heraus – nach Möglichkeit sogar eine, bei der sie spontan Zweifel hat, ob das neue Verfahren dort brauchbar ist – schildert sie und überlegt dann allein oder zusammen mit den Lernenden, wie der Gebrauch des Verfahrens in diesem Fall aussehen würde (z.B. könnte sie sie sich an eine Situation erinnern, in der die eine Wand sehr uneben und es daher schwierig war, die relevante Seite verlässlich zu messen. In diesem Fall würde sich zeigen, dass die App genau gleich gut einsetzbar ist wie das alte Verfahren mit Papier und Bleistift und man unabhängig davon die unebene Wand in den Griff bekommen muss).
Ein mögliches Resultat dieser gedanklichen Untersuchungen kann sein, dass das neue Verfahren nur in ganz bestimmten Situationen einsetzbar ist, in anderen muss auf das alte, der Lehrperson vertraute Verfahren zurückgegriffen werden (z.B. wenn der Akku des Smartphones leer ist). Wichtig ist dabei, dass die Lehrperson nicht allzu hart mit dem neuen Verfahren ins Gericht geht, nur um ihr altes, liebgewordenes Vorgehen zu verteidigen (z.B. ist das Argument mit dem Akku nicht wirklich ein überzeugendes Argument, denn genauso könnte man darauf hinweisen, dass das Rechnen mit Papier und Bleistift nur funktioniert, wenn man den Bleistift nicht vergessen hat). Aber auch wenn sich zeigen sollte, dass das neue Verfahren gut in allen Situationen anwendbar ist, an die sich die Lehrperson erinnern kann, sind diese Überlegungen nützlich. Anhand der verschiedenen Situationen wird es möglich sein, verschiedene Gebrauchsprobleme zu diskutieren, für die man eine Lösung finden muss (z.B. der Umgang mit der unebenen Mauer, wo die Erfahrungen und Lösungen mit dem alten Vorgehen direkt für den Einsatz der App relevant sind).
Zu Schritt 5: Anwendungsfragen und Anwendungsprobleme klären
Abschliessend geht es darum, den Lernenden im Sinne der Schritte 7 und 8 von Handeln vorbereiten zu helfen, das neue Verfahren im beruflichen Alltag kompetent anzuwenden. Hier übernimmt die Lehrperson einerseits die Rolle, wie das für die Schritte 7 und 8 vorgesehen ist: Sie leitet die Lernenden an, einen geeigneten Spickzettel zu schreiben, und bespricht und löst zusammen mit ihnen die auftretenden Gebrauchsprobleme. Andererseits ist es auch hilfreich, wenn die Lehrperson selbst die Rolle einer Lernenden übernimmt, einen Spickzettel erstellt und wenn möglich selbst das Verfahren in Gebrauchssituationen einsetzt, sodass sie die dabei gemachten Erfahrungen mit den Lernenden teilen kann.
A4.5 Erklären statt handeln
A4 Die Lehrperson als Lernmodell und A3 Phänomene einordnen sind beides Variationen von A1 Handeln vorbereiten. Man kann sie problemlos kombinieren und anstelle einer neuen, durch die Lernenden eingebrachten Vorgehensweise ein neues Erklärungsmuster gemeinsam lernen und erproben. Alle hier zu den einzelnen Punkten gemachten Überlegungen behalten ihre Gültigkeit.
A5 DAS GEMEINSAME LERNPROJEKT
Dritte Variation zum Rezept A1 Handeln vorbereiten
Viele Kapitel dieses Buches sind so geschrieben, dass Sie sie unabhängig voneinander lesen können. Dieses Kapitel hingegen ist vermutlich nur verständlich, wenn sie vorher A1 Handeln vorbereiten und eventuell auch A4 Die Lehrperson als Lernmodell gelesen haben.
Das Rezept A4 Die Lehrperson als Lernmodell baut auf A1 Handeln vorbereiten auf und variiert es so, dass nicht die Lehrperson das Vorgehen in den Unterricht einbringt, sondern die Lernenden. Vermutlich wird dies aufgrund des sich beschleunigenden Technologiewandels in Zukunft vermehrt vorkommen, da Bildungspläne, Lehrmittel und Lehrpersonen unmöglich rechtzeitig alle Entwicklungen antizipieren können (Hintergrund: C8 Gewisse Ungewissheit).
Eine noch radikalere Variation entsteht, wenn Lernende von einer Handlungssituation berichten, mit der die Lehrperson keine oder kaum Erfahrungen gesammelt hat und für die auch die anderen Lernenden kein geeignetes Vorgehen kennengelernt haben.
A5.1 Wenn die Lernenden und die Lehrperson gemeinsam Neuland betreten – ein paar illustrative Beispiele
Die Lehrperson einer Klasse Zeichnerinnen und Zeichner EFZ ist noch mit Plänen auf Papier und entsprechenden zweidimensionalen Darstellungen wie Grundrissen, Aufrissen etc. aufgewachsen. Der technologischen Entwicklung folgend wird im Unterricht aber längst CAD eingesetzt. Und seit einiger Zeit können die Lernenden auf ihren Geräten ihr persönliches, aus dem Betrieb vertrautes Programm nutzen. Bearbeiten die Lernenden eine Aufgabe, fordert die Lehrperson jedoch, dass für die Besprechung zweidimensionale Pläne gedruckt werden.
Während die Klasse Mirjams Lösung diskutiert, fällt der Lehrperson beim Studium ihrer Pläne auf, dass bei einem Treppenaufgang die Bewohner den Kopf stark einziehen müssten, da die Höhe der Decke dort nur etwa 1,60 Meter beträgt. Sie fordert die Lernenden auf, diesen Sachverhalt anhand des gedruckten Planes zu verifizieren. Mirjam protestiert mit der Begründung, dass dies niemand mehr so machen würde, sondern dass man das Problem direkt in der 3-D-Darstellung überprüfen könne. Sie demonstriert, wie sie in ihrem Programm an der entsprechenden Stelle einen Vektor zwischen Boden und Decke einfügt, und bestätigt dann, dass dessen Länge tatsächlich 1,63 Meter beträgt.
Die Lehrperson hat keine Mühe, diese Messmethode zu akzeptieren. Sie fragt aber die Klasse, warum Mirjam dieses Problem nicht aufgefallen ist. Eigentlich wäre es ja praktisch, wenn das Programm selbst auf solche Punkte aufmerksam machen würde. Eine Diskussion zeigt, dass bisher keines der Programme, die von den Lernenden verwendet werden, diese Funktionalität anbietet. Daraus entwickelt sich ein kleines Projekt zur Frage, wie man 3-D-Darstellungen systematisch nach Problemen dieser Art absuchen kann – zumindest bis die technologische Entwicklung dafür automatische Lösungen anbietet.
Die Lehrperson wird hier mit einer Situation konfrontiert – systematisches Überprüfen von 3-D-Darstellungen auf Probleme –, zu der sie kein erprobtes Verfahren kennt und wo auch die Lernenden keine Vorschläge aus den Betrieben mitbringen können. Verschiedene Ursachen können zu einer solchen Unterrichtssituation führen. Im Beispiel ist es vor allem der beschleunigte Technologiewandel, der sich auswirkt. Wie schon bei A4 Die Lehrperson als Lernmodell betont, ist zu erwarten, dass dies in Zukunft immer häufiger der Fall sein wird.
Dazu noch zwei Beispiele:
• Elektroauto: Eine Lernende erzählt, dass gestern bei ihnen in der Garage darüber diskutiert wurde, in Zukunft auch Elektroautos warten zu wollen, dass aber noch niemand in der Garage über das notwendige Know-how verfüge. Lernende und Lehrperson sind sich einig, dass dieses Thema eigentlich in der Schule behandelt werden sollte.[3]
• Pflegeroboter: Wie ein Lernender berichtet, fährt beziehungsweise steht bei ihnen im Altersheim seit kurzem ein Pflegeroboter herum, aber niemand auf der Abteilung weiss so recht, wie man ihn sinnvoll einsetzen kann. Die Lernenden würden gerne etwas dazu hören.
In solchen Fällen bringen die Lernenden entsprechende Situationen in den Unterricht ein. Sie haben irgendwo etwas beobachtet, standen vor einer Herausforderung und fragen sich nun, wie man damit am besten umgeht. In der Weiterbildung von Lehrpersonen, wo diese die Rolle von Lernenden übernehmen, erlebe ich diesen Moment immer wieder: Lehrerinnen und Lehrer stellen regelmässig Fragen zu Situationen aus dem Schulalltag, auf die weder ich noch die anderen Kursteilnehmenden sofort eine gute Antwort bereithaben, die aber dringend einer Lösung bedürfen. Bei einem entsprechend offen gestalteten Unterricht an der Berufsfachschule ist zu erwarten, dass auch da Lernende immer wieder solche nicht direkt beantwortbare Fragen einbringen werden.
Möglicherweise wird aber auch von aussen – beispielsweise über den Lehrplan oder in Form von Tagesaktualitäten – eine Situation an den Unterricht herangetragen wird. Dazu auch ein Beispiel aus der Lehrerbildung: Ein Kollege hatte den Auftrag erhalten, bei einer Gruppe von Lehrpersonen die Nutzung neuer Medien im Unterricht zu schulen. Er verstand in dem Moment noch nicht viel davon und die betroffenen Lehrpersonen auch nicht. Also entwickelten sie gemeinsam etwas.
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