokussieren.

      Für Syntheseaufgaben stehen als Anforderungssituationen lebensweltliche Anwendungen im Vordergrund, die zur selbstständigen, aktiv-entdeckenden Übertragung und Nutzung der gelernten Struktur herausfordern. Das Denken in authentischen Anforderungssituationen ist insofern bedeutungsvoll, da die Bezüge zur Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler einerseits Motivation schaffen, andererseits Wissen, Können und Einstellungen so aktivieren, dass diese nicht an eindimensionale Erarbeitungs-, Übungs- und Vertiefungskontexte gebunden bleiben, sondern in anderen fachlichen und überfachlichen Zusammenhängen genutzt werden können. Die Anwendung des Gelernten auf weitere Felder innerhalb des Themengebiets beugt daher einem trägen Wissen vor. Sowohl Kenntnisse (deklaratives Wissen) als auch Fertigkeiten (prozedurales Wissen) sind die Voraussetzung für Anwendung und Synthese. Wer nichts weiß, kann nichts anwenden!

      Weil Synthese- und Transferaufgaben am Ende eines vollständigen Lernprozesses zum Einsatz kommen – je nach Auflösungsgrad der Kompetenzen handelt es sich dabei um ein Gesamt- oder Zwischenergebnis im kumulativen Kompetenzaufbau –, ist es wichtig, dass sie einfordern, die erworbenen Kompetenzen aufzuzeigen, das heißt, sie kommen in einer Performanz­situation zum Einsatz. Damit werden – auch im Sinne einer Beurteilung des Lernprozesses – Postkonzepte erhoben. Durch ergänzende metakognitive Aufgaben kann in dieser Phase zudem geklärt werden, wie die Schülerinnen und Schüler zu Erkenntnissen gekommen sind und was sie gelernt haben. Der Lernprozess wird insgesamt emotional positiv aufgeladen.

      Fazit: Syntheseaufgaben modellieren Anforderungssituationen, in denen die Gesamtheit der Zielkompetenz situiert ist. Sie führen die erarbeiteten und geübten Kompetenzaspekte, die mit der Konfrontationsaufgabe eröffnet wurden, wieder zusammen und ermöglichen die Verbindung der einzelnen Kompetenzaspekte zur Kompetenz. Damit runden sie – gegebenenfalls zusammen mit einer Transferaufgabe – den Lernprozess ab. Durch das Lösen von Syntheseaufgaben wird den Schülerinnen und Schülern bewusst, dass sie etwas (neu oder besser) können, was sie vorher noch nicht konnten. Das stärkt das Vertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit und fördert das Kompetenz- und Selbstwirksamkeitserleben.

      Transferaufgaben (→ Ta)

      Epistemologische Funktion: Um Wissen, Können und entwickelte Einsichten und Vorstellungen in neuen Lernzusammenhängen nutzen zu können, müssen Anwendungen mit ihrer spezifischen epistemologischen Bedeutung initiiert werden. Die Bearbeitung von Transferaufgaben zeigt – im Unterschied zu den Syntheseaufgaben –, ob und inwieweit es den Lernenden gelingt, die erworbenen Kompetenzen auf neue (innerfachliche, überfachliche und lebensweltliche) Situationen anzuwenden. Dabei ist den Lernenden nicht unbedingt sofort einsichtig, welche Kompetenzen zur Anwendung kommen, sondern es sind mehr oder weniger weitreichende Schritte des Transfers einer Struktur auf neue Situationen erforderlich. Weil die Schülerinnen und Schüler die erarbeiteten Wissensbestände und Fähigkeiten auf neue Problemstellungen anwenden sollen, erkennen sie die ganze Anwendungsbreite der erworbenen Kompetenzen. Transferaufgaben ermöglichen ebenfalls Kompetenz- und Selbstwirksamkeitserleben. Insofern ist ein Lernprozess in der Regel erst vollständig abgerundet, wenn ein Transfer zur Synthese hinzukommt.

      Didaktische Funktion: Bei der Bearbeitung von Transferaufgaben müssen die Lernenden die Gesamtheit der erarbeiteten Teilkompetenzen aktivieren und diese auf gewohnte oder ungewohnte Weise auf neue Kontexte übertragen – sie nutzen Bekanntes, um Neues zu erschließen. Durch den Einsatz von Transferaufgaben entsteht eine »Dekontextualisierung« vom mitgelernten Kontext und zugleich eine Vernetzung verschiedener fachlicher Inhalte und Strategien. Aus didaktischer Sicht können folgende Ziele von Transferaufgaben unterschieden werden:

      1. Probleme lösen: Transferaufgaben regen zum Problemlösen an, allein, zu zweit oder in Gruppen. Die flexible Problemlösefähigkeit ist letztlich das, was Weinert (1999) unter Kompetenz versteht: »a) a cogni­tive fitness for a particular class of tasks, b) a roughly specialized system of abilities, proficiencies, or