Herbert Luthiger

Kompetenzförderung mit Aufgabensets


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or an institution« (ebd., S. 34). Die Problemlösefähigkeit entsteht – um an dieser Stelle Missverständnissen vorzubeugen – jedoch nicht erst als Ergebnis eines vollständigen Kompetenzaufbaus, sondern sie muss mitgeübt werden – und zwar von Anfang an! Transferaufgaben eignen sich von ihrer didaktischen Funktion her besonders gut für das Problemlösen, weil sie einerseits die flexible Anwendung der erworbenen Kompetenzen in einer unbekannten Anforderungssituation erfordern, andererseits Performanz einfordern, sodass aufgrund des realisierten Bearbeitungsniveaus auf die vorhandene Kompetenz »rückgeschlossen« werden kann.

      2. Sinn erfahren: Eine von den Lernenden häufig gestellte Frage ist die nach dem persönlichen Nutzen dessen, was ihnen im Unterricht vorgesetzt wird. Diese Frage beantwortet sich von selbst, wenn die Schülerinnen und Schüler die Erfahrung machen, dass sie die erworbene Kompetenz möglichst breit und realitätsnah nutzen können: »Ich löse die neu erworbene Kompetenz gleichsam aus dem Korsett schulischen Lernens heraus und erschließe mir durch sie ein Stück Welt jenseits des unterrichtlichen Lernkontexts« (Heymann, 2012, S. 8).

      3. Besser verstehen: Durch das Anwenden einer erworbenen Kompetenz auf ein neues Problem und/oder in einem neuen, prinzipiell für den Transfer geeigneten Sachzusammenhang erweitert sich für die Lernenden das Verständnis dessen, was sie gelernt haben. Sie erhalten möglicherweise einen neuen Blick auf ihr erworbenes Können und erfahren, wie es in einem veränderten sachlichen Kontext »funktioniert«. Denn erst in Anwendungssituationen zeigt sich, ob gerade komplexe Kompetenzen, die man beispielweise braucht, um literarische Texte zu analysieren, Texte in eine Fremdsprache zu übersetzen oder mathematische Beweise zu führen, erworben sind und das Gelernte verstanden ist.

      4. Nachhaltigkeit evaluieren: Ob und in welchem Ausmaß jemand kompetent ist, zeigt sich im (beobachtbaren) Handeln, also in der Performanz. Performanz nach Weinert (1999) »a) is what a person does when faced with a task, b) is a personal activity considered as producing a result, c) is achievement evaluated with respect to its adequacy« (ebd., S. 35). In dieser Logik hat schulischer Unterricht den Schülerinnen und Schülern möglichst vielfältige Performanzerfahrungen zu ermöglichen. Transferaufgaben bieten den Lehrkräften eine letzte, vorzügliche Gelegenheit, den Lernerfolg zu evaluieren. In diesem Fall dient das Anwenden weniger dem Ziel, das Lernen selbst nachhaltiger zu gestalten, als seine Nachhaltigkeit zu überprüfen – den Lernenden hingegen steht mit dem Bearbeiten der Transferaufgabe ein Mittel zur Verfügung, eine Rückmeldung über den Erfolg des eigenen Lernens zu erhalten (Selbstevaluation).

      Fazit: Schülerinnen und Schüler sind dann kompetent, wenn sie ihr erworbenes Wissen und die erworbenen Handlungsaspekte in den Alltag übertragen und in neuen Kontexten nutzbar machen können. Dies bedingt, dass die Schülerinnen und Schüler diese »Nutzbarmachung« in sogenannten Transferaufgaben im Unterricht erleben können. Transferaufgaben ermöglichen es, gelernte Kenntnisse, erworbene Fähigkeiten und Fertigkeiten oder entwickelte Einsichten und Vorstellungen in neuen Zusammenhängen (z. B. in einer nachfolgenden Unterrichtssequenz) selbstständig anzuwenden. Durch den Transfer wird das Wissen und Können der Lernenden gefestigt und ausdifferenziert. Das ermöglicht Kompetenz- und Selbstwirksamkeitserleben.

      Beurteilungsaufgaben

      In der Schule dient das Erleben von Leistung und das Anwenden erworbener Kompetenzen sowohl dem Motivationsaufbau und -erhalt als auch der Stärkung des Vertrauens in die eigenen Fähigkeiten. Rückmeldungen über das, was und wie man etwas kann, sind dabei ein wichtiger Faktor. Oft dient eine Rückmeldung lediglich der Leistungsbewertung (summative Leistungsbeurteilung), sie sollte aber in einem kompetenzorientierten Unterricht vor allem die Funktion der Diagnose und Beratung erfüllen (formative Leistungsbeurteilung). Welche Rolle spielen in diesem Zusammenhang Aufgaben? Auch Lernaufgaben stellen den Schülerinnen und Schülern ständig konkrete Lerngelegenheiten bereit, die ihnen Performanzerfahrungen ermöglichen. Im Unterschied zu den Lernaufgaben verlangen normierte Beurteilungsaufgaben (und zwar nicht nur Prüfungsaufgaben!) von den Lernenden eine ganz bestimmte Qualität an Leistungen. Das heißt: Die Performanz der Schülerin oder des Schülers wird anhand von beobachtbaren Kriterien eingeschätzt, zum Beispiel durch die Anwendung der sachlichen Bezugsnorm. Beurteilungsaufgaben haben keine epistemologische Funktion.

      In der Literatur finden sich zwei unterschiedliche Ansätze zur Diagnose (z. B. Büchter & Leuders, 2005, S. 172; Kliemann, 2008, S. 14–21):

      •Mit »verstehensorientierten Diagnoseaufgaben« will die Lehrkraft feststellen, ob Schülerinnen und Schüler einen Begriff oder ein Modell wirklich verstanden haben. Verstehensorientierte Diagnoseaufgaben erlauben den Schülerinnen und Schülern, »intelligentes Wissen« (Weinert, 2001, S. 76) unter Beweis zu stellen. Im Verständnis von Weinert geht es dabei nicht um mechanisches Wissen und um eine passive Verfügbarkeit, sondern um flexibles, transferierbares, anschlussfähiges Wissen. Hier steht die Prozessorientierung im Zentrum.

      •Mit »verfahrensorientierten Diagnoseaufgaben« wird überprüft, ob eine Schülerin oder ein Schüler in einer bekannten Ausgangssituation mit bekannten Verfahren eine richtige Lösung erhält oder nicht. Insofern sind verfahrensorientierte Diagnoseaufgaben eher produkt- oder ergebnisorientiert und werden in Form von geschlossenen Aufgaben vorgelegt.

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      1.3.5 Formative Beurteilungsaufgaben (→ FBa)

      Formative Beurteilungsaufgaben geben den Lernenden Rückmeldungen darüber, was sie können und was sie noch lernen müssen, ohne dass die Kompetenzeinschätzung in eine Leistungsbewertung (Note!) mündet. Sie sind so in den Unterricht einzubeziehen, dass die Schülerinnen und Schüler sie als Bestandteil ihres Lernprozesses erleben. Damit dies gelingt, dürfen formative Beurteilungsaufgaben nicht nur Endpunkte einer Lernsequenz darstellen, sondern sind kontinuierlich einzusetzen.

      Damit eine Einschätzung möglich ist, bedarf es einer Vergleichsnorm bzw. einer »komparativen Rückmeldung« (Jürgens & Sacher, 2008, S. 50). Denn ohne sachorientiertes Feedback und ohne Diagnostik kann es keine Orientierung für das Weiterlernen geben. Entscheidend ist, aufgrund welcher Norm Kriterien für die Beurteilung herangezogen werden. Nach Jürgens und Diekmann (2006) gestattet eine »Kombination von individueller und sachlicher Bezugsnorm« (ebd., S. 220) eine Einschätzung der Passung und der Qualität des eingesetzten Lehrverfahrens und ermöglicht der Lehrkraft eine individuelle Rückmeldung an die Lernenden.

      Fazit: Formative Beurteilungsaufgaben liefern der Lehrkraft Informationen zum Kompetenzstand ihrer Schülerinnen und Schüler während des Lernprozesses. Sie kann daraus Folgerungen für die weitere Gestaltung des Unterrichts ableiten. Formative Beurteilungsaufgaben können im Verlauf des gesamten Lernprozesses eingesetzt werden.

      1.3.6 Summative Beurteilungsaufgaben (→ SBa)

      Summative Beurteilungsaufgaben entsprechen eigentlichen Prüfungsaufgaben und werden eingesetzt, um zu einem bestimmten Zeitpunkt Bilanz zu ziehen und ein abschließendes, zusammenfassendes Urteil über die Summe der erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten zu fällen. Sie dienen neben der Überprüfung der Bewertung, wie gut die Leistung eines Schülers bzw. einer Schülerin im Hinblick auf den angestrebten Kompetenz­erwerb ist. Summative Beurteilungsaufgaben kommen meist am Ende einer Unterrichtseinheit zum Einsatz und sind in der Regel notenwirksam. Sie zeigen den Lehrkräften und den Lernenden den Leistungsstand bezüglich wichtiger Lernziele und die Fortschritte während einer bestimmten Zeit.

      Fazit: Summative Beurteilungsaufgaben dienen der abschließenden und zusammenfassenden Überprüfung und Bewertung des Kompetenzstandes und geben den Lernenden und ihren Erziehungsberechtigen Auskunft über den Leistungsstand.

      In Abschnitt 1.3 ist die Makroprozessebene der Aufgabenqualität anhand der Funktionalität und Stellung von Aufgaben in einem vollständigen Lernprozess beschrieben. Dazu