um Klippen zu erkennen, unklar Gebliebenes besser zu verstehen, Wissenslücken zu schließen, oder aber auch, um zu lernen, wie man Hilfe nutzen und aus Sackgassen herauskommen kann. In Beurteilungssituationen hingegen werden die Tiefe des Verstehens, die Fähigkeit, mögliche Klippen zu erkennen usw., überprüft. Beurteilungsaufgaben sollen in der Regel selbstständig, das heißt ohne Lernunterstützung und möglichst ohne Fehler gelöst werden. Beurteilungsaufgaben sind idealerweise auf ein bestimmtes Kompetenzniveau eingestellt, haben diagnostisches Potenzial und erlauben eine möglichst eindeutige Unterscheidung zwischen richtigen und falschen Lösungen.
Auf einer zweiten Differenzierungsstufe können Aufgaben nach ihrer Funktion unterschieden werden, die sie in der jeweiligen Unterrichtssituation zu übernehmen haben. Das LUKAS-Modell greift auf eine Variante von PADUA, das KAFKA-Modell (Reusser, 1999), zurück, weil dieses deutlicher als jenes auf die Nutzungsseite der Angebot-Nutzungs-Struktur fokussiert. Das LUKAS-Modell unterscheidet verschiedene Aufgabentypen (Abbildung 1.5) und bettet diese in das Gesamt eines kompetenzfördernden Unterrichtsgeschehens ein. Damit kann verhindert werden, dass man »drauflosunterrichtet«, ohne sich das Ziel des Lernprozesses und die Ausrichtung der Aufgaben auf dieses Ziel hin zu vergegenwärtigen.
Um das LUKAS-Lernprozessmodell zu verstehen, hilft die Analogie zum Hausbau: Bei der Planung zum Beispiel eines Wohnhauses werden den verschiedenen Räumen unterschiedliche Funktionen zugedacht – Küche, Bad, Wohnzimmer, Esszimmer und Schlafzimmer. Ihre Größe und Anordnung kann jedoch spezifischen Wünschen angepasst werden. Vielleicht lässt sich die Küche räumlich zum Ess- und Wohnbereich öffnen, oder eine Tür kann die gewünschte Abtrennung herstellen. Die leitende Idee, dass es sich beim Haus um ein Wohnhaus handelt, geht dabei nicht verloren. So auch hier: Jede Aufgabe übernimmt im Unterricht eine bestimmte Funktion und soll durch ihre didaktisch intelligente Inszenierung jene geistigen Prozesse auslösen, die zum Aufbau einer Zielkompetenz beitragen. Das LUKAS-Lernprozessmodell bindet somit die verschiedenen Aufgabentypen in die leitende Idee des kompetenzfördernden Unterrichts ein. Dabei sind die Verbindungslinien zwischen den verschiedenen Aufgaben von großer Bedeutung, das heißt, im Bild gesprochen: Im Unterricht muss – immer mit dem Ziel verbunden, den Kompetenzaufbau wirksam zu unterstützen – sowohl deutlich werden, in welchem Raum sich die Lernenden gerade befinden, als auch, welcher Funktionsbereich als nächster aufgesucht werden soll. Damit ist auch ausgesagt, dass dem LUKAS-Lernprozessmodell kein lineares Verständnis von Kompetenzentwicklung zugrunde liegt, sondern ein dynamisches und individuell gestaltetes Verständnis.
Mit dem LUKAS-Lernprozessmodell (Abbildung 1.6) wird eine Zuordnung verschiedener Aufgabentypen zu fachlichen und überfachlichen Kompetenzen vorgenommen, die einen kumulierenden Kompetenzaufbau ermöglichen. Als explizit auf Aufgaben bezogenes Lernprozessmodell dient es durch die Fokussierung auf die funktionale Qualität von Aufgaben dazu, die Unterrichtsplanung auf den Outcome auszurichten und die Zielsetzungen von Aufgaben bewusst zu machen. Gleichzeitig erlaubt es, den Schülerinnen und Schülern Ziel und Zweck einer Unterrichtseinheit transparent zu kommunizieren. Das LUKAS-Lernprozessmodell unterscheidet folgende acht Aufgabentypen:
•Konfrontationsaufgaben (→ Ka) stellen den Kontakt zwischen einem kognitiv aktivierenden Problem, Phänomen, Ereignis und den Schülerinnen und Schülern her.
•Erarbeitungsaufgaben (→ Ea) dienen dem Aufbau von Wissen und Fertigkeiten, dem Entdecken von Zusammenhängen, der Auseinandersetzung mit Haltungen (Kompetenzaspekte).
•Vertiefungsaufgaben (→ Va) dienen zur Vertiefung, Ausdifferenzierung, Variantenbildung und zum Herstellen von Verknüpfungen.
•Übungsaufgaben (→ Üa) zielen auf das Konsolidieren und Automatisieren.
•In Syntheseaufgaben (→ Sa) werden die Kompetenzaspekte zusammengeführt.
•Mittels Transferaufgaben (→ Ta) werden erworbene Kompetenzen mit Neuem verknüpft.
•Mit formativen Beurteilungsaufgaben (→ FBa) ohne festgelegte Stellung im Lernprozess lassen sich diagnostische Informationen hinsichtlich der Lernvoraussetzungen und des Lernstandes erheben.
•Summative Beurteilungsaufgaben (→ SBa) dienen der bilanzierenden Beurteilung und Bewertung am Ende des Lernprozesses.
Im Folgenden werden zuerst die sechs Typen von Lernaufgaben charakterisiert. Dabei wird zwischen der epistemologischen Funktion (Bedeutung für den Erkenntnisprozess) und der didaktischen Funktion (Bedeutung innerhalb des vollständigen Lernprozesses) von Aufgaben unterschieden (vgl. auch Prediger et al., 2014). Anschließend werden die beiden Typen von Beurteilungsaufgaben erläutert, bei denen die epistemologische Funktion keine Bedeutung hat.
Lernaufgaben
1.3.1 Konfrontationsaufgaben (→ Ka)
Epistemologische Funktion: Die epistemologische Qualität von Konfrontationsaufgaben besteht darin, gezielt an bereits vorhandenen Vorstellungen und Vorerfahrungen der Schülerinnen und Schüler und an deren Vorstellungen hinsichtlich domänenspezifischer Begriffe, Phänomene und Prinzipien anzuknüpfen. Diese Vorstellungen und Erfahrungen dürfen nicht vorschnell an fachlichen Normen gemessen und als falsch betrachtet werden, da sie sich im bisherigen Denken bewährt haben. Spätestens seit der konstruktivistischen Wende besteht in der Lerntheorie Konsens darüber, dass Menschen stets auf Basis ihrer bisher gesammelten Erfahrungen wahrnehmen, denken, sprechen und Neues dazulernen. In der Bearbeitung von Konfrontationsaufgaben nutzen die Schülerinnen und Schüler ihre Erinnerung an individuelle Erlebnisse, Erfahrungen – vielleicht auch »Angelesenes«, sie stoßen dabei auf Schwierigkeiten und äußern ihre Intuitionen. Das führt dazu, dass sie Fragen aufwerfen, die an diese Erfahrungen anknüpfen und für sie ein neues Erfahrungsfeld öffnen.
Mit dem Aufgreifen existierender Vorerfahrungen ist in epistemologischer Hinsicht der Anspruch verbunden, zu irritieren, neugierig zu machen auf etwas Unbekanntes, eine Fragehaltung oder ein Problembewusstsein zu entwickeln – und um kumulatives Lernen und Selbststeuerung im Erkenntnisprozess insgesamt zu ermöglichen. Daher ist es wichtig, dass Konfrontationsaufgaben mit der Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler in Verbindung stehen oder ein innerfachliches Problem manifestieren, das sie als Problem zu identifizieren bereits in der Lage sind. Es geht bei einer Konfrontationsaufgabe also gerade nicht um das nachvollziehende Verstehen eines nahezu Bekannten, sondern im Gegenteil um die Begegnung mit etwas Fremdartigem, Mehrdeutigem, Anderem. Daher steht bei Konfrontationsaufgaben auch nicht das didaktische Zurichten von komplexen Sachverhalten im Vordergrund, sondern umgekehrt die Präsentation und Entfaltung eines komplexen Sachverhaltes samt seiner Fragwürdigkeit.
Ein Einstieg in einen Lernprozess, in dem Faktenwissen dargelegt wird, erzeugt in der Regel bei den Schülerinnen und Schülern nur wenig Unruhe und kaum Staunkraft. Darauf hat bereits Dewey (1859–1952) aufmerksam gemacht:
Das Denken nimmt seinen Ausgang von einer Beunruhigung, einem Staunen, einem Zweifel. Es ist kein Akt spontaner Entladung, es vollzieht sich nicht nach »allgemeinen Gesetzen«. Es muss ein ganz bestimmter Anlass vorhanden sein, um es auszulösen. Ein Kind oder einen Erwachsenen ganz allgemein zum Denken aufzufordern, ohne dass vorher in irgendeiner Form das Gefühl einer Schwierigkeit empfunden wurde, das sein Gleichgewicht erschüttert, ist daher vollkommen sinnlos. (Dewey, 2002, S. 15)
Änlich der Pädagoge Rumpf: »Es gibt eine Staunkraft, die sich am Phänomen entzündet und die sich nicht durch Abstraktionen entkräften lässt« (Rumpf, 2010, S. 38). Bei Konfrontationsaufgaben stehen deshalb nicht Darstellungen von Fachwissen im Zentrum, sondern Phänomene, Probleme oder fachliche Impulse, deren erste mögliche und sinnvolle Beantwortung vor dem Hintergrund des Vorwissens und der Vorerfahrungen der Lernenden verstanden werden kann. Die Schülerinnen und Schüler erleben die Konfrontationsaufgabe somit als Gelegenheit für eine »singuläre Standortbestimmung« (Ruf & Gallin, 1998, S. 27).
Didaktische