Kay Biesel

Prozessmanual. Dialogisch-systemische Kindeswohlabklärung


Скачать книгу

zu dienen, und will die Zusammenarbeit zwischen KESB, Kinder- und Jugenddiensten, Sozialdiensten und anderen im Kindesschutz tätigen Organisationen unterstützen.

      Das Prozessmanual enthält

      • Grundsätze und Methoden zur Gestaltung des Kontakts mit Kindern, Jugendlichen und Eltern,

      • Empfehlungen zu Methoden und Instrumenten,

      • Argumentationshilfen zur Begründung von Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe und zur Ableitung von Empfehlungen für die Anordnung oder den Verzicht auf zivilrechtliche Kindesschutzmassnahmen,

      • Checklisten, Planungs- und Entscheidungshilfen,

      • Anregungen und Hinweise zur Dokumentation von Abklärungen und zur Erstellung von Abklärungsberichten.

      In Kapitel 2 werden die Grundlagen und Prinzipien dialogisch-systemischer Kindeswohlabklärung erläutert. Daraus werden fünf Grundsätze professionellen Handelns in Kindeswohlabklärungen in Form von Praxisprinzipien hergeleitet. Im Hauptteil des Prozessmanuals werden Aufgaben und Funktionen, Herausforderungen und Empfehlungen zur Gestaltung einer Kindeswohlabklärung entlang der sechs Schlüsselprozesse umfassend beschrieben. Am Ende jedes Schlüsselprozesses finden sich Hinweise auf Methoden und Instrumente. Diese werden jeweils nur einmal genannt, obwohl einige auch in anderen Schlüsselprozessen sinnvoll verwendet werden können.

      Neben konkreten Empfehlungen zur Prozessgestaltung von Kindeswohlabklärungen enthält das Prozessmanual auch Überlegungen zur Zusammenarbeit zwischen abklärenden Diensten und KESB während und nach der Durchführung von Abklärungen (Kapitel 4) und zur Dokumentation (Kapitel 5). Es wird abgerundet durch ein Glossar (Kapitel 6).

      1.3 Adressatinnen und Adressaten des Prozessmanuals

      Das «Prozessmanual. Dialogisch-systemische Kindeswohlabklärung» richtet sich an erfahrene Fachpersonen. Es soll Fachpersonen in Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden (KESB), die für die Abklärung von Kindeswohlgefährdungen zuständig sind, ebenso unterstützen wie abklärende Fachpersonen in Fachdiensten (Sozialdienste, Kinder- und Jugenddienste). Es soll ihnen dabei helfen, unter Einbezug des Kindes, seiner Eltern, weiterer Familienmitglieder und fachlicher Partner zu klären, welche freiwilligen Leistungen und/oder zivilrechtlichen Kindesschutzmassnahmen zum Schutz des Kindes oder Jugendlichen vor Gefährdungen seines Wohls ergriffen bzw. der KESB empfohlen werden sollen. Als formale Mindestqualifikation für Fachpersonen, die Abklärungen im Kindesschutz im Sinne dieses Prozessmanuals durchführen, betrachten wir einen Bachelorabschluss in Sozialer Arbeit – oder einer verwandten und für die Aufgaben des Kindesschutzes relevanten Disziplin/Profession – plus eine qualifizierende Zusatzausbildung, die spezifische Kompetenzen und Wissensbestände für Kindesschutz, Kindeswohlabklärungen oder Beratung bzw. Gesprächsführung in Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit vermittelt. Multiprofessionelle Zusammenarbeit bei Abklärungsaufgaben sowie in spezialisierten Abklärungsteams hat sich in verschiedenen Kindesschutzsystemen und -organisationen bewährt.

      1.4 Grenzen und Leistungsvermögen des Prozessmanuals

      Das Prozessmanual basiert auf der Annahme, dass Abklärungen von Kindeswohlgefährdungen in kontingenten – also ungewissen, mehrdeutigen und widersprüchlichen – Praxiskontexten realisiert werden, die nicht vollständig beeinflussbar, steuerbar und vorhersehbar sind (vgl. Alberth/Bode/Bühler-Niederberger 2010; Biesel/ Wolff 2014, S. 21ff.). Abklärungen können daher nicht in der Form eines One-best-way-Verfahrens angeleitet werden. Dies würde eine Abklärungspraxis unterstützen, die der Komplexität und Einzigartigkeit der Lebenssituationen von Kindern und Jugendlichen nicht gerecht wird. Die in den Schlüsselprozessen aufgegriffenen Aufgaben- und Funktionsbeschreibungen, die fachlichen Herausforderungen sowie die vor diesem Hintergrund abgeleiteten Empfehlungen zur Prozessgestaltung stellen insofern den Versuch dar, Fachpersonen bei der Bewältigung von Abklärungsaufgaben Orientierung zu bieten und sie anzuleiten.

      Es liegt in der Verantwortung der abklärenden Fachpersonen, die für den konkreten Abklärungsprozess jeweils geltenden verfahrensrechtlichen Vorgaben zu berücksichtigen, wenn sie die Empfehlungen und Vorschläge des Prozessmanuals nutzen. Das Prozessmanual rechnet mit Fachpersonen, die seine Vorschläge und Empfehlungen bewusst und selektiv nutzen. Dazu gehört es auch, dass sie sich darüber im Klaren sind, ob sie eine Abklärung durchführen, die von einer KESB angeordnet worden ist und bei der die Verfahrensvorschriften des ZGB gelten, oder ob sie eine Abklärung durchführen, die Teil des Leistungsauftrags eines kantonalen oder kommunalen Fachdienstes ist (Kinder- und Jugendhilfedienst; Sozialdienst) und somit die jeweiligen Verfahrensvorschriften und Rahmensetzungen der kantonalen oder kommunalen Ebene gelten.

      Die Wirksamkeit des Prozessmanuals hängt stark davon ab, wie es Fachpersonen und ihren Organisationen gelingt, die darin enthaltenen Vorschläge auf bereits vorhandene (inter-)organisationale Strukturen, Abläufe und Prozesse zu übertragen und in der Gestalt von Kooperationsvereinbarungen, Arbeitsanweisungen und Richtlinien zu implementieren. Desgleichen wird es erforderlich sein, für Umfeldbedingungen zu sorgen, die ein Handeln im dialogisch-systemischen Sinne möglich machen (vgl. Kapitel 2).

      Das Prozessmanual ist nicht dafür konzipiert worden, die professionelle Autonomie von Fachpersonen mit Abklärungsaufgaben im Kindesschutz zu beschneiden. Es kann und soll die reflektierte Erfahrung von Fachpersonen nicht ersetzen. Es ist kein Kochbuch, in dem man Patentrezepte finden kann. Es enthält zwar Empfehlungen zur Prozessgestaltung, an denen man sich orientieren kann. Ihnen sollte aber nicht einfach unreflektiert und bedingungslos gefolgt werden. Vielmehr sollen sie unter Berücksichtigung des jeweiligen Abklärungsauftrags und des tatsächlichen Verlaufs des Abklärungsprozesses reflektiert angewendet werden. Sie sollen primär Orientierung bieten, zum Nachdenken anregen, dazu beitragen, dass Wichtiges nicht vergessen wird, und Handlungsoptionen aufzeigen, die möglicherweise aus dem Blick geraten sind. Sie sollen eine Erinnerungsstütze sein, der Vor- und Nachbereitung von Abklärungen im Kindesschutz dienen und professionelles Handeln unter Ungewissheitsbedingungen unterstützen.

      Damit das Prozessmanual sachgerecht genutzt und in der Praxis umgesetzt werden kann, müssen folgende Bedingungen und Voraussetzungen erfüllt sein:

      1 Fachlichkeit

      Abklärungen im Kindesschutz werden von kompetenten und erfahrenen Fachpersonen durchgeführt (vgl. oben). Diese suchen aktiv den Austausch mit anderen Fachpersonen und Professionen innerhalb und ausserhalb ihrer Organisation – sei dies in Form kollegialer Beratungen, der Arbeit in Tandems, von Fallreviews, spezialisierten Abklärungen etc.

      2 Ausstattung

      Abklärende Fachpersonen sind auf Organisationen angewiesen, in denen genügend Ressourcen und Kompetenzen für die Gestaltung von Kindeswohlabklärungen vorhanden sind. Ausstattung, Strukturen und Abläufe, aber auch die Kultur einer Organisation können dialogisch-systemische Vorgehensweisen bei Kindeswohlabklärungen nachhaltig fördern – aber auch behindern. Die praktische Umsetzung der konzeptionellen und praktischen Vorschläge des Prozessmanuals hängt entscheidend von den infrastrukturellen Bedingungen wie auch von Kulturen der Zusammenarbeit und der Qualität der Kommunikation unter Fachpersonen innerhalb und ausserhalb abklärender Dienste ab.

      3 Partizipation

      Abklärende Fachpersonen pflegen eine Abklärungspraxis, in welcher der Kontakt und die Begegnung mit dem Kind, seinen Eltern, weiteren Familienmitgliedern sowie fachlichen Partnern aktiv gestaltet werden. Das dem Prozessmanual zugrunde liegende dialogisch-systemische Verständnis von Abklärungen im Kindesschutz basiert auf der Annahme, dass abklärende Fachpersonen nur zu begründeten Einschätzungen darüber gelangen können, was zur Sicherung und Förderung des Kindeswohls getan werden muss, wenn sie das Kind, seine Eltern, weitere Familienmitglieder sowie fachliche Partner an der Gestaltung des Abklärungsprozesses aktiv beteiligen und an ihren Überlegungen teilhaben lassen. Konkret sollen sie gemeinsam mit dem Kind, seinen Eltern, weiteren Familienmitgliedern sowie fachlichen Partnern zu einem Verständnis darüber gelangen, wie es zur Gefährdung des Kindeswohls gekommen ist und was getan werden kann, um diese abzuwenden. Hierfür sollten sie dialogisch, beteiligungsfördernd und aushandlungs-orientiert vorgehen.

      4 Reflexivität