der Aufgaben wird nicht ausgenutzt! Und: In der Aufgabenkultur herrscht Monokultur! Wie viel, was und ob überhaupt in der Schule gelernt wird, scheint – so die Beobachtung – wesentlich von der Qualität der Lernaufgaben abzuhängen. Mit der Forderung nach anspruchsvollen, lernwirksamen Aufgaben befassen sich seit jeher die Fachdidaktiken. Besonders wichtig sind die Arbeiten aus dem Bereich der Mathematik (vgl. z. B. Jordan et al., 2006; Klieme, Pauli & Reusser, 2006; Neubrand, 2002) und der Sprachdidaktik (vgl. z. B. Alderson et al., 2006; Bachman & Palmer, 2010).
Doch lässt sich die geforderte Aufgabenqualität überhaupt belegen? Die empirischen Befunde hierzu sind bisher spärlich (vgl. Leuders & Föckler, 2016, S. 214; Pauli & Reusser, 2000, S. 428). Die Frage nach der Aufgabenqualität haben insbesondere die ernüchternden Ergebnisse der bereits knapp zwanzig Jahre zurückliegenden TIMSS-Videostudie von 1999 ausgelöst (vgl. Hiebert et al., 2003, S. 71; Pauli & Reusser, 2006, S. 781; Reusser & Reinhardt, 2017, S. 4). Diese Videostudie zeigt, dass Aufgaben des Mathematikunterrichts im deutschsprachigen Raum überwiegend einfache, repetitive Tätigkeiten beinhalten.
Eine ähnliche Schlussfolgerung ergibt sich aus einer aktuellen Studie im gleichen Fach: »Insgesamt ist eine nicht zufriedenstellende Dominanz geschlossener, technischer Aufgaben und Aufgaben mit kleinschrittiger Bearbeitung und geringer kognitiver Aktivierung festzustellen. Das kann im Zusammenhang mit der Dominanz individueller, durch Arbeitsblätter organisierter Lernformen stehen« (Leuders & Föckler, 2016, S. 225).
Vergleichbare Befunde liefert die COACTIV-Studie. Sie hält fest, wie wenig professionell die Unterrichtspraxis sich der Herausforderung nach qualitätsvollen Aufgaben zu stellen vermag:
Die Analysen zeigten ein nur niedriges durch Aufgaben vermitteltes kognitives Aktivierungspotenzial. Die eingesetzten Aufgaben sind zudem sehr homogen [...]. Andererseits zeigen die Analysen […], dass die Auswahl kognitiv anspruchsvoller Aufgaben die Leistungsentwicklung der Schülerinnen und Schüler positiv beeinflusst. (Neubrand et al., 2011, S. 130)
Kritisiert wird in diesen Studien, dass die im Unterricht gestellten Aufgaben einen kognitiv wenig aktivierenden Anreiz bieten. Demzufolge müsste darauf geachtet werden, dass Aufgaben, die im Unterricht zum Einsatz kommen sollen, möglichst wenig repetitiv, möglichst wenig kleinschrittig und geschlossen ausfallen und möglichst nicht in technisierter Form von Arbeitsblättern erteilt werden, die zum Abarbeiten auffordern. Kognitiv anspruchsvollere, (selbst-)differenzierende Aufgaben findet man eher selten vor – sie allerdings werden als besonders lernwirksam charakterisiert.
Für den Geschichtsunterricht werden einer aktuellen Studie zufolge deutliche Diskrepanzen konstatiert zwischen dem, was Lehrkräfte mit ihren Aufgaben intendieren, und dem, was den Aufgaben an didaktischem Potenzial innewohnt: »Diese Diskrepanz könnte ursächlich dafür sein, dass der Geschichtsunterricht seine anspruchsvollen Ziele nicht erreicht und man kritisch von einer ›dates-and-facts‹-Kultur im deutschen Geschichtsunterricht spricht« (Mägdefrau & Michler, 2014, S. 116). Demzufolge gilt es beim Einsatz von Aufgaben im Unterricht genau zu prüfen, inwiefern sie die angestrebte Zielkulturebene tatsächlich ansteuern.
Mit der Einführung von Bildungsstandards und dem kompetenzorientierten Unterricht wird die Frage nach der Aufgabenqualität in zweifacher Hinsicht virulent:
1.Kompetenzen werden anhand von Testaufgaben überprüft, wodurch die Steuerung des Bildungswesens sichergestellt werden soll (vgl. z. B. EDK, 2004; Klieme et al., 2007; Oelkers & Reusser, 2008).
2.Parallel dazu hat sich die Weiterentwicklung von Lernaufgaben als wichtiger fachdidaktischer Bereich etabliert, zum Beispiel im BLK-Projekt »SINUS-Transfer« mit dem Modul 1 zur Weiterentwicklung der Aufgabenkultur (vgl. Prenzel & Ostermeier, 2003). Aufgaben materialisieren »jene Wissens- und Könnenskomponenten, lösen jene Denk- und Arbeitsprozesse aus und aktivieren jene analytischen und synthetischen Figuren des Problemlösens, Argumentierens, Betrachtens und Deutens, um die es in einem bestimmten Fach im Kern geht und die dessen intellektuelle Kultur ausmachen« (Oelkers & Reusser, 2008, S. 408).
Wir halten fest: Aufgaben gelten in vielfacher Hinsicht als »Transmissionsriemen« (Maier et al., 2010, S. 84) für die Umsetzung aktueller Reformbestrebungen und steuern auf der Angebotsseite zentral die Unterrichtsqualität. Insgesamt werden positive Auswirkungen auf die Unterrichtskultur erwartet (vgl. Peek & Steffens, 2008, S. 3). Die Frage spitzt sich zu: Wie kann eine Lehrkraft, die guten Unterricht praktizieren möchte, »gute« Aufgaben erkennen?
Erst in jüngerer Zeit hat sich innerhalb der Allgemeinen Didaktik die Thematik »Aufgaben« als vergleichsweise kleines Forschungsfeld entwickelt. Blömeke et al. (2006) haben – noch ohne empirischen Befund – einen ersten wichtigen allgemeindidaktischen Beitrag zur Analyse der Aufgabenqualität vorgelegt, indem sie auf der Grundlage lernpsychologischer, motivationspsychologischer und allgemeindidaktischer Konzepte insgesamt neun übergreifende Kriterien für lernprozessanregende Aufgaben entwickelt haben. Demzufolge zeichnen sich qualitativ hochwertige Aufgaben durch folgende Merkmale aus:
1.Exemplarität,
2.Ansprache von Schülerbedürfnissen,
3.kognitive Prozesse und Wissensformen (nach Anderson & Krathwohl, 2001),
4.Neuigkeitswert,
5.Chance auf Bewältigung,
6.Potenzial zur Differenzierung,
7.Authentizität der Aufgabensituation,
8.Förderung der Problemlösefähigkeit,
9.Möglichkeit sozialer Interaktion.
Der Ansatz ist breit angelegt und gut begründet, jedoch noch wenig operationalisiert.
Einen zweiten, viel beachteten Beitrag zur Diskussion haben Maier et al. (2013, 2010) vorgelegt. Auf Grundlage der Lernzieltaxonomie in der Bloom’schen Tradition (vgl. Anderson & Krathwohl, 2001) und aktueller fachdidaktischer Lernziel- und Aufgabentaxonomien (vgl. Jordan et al., 2006; Neubrand, 2002) haben sie ein System entwickelt, das sieben kognitiv aktivierende und kognitiv analytische Kategorien umfasst:
1.die angesprochene Wissensart (z. B. deklaratives, prozedurales Wissen),
2.kognitive Prozesse (z. B. Reproduktion, Transfer),
3.die Anzahl der Wissenseinheiten (eine, bis vier, mehr als vier),
4.den Grad der Offenheit der Aufgabenstellung (z. B. konvergent, divergent),
5.den Lebensweltbezug (z. B. konstruiert, real),
6.die sprachlogische Komplexität der Aufgabeninformation (niedrig, mittel, hoch),
7.wissensbezogene Repräsentationsformen (eine Repräsentationsform, die Integration mehrerer Repräsentationsformen, die Transformation von Repräsentationen).
Auf diese Weise kommen die Autoren und die Autorin ihrem Anspruch nach, bedeutsame Aufgabenmerkmale »möglichst sparsam« (Maier et al., 2010, S. 85) zu erfassen. Das Kategoriensystem ist sowohl in empirischen Arbeiten (vgl. Bohl et al., 2013; Kleinknecht et al., 2011) als auch in fachspezifischen Analysestudien (Kleinknecht et al., 2013) erprobt. Außerdem ist es gut dokumentiert: Neben den zahlreichen Publikationen gibt es eine Internetseite[6] mit Beispielanalysen und Downloads. Das System erweist sich insgesamt als gut anwendbar, auch wenn aufgrund seines fachübergreifenden Charakters gewisse Limitierungen für unterschiedliche fachliche und fachdidaktische Kontexte bestehen (vgl. Kleinknecht et al., 2013, S. 209).
Kless (2014) vergleicht die beiden oben dargestellten allgemeindidaktischen Analyseverfahren mit zwei fachdidaktischen Kategoriensystemen – den Ansatz von Fischer und Draxler (2001) zur Beschreibung von Physikaufgaben und ein mathematikbezogenes Modell von Büchter und Leuders (2005) – und kann im Hinblick auf die berücksichtigten Kategorien bzw. Merkmale folgende charakteristische Gemeinsamkeiten und Unterschiede feststellen (Abbildung 1.3):
Die