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Persönlichkeitsentwicklung in Hochschulausbildungen fördern (E-Book)


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Forschung einher (Budde & Weuster, 2018, S. 5). Trotz der Vielfältigkeit und Vagheit der jeweiligen Definitionen und begrifflichen Verwendungen kreist die Allgegenwart der Forderung nach Persönlichkeitsentwicklung im Kern um die Idee, dass die menschliche Persönlichkeit etwas Gestaltbares und zu Gestaltendes darstellt, dass «Bildung» hierfür eine entscheidende Rolle spielt und dass sich diesbezüglich in der Situation der Moderne und insbesondere in der aktuellen Gegenwart besondere Herausforderungen stellen, die in unterschiedlichsten gesellschaftlichen Kontexten zu bewältigen sind (a. a. O., S. 6 f.).

      Verstehbar wird die Idee einer zu bildenden menschlichen Persönlichkeit insbesondere vor dem übergreifenden Hintergrund des modernen Menschenbildes und seiner Ursprünge, die bis in das antike Denken zurückreichen. Dessen Grundpfeiler können im Rahmen dieses Aufsatzes zumindest angedeutet werden: Die antike Auffassung des Menschen als vernunftbegabtes und soziales Lebewesen[2] entfaltet bis in die heutige Zeit ihre bestimmende Wirkung. Die christliche Vorstellung menschlicher Individualität bekam in der Renaissance eine neue Dynamik, löste sich im Verlauf der Neuzeit zunehmend von ihren religiösen Wurzeln ab und radikalisierte sich in der Moderne bis in die Gegenwart hinein (Kriza, 2018, S. 151–213). Zum Kern des modernen Personseins gehören die Idee des freien menschlichen Willens[3] und die Auffassung, dass der Mensch seine Lebensweise frei zu wählen habe[4] – aber zugleich auch die Vorstellung einer Moralität, die in der vernünftigen Autonomie des Menschen ihren Ursprung nimmt.[5] Im modernen Menschenbild verbinden sich freie Selbstbestimmung, moralische Verantwortlichkeit und Rationalität. Der Zusammenhang dieser bestimmenden Facetten kommt in der Vorstellung einer besonderen Würde des Menschen zum Ausdruck. Die abstrakte Idee der Menschenwürde entfaltet ihre Wirkung durch ihre Konkretisierungen, nicht zuletzt in der Ausgestaltung von Menschenrechten (Bielefeldt, 2011, S. 105–144). Die Auffassung des Menschen als freies und selbstbestimmtes, vernünftiges und moralisches Individuum, das sich im Zusammenleben mit anderen Menschen die Gesetze seines Lebens selbst auferlegt und sich in seiner Ganzheit durch eine besondere Würde auszeichnet, konstituiert das moderne Bild des Menschen. An diesem Bild hängen die Idee des Personseins und zugleich auch die Vorstellung, dass die Persönlichkeit des Menschen erst entwickelt, entfaltet bzw. gebildet werden muss.

      Das menschliche Leben ist, anders als beim Tier, kein durch Instinkte weitgehend festgelegter Ablauf: Menschen können ihr Leben – sowohl in individueller als auch in gesellschaftlicher Hinsicht – ganz unterschiedlich leben. Und weil sich ihr Leben nicht als ein Automatismus vollzieht, müssen sich Menschen um ihr Leben kümmern: Sie müssen sich aktiv darum bemühen, dass sich ihr Leben zu einem guten Leben entwickelt. Das antike Denken hat hierbei eine bis heute einflussreiche Unterscheidung getroffen: Menschen können entweder ihr Leben einfach laufen lassen, sich nur auf die Befriedigung ihrer unmittelbaren materiellen Bedürfnisse fokussieren, sich den Dynamiken ihres sozialen Umfeldes unreflektiert hingeben – oder aber sie können danach streben, ihr Leben in einer bewussten und reflektierten Weise aktiv zu gestalten und dabei die wertvolleren, höheren Potenziale, die in ihnen als Möglichkeiten angelegt sind, zur Entfaltung kommen zu lassen. Die Interpretation des guten Lebens als ein zielgerichtetes und durch Reflexion begleitetes Streben nach höheren Zielen, nach wertvolleren Weisen des Lebens, nach methodischer Veredelung und Vervollkommnung der Persönlichkeit ist eine Vorstellung, die – trotz aller inhaltlicher Verschiedenheit – die einflussreichen philosophischen und religiösen Strömungen des antiken Denkens mit vielen späteren und gerade auch modernen Auffassungen des guten Lebens verbindet – wenn auch mit entscheidenden Brüchen.[6] Derartige Vorstellungen finden sich bei Platon, Aristoteles, den Stoikern wie auch im Christentum, sie finden sich bei den Denkern der Renaissance und der Aufklärung, sie bilden den Kern des vielzitierten Humboldt’schen Bildungsideals (z. B. Budde & Weuster, 2018, S. 14 f.), und sie befeuern noch das Denken Friedrich Nietzsches, des vermeintlichen Zertrümmerers aller Traditionen (Kriza, 2018, S. 213–220). Hierbei ist es keine Nebensächlichkeit, dass eine kulturell derart wirkungsmächtige Idee – die Auffassung, dass Menschen für ein gutes und glückliches Leben ihre Persönlichkeit aktiv und zielgerichtet bearbeiten und entwickeln müssen – mit Namen und Positionen von Philosophen verknüpft ist. Philosophie stellte in ihren antiken Ursprüngen die zentrale Methode der Persönlichkeitsentwicklung dar, und die dazugehörigen Vorstellungen entfalten bis heute ihren Einfluss. Was bedeutet Philosophie in diesem ursprünglichen Sinn?

      In der antiken Vorstellung von Philosophie war der Aspekt der Reflexion direkt mit der Gestaltung des menschlichen Lebens verbunden: Es ging nicht primär um den Entwurf von theoretischen Systemen des Denkens, sondern um die Entwicklung von umfassenden Entwürfen des Lebens. Nach den Werken von Pierre Hadot (1991) und des späten Michel Foucault (2004; 2005, S. 747–776, 902–909) kann annähernd die gesamte antike nachsokratische Philosophie als geistige Übungen verstanden werden, die eine grundlegende Transformation des Lebens zum Ziel hatten (Kriza, 2018, S. 88–101, 114–128; Kriza 2019). Durch die gezielte Herausbildung menschlicher Vernünftigkeit sollte der Blick des Menschen weg vom niederdrückenden Irdischen hin auf etwas Höheres, Göttliches umgelenkt und ausgerichtet werden. Im antiken Streben nach Erkenntnis durch Wissenschaft und Philosophie lag die Bemühung, die eigene Persönlichkeit zu formen: Durch Einblick in die Wahrheit über die Zusammenhänge der Welt und durch Orientierung an der göttlichen kosmischen Ordnung sollte im Menschen eine analoge vernünftige Ordnung zur Entfaltung gebracht werden, um auf diesem Weg ein gutes Leben zu ermöglichen. Die geistigen Übungen der Philosophie hatten, als Arbeit am eigenen Selbst, das Ziel, die Persönlichkeit des Menschen zielgerichtet zu gestalten und zu bilden, um die im Menschen angelegten höheren Möglichkeiten als das wesenhaft Menschliche zur Entfaltung zu bringen.

      Heute, in modernen Kontexten des Denkens, erscheinen dieses antike Verständnis von Wissenschaft und Philosophie und insbesondere die dazugehörige Weltsicht und Wahrheitsauffassung eher als etwas Fremdes – die Grundidee hingegen, dass Menschen ihre Persönlichkeit zielgerichtet zu verändern, zu bilden und zu entwickeln haben, um gut zu leben, hat ihre Faszination bis heute nicht verloren. Bedeutende Strömungen der modernen Philosophie können als Versuch interpretiert werden, das antike Verständnis von Persönlichkeitsbildung als Arbeit am eigenen Selbst in moderne Kontexte des Denkens zu transformieren (Kriza, 2018, S. 213–294). Die Allgegenwart von körperlichen und geistigen Übungsbewegungen in unterschiedlichen Kontexten der Gegenwart belegt die heutige Lebendigkeit derartiger Auffassungen (Sloterdijk, 2009; Kriza, 2018, S. 128–150). Zu diesen Kontexten gehört nicht zuletzt auch der Bildungsbereich.

      Die zeitgenössische Philosophiedidaktik kann als Anknüpfung an das antike Philosophieverständnis aus dem Blickwinkel des modernen Menschenbildes interpretiert werden. Der Mensch in der Moderne, begriffen als freies und autonomes Individuum, sieht sich vor die Herausforderung gestellt, seine Freiheit und moralische Verantwortlichkeit stets erst herausbilden zu müssen. Die Philosophiedidaktik versteht hierbei Philosophie in einem weitgehenden Konsens als eine Schulung des Selberdenkens in der Tradition des antiken und aufklärerischen Denkens, oft in expliziter Anknüpfung an Sokrates und Immanuel Kant (Tiedemann, 2017b, S. 14 f.; Steenblock, 2017a, S. 30–33; Steenblock, 2017b, S. 58–65; Martens, 2017, S. 41–47). So interpretiert Ekkehard Martens Philosophie als eine «elementare Kulturtechnik» und als Mittel, um «das Selbstdenken und somit die Autonomie der Person zu fördern», und bezieht dabei die Philosophie direkt «auf den Zweck der Persönlichkeitsbildung und eine humane Lebensgestaltung» (Martens, 2017, S. 46). Volker Steenblock verortet philosophische Bildung in der Tradition Platons und Wilhelm von Humboldts im allgemeinen «Bemühen um ein selbst verantwortetes und gestaltetes Wissen» als Grundlage eines menschlichen Lebens, das als Projekt bewusster und autonomer Gestaltgebung aufzufassen ist (Steenblock, 2017b, S. 58, 63–65). In dieser die Antike und Neuzeit verbindenden Traditionslinie wird die menschliche Existenz als die Herausbildung einer Persönlichkeit interpretiert, die «sich aus einem letzten, verantworteten Prinzip heraus zu steuern sucht» (a. a. O., S. 58). Bedingung hierfür ist, dass der Mensch über die relevanten Aspekte, Ziele und Konsequenzen des eigenen Lebens und Denkens reflektiert Rechenschaft geben kann. Die Herausbildung dieser Fähigkeit ist seit jeher eine Kernaufgabe der Philosophie und erstreckt sich insbesondere auch auf die gezielte Schulung der «Urteilskraft, verstanden als Fähigkeit zur kritisch rationalen Argumentation sowie sicheren Verwendung von Begriffen und kategorialen Unterscheidungen» (Tiedemann, 2017a, S. 26).

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