sobald klar wird, dass hierdurch bei einer großen Datenbasis sogar intime Persönlichkeitsmerkmale wie etwa sexuelle Präferenzen offengelegt werden können (Murphy, 2017; Wang & Kosinski, 2018)? In ganz konkreten beruflichen Kontexten stellen sich heute explizit philosophische Fragen: Müssen wir unsere zentralen Wertvorstellungen von Privatsphäre, freier Selbstbestimmung oder einer unantastbaren Menschenwürde den neuen Möglichkeiten der Technik anpassen? Und wenn ja, wie genau? Derartige Fragen verlangen gerade durch die praktischen Einsatzmöglichkeiten der Technik nach fundierten, intersubjektiv mitteilbaren Antworten. Unerlässlich hierfür ist ein Bewusstsein um kulturelle Wertvorstellungen und die Fähigkeit, auf dieser Basis in konkreten Anwendungskontexten begründete ethische Argumente formulieren und mit anderen austauschen zu können. Die Herausbildung dieser Kompetenzen kann durch Philosophie methodisch gefördert werden, und gerade Studierende von angewandten Wissenschaften können durch Philosophie auf die ethischen Fragen vorbereitet werden, die unweigerlich mit dem Einsatz moderner Technik einhergehen und die sie unmittelbar in Praxiskontexten stellen und beantworten müssen.
Heutige Technik wirft in ganz unterschiedlichen Kontexten ethische und philosophische Fragen auf, die eine Auseinandersetzung mit grundlegenden Wertfundamenten erfordern. So verändern soziale Netzwerke nicht nur die zwischenmenschliche (Turkle, 2012), sondern auch die politische Kommunikation (Grassegger & Krogerus, 2018; Cadwalladr & Graham-Harrison, 2018). Gesellschaftlich verantwortliches Handeln erfordert heute auch eine ethisch-philosophische Auseinandersetzung mit den Dynamiken der Informationstechnik: Wie funktioniert eine genuin demokratische Meinungsbildung im Zeitalter von Facebook, Twitter, Social Bots und personalisierter Wahlwerbung? Wie können in diesem Zusammenhang normative Ideen wie Menschenwürde, Menschenrechte, Freiheit oder Selbstbestimmung so konkretisiert werden, dass sie gesellschaftliches Engagement tragen können? Die Thematisierung von sozialem Engagement an Hochschulen muss sich explizit auch mit den ethisch-philosophischen Fragen auseinandersetzen, die aus der Transformation des gesellschaftlichen Lebens durch Digitalisierung hervorgehen. Gerade durch philosophische Reflexionsprozesse kann bei Studierenden ein kritisches Denken angeregt werden, das erforderlich ist, um ein politisches Bewusstsein in einem Umfeld des rapiden technologischen Wandels herauszubilden.
Auch die Biotechnologien bringen heute tief greifende Umwälzungen und bohrende Fragen mit sich. Die Gentechnik hat mit der CRISPR/Cas-Methode ein mächtiges, präzises und zugleich billiges Werkzeug bekommen, um Gene von Pflanzen, Tieren und Menschen zielgerichtet zu verändern. Den mannigfaltigen Einsatzmöglichkeiten stehen sehr grundlegende ethische Fragen gegenüber, die heute in breiten öffentlichen Debatten diskutiert werden (Cathomen & Puchta, 2018). Gefordert sind ethische und juristisch bindende Antworten auf nationaler, transnationaler und globaler Ebene. Aber zunehmend wird klar, dass ethische Verantwortung gerade auch von jedem Einzelnen wahrgenommen werden muss, der Umgang mit einer derartigen Technologie hat, die bestehende Vorstellungen des Lebens und insbesondere auch des menschlichen Lebens fundamental infrage stellt. Etwas Ähnliches gilt für eine Biotechnologie, die momentan noch nicht in diesem Maße im Fokus der Öffentlichkeit steht, die aber ähnliche Umwälzungen verspricht wie die Gentechnik: die Neurotechnologie. Mit immer präziseren Wegen zur Erfassung von Gehirnzuständen und Werkzeugen wie «Deep Brain Stimulation» und «Transcranial Magnetic Stimulation» verspricht heutige Neurotechnik, in nicht allzu ferner Zukunft die Gedanken und Gefühle des Menschen und sogar die innersten Schichten der menschlichen Persönlichkeit zielgerichtet technisch verändern zu können, und die ersten Erfolge scheinen den Prognosen recht zu geben (Giordano, 2012; Keiper, 2012). Hier werden, wie bei anderen Technologien auch, mannigfaltige Anwendungsmöglichkeiten geschaffen, die gleichzeitig immer auch militärische Anwendungen ermöglichen, was bei der ethischen Einschätzung zu berücksichtigen ist (DiEuliis & Giordano, 2017). Wie wird sich die Gesellschaft und auch das Bild des Menschen verändern, wenn selbst die innersten Aspekte des menschlichen Selbst in den Bereich technischer Veränderbarkeit rücken (Benedikter, Giordano & Fitzgerald, 2010)? Derartige Anwendungsfelder führen vor Augen, welch fundamentale philosophische Fragen heute aus unmittelbar praktischen Kontexten des technologischen Fortschritts erwachsen und wie dringlich sie dort nach fundierten ethischen Antworten verlangen.
Die skizzierten Entwicklungen der Technik zeigen,[9] inwiefern Philosophie gerade auch an Hochschulen für angewandte Wissenschaften eine wichtige Rolle spielen muss und dass ihre Wichtigkeit in Zukunft noch zunehmen wird. Die fundamentalen Umwälzungen durch moderne Technik werden alle Bereiche des individuellen und gesellschaftlichen Lebens transformieren und auch vor grundlegenden Wertvorstellungen und Menschenbildern nicht Halt machen. Menschen werden gerade auch in praktischen Anwendungskontexten zunehmend reflektierte ethische Entscheidungen treffen müssen, und Hochschulausbildungen müssen sie gezielt darauf vorbereiten. Der naheliegende didaktische Weg liegt für Fachhochschulen in der expliziten Thematisierung der ethischen und philosophischen Fragen, die sich aus den aktuellen Anwendungen moderner Technik und der damit einhergehenden Lebensweisen ergeben, da dies die Relevanz und die Dringlichkeit von Philosophie unmittelbar vor Augen führt. So öffnen sich zugleich Wege zur Auseinandersetzung mit kulturellen Wertvorstellungen und dem modernen Menschenbild und damit auch Wege, um die komplexe Verflochtenheit des modernen Denkens mit seinen vormodernen, bis in die Antike zurückreichenden Wurzeln zu thematisieren (Kriza, 2018).
Ziel von Philosophie ist, bei Studierenden ein Bewusstsein für die relevanten Dimensionen des Menschseins in der komplexen Situation der Gegenwart zu eröffnen: Durch eine Schärfung des analytischen Denkens sollen Studierende die Fähigkeit entwickeln, sich die Dynamiken der modernen Welt differenziert vor Augen zu führen. Durch eine philosophische Diskussion von kulturellen Wertvorstellungen sollen sie in die Lage versetzt werden, eigene ethische Positionen zu beziehen und sie vor anderen zu begründen. Studierende sollen durch eine gezielte Förderung des selbstständigen und kritischen Denkens die Fähigkeit und den Mut zum Hinterfragen entwickeln. Ziel von Philosophie ist, Studierende darin zu unterstützen, sich die Ziele des eigenen beruflichen und persönlichen Lebens und auch die Reichweite und Konsequenzen des eigenen Handelns bewusst vor Augen zu führen und die aufgeworfenen Fragen auch zu Ende zu denken. All diese Kernziele von Philosophie sind auch für Fachhochschulen unmittelbar relevant.
Philosophie eröffnet zudem, nicht zuletzt an Hochschulen für angewandte Wissenschaften, wertvolle Räume der Interdisziplinarität: Die erwähnten ethischen und philosophischen Fragen, die sich gerade auch in konkreten Anwendungssituationen stellen, können nicht als Fachfragen einer bestimmten Disziplin, sondern nur aus einer fachübergreifenden Perspektive und nur mit Einbeziehung unterschiedlicher fachlicher Sichtweisen thematisiert werden. Dies bietet interessante Gelegenheiten, um Studierende und Lehrende unterschiedlicher Fachgebiete zusammenzubringen. Die Diskussion über die ethischen und philosophischen Fragen und die Suche nach Antworten vollzieht sich dann nicht als eine losgelöste didaktische Übung, sondern als Auseinandersetzung mit «echten» Themen, die auch im wirklichen Leben nach Lösungen verlangen.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Philosophie in einem mehrfachen Sinne die Persönlichkeitsentwicklung von Studierenden fördert – gerade auch an Hochschulen für angewandte Wissenschaften: Sie unterstützt ihre Herausbildung zu reflektierten, selbstbestimmten Persönlichkeiten, die die Fähigkeit besitzen, sich mit anderen über die wichtigen Herausforderungen unserer Zeit zu verständigen, und die auch bereit sind, ethische Verantwortung in der Gesellschaft zu übernehmen. Damit unterstützt Philosophie die Entfaltung der wertvolleren Potenziale von Studierenden, und in diesem Sinne trägt sie das, was auch aus modernen Perspektiven des Denkens als das genuin Menschliche interpretiert werden kann: das Streben eines jeden Menschen nach einer bewussten Entwicklung und Herausbildung der jeweils eigenen Persönlichkeit, im je eigenen Bemühen um ein gutes Leben.
Literatur
Aristoteles: Nikomachische Ethik. Übersetzt und herausgegeben von Ursula Wolf. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2006.
Aristoteles: Politik. Nach der Übersetzung von Franz Susemihl. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2009.
Bayerisches Hochschulgesetz (BayHSchG) vom 23. Mai 2006 (GVBl. S. 245, BayRS 2210-1-1-WK), das zuletzt durch § 4 des Gesetzes vom 10. Juli 2018 (GVBl. S. 533) geändert worden ist.
Benedikter, Roland; Giordano, James; Fitzgerald,