Ulrich Behmann

Januargier


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das Narbengewebe werden mit Nahrung versorgt. Diese Behandlung hat sich insbesondere auf dem neuroorthopädischen Gebiet bewährt. Glaub mir, das hilft ganz prima gegen Migräne und sogar gegen deine Narbenschmerzen. Bald ist deine Pein wie weggeblasen.“ Ein Lächeln huschte über Hermas Gesicht. „Na, schön wär’s“, sagte die Kommissarin und rieb sich dabei unbewusst über die Narbe. „Nicht, dass du das in den falschen Hals kriegst, Ulli. Ich ziehe deine Methode überhaupt nicht in Zweifel – und vertraue dir voll und ganz. Du hast das toll erklärt, du könntest auch an der Uni Vorlesungen halten. Ich fühle mich halt besser, wenn ich weiß, was mit mir geschieht und wie das mit der Heilung funktioniert.“ Doktor Messner überhörte Hermas Rechtfertigung. Er kannte sie schon seit ein paar Jahrzehnten und hatte sich an ihre Nachfragen gewöhnt. Mit dem Zeigefinger seiner rechten Hand tippte er auf seinen Brustkorb. Irgendetwas schien ihn zu amüsieren. „Soso ... du meinst: Ich sollte Dozent werden ...? Du willst mir schmeicheln.“ Messner lachte laut. Seine Augen funkelten wie Sterne. „Nein, nein ... Schuster, bleib bei deinen Leisten. Frei nach Müntefering: Ich habe den schönsten Job neben Papst. Und vor allem: Dafür bin ich schon zu alt. In meinem nächsten Leben vielleicht. Aber: Danke für die Blumen.“

      Herma van Dyck schaute zu Boden. Ihr war plötzlich peinlich, die Schmerztherapie hinterfragt zu haben. Doktor Messner hatte eine Kombinationstherapie entwickelt, die nach ihm benannt worden war. Er musste stolz darauf sein. Und nun kam sie daher und löcherte ihn mit blöden Fragen. Ihre Charmeoffensive war jedenfalls volles Mett in die Hose gegangen. „Du nimmst mir doch mein Verhör nicht übel, Ulli – oder? Ich bin halt neugierig, muss alles hinterfragen und wissen. Ist wohl eine Berufskrankheit.“ Doktor Messner winkte ab. „Nein, nein, schon gut. Ich mag es, wenn meine Patienten wissbegierig sind. Ich wollte nur, dass du weißt, dass das kein Schabernack ist. Aber es ist wie bei Medikamenten: Die richtige Dosis macht’s – und die Kombination aus verschiedenen Therapieformen.“

      Doktor Messner sah auf seine Armbanduhr. „Tja, mien Deern. Kann ich sonst noch was für dich tun? Falls nicht, schnacken wir übermorgen weiter. Du hast ja selbst gesehen: Die Praxis ist proppenvoll.“

      Herma hätte noch gern mit ihrem Arzt ein paar Minuten mehr geplaudert. Das bevorstehende Gespräch mit dem Polizeipsychologen schwebte wie ein Damoklesschwert über ihrem Kopf. Es schlug ihr auf den Magen. Sie musste mit Ulli darüber reden. Vielleicht konnte er ihr Tipps geben, wie sie sich bei Rixinger verhalten musste, damit der Psychologe sie für diensttauglich hielt. Aber Herma sah ein, dass Doktor Messner sich noch um andere Patienten kümmern musste. „Nee, alles gut so weit, Ulli. Ich danke dir, dass du dir so viel Zeit für mich genommen hast.“ Messner stand auf, reichte ihr seine Hand und zwinkerte ihr aufmunternd zu. „Bald bist du wieder ganz die Alte. Wirst schon sehen. Lass jetzt bloß nicht den Kopf hängen ...“

      Herma musste schlucken. „Danke, Ulli – für deine lieben Worte“, sagte sie und nahm den Arzt in den Arm. Sie hatte Tränen in den Augen.

      Kapitel 8

      Neun Uhr dreißig, Hameln, Fußgängerzone. Draußen kämpfte sich die Sonne durch den zähen Frühnebel, der sich im Wesertal viel länger als anderswo gehalten hatte. Der Wind war feucht, eisig und drehte auf Nord­ost. Das Thermometer zeigte an diesem nasskalten Januarmorgen 4 Grad Celsius an. Drinnen war es wohlig warm, roch es nach ofenwarmen Brötchen und frisch aufgebrühtem Kaffee. Er saß im Café Wien, starrte freudestrahlend auf sein Smartphone und nippte von Zeit zu Zeit an seinem türkischen Mokka. Er fühlte sich wie ein König, hatte Grund zum Feiern. Der Goldpreis stieg von Tag zu Tag. Er war auf Höhenflug. Das zeigte der Realtime-Kurs im Internet bei Börse Online. Er konnte sich nicht sattsehen, hatte schon Dollarzeichen in den Augen. Der Mokka-Trinker glotzte sabbernd auf die sich ständig verändernden Zahlen vor und hinter dem Komma, die abwechselnd grün und rot unterlegt wurden. Er lehnte sich zufrieden zurück und genoss den Wiener Charme, den dieses Kaffeehaus versprühte. Endlich hatte er mal einen Volltreffer gelandet. Holdorfs Gold machte ihn liquide. Vorbei die Zeiten, wo er jeden Cent zweimal umdrehen musste. Er würde die Goldbarren nach und nach zu Geld machen, sie bei verschiedenen Banken verkaufen. So lief er nicht

      Gefahr, aufzufallen. Er hob die Hand und winkte eine rot­haarige Kellnerin zu sich. Die junge Frau lächelte ihn fragend an. „Sie wünschen, bitte?“

      „Haben Sie Sekt in kleinen Flaschen?“

      Die Rothaarige zwinkerte ihm zu. „Ja, klar. Piccolo. Darf ich Ihnen einen bringen, mein Herr?“

      Die Frau war Mitte 30, hatte volle rote Lippen, große blaue Augen, hohe Wangenknochen und weiche Gesichtszüge. Auf ihrem Namensschild stand, dass sie Denise hieß. Über ihrem schwarzen kurzen Kleid trug sie eine weiße Schürze mit Rüschen. Er fand ihr Lächeln bezaubernd.

      „Ja, bitte. Einen Trockenen, wenn Sie haben ...“ Er blickte ihr tief in ihre Augen. „Ach, eine Frage noch: Darf ich Sie vielleicht auf ein Gläschen einladen?“

      Die sommersprossige Kellnerin lief rot an. „Äh ... Nein, danke. Ich habe zu arbeiten. Es ist auch nicht erlaubt, mit Gästen zu trinken“, flüsterte sie und machte auf dem Absatz kehrt.

      Wow, was für eine Frau, dachte er und stieß beim Ausatmen einen leisen Pfeifton aus. Er stand auf Rot­haarige, spürte in seinem Schritt Erregung. „Rote Haare und blaue Augen – was für eine seltene Kombination. Voll krass, ey“, sprach er leise zu sich selbst – und leckte sich danach über seine Lippen. Er hatte irgendwann einmal in einem Magazin gelesen, dass Rot die seltenste Haarfarbe war. Nur zwei Prozent aller Menschen weltweit waren von Natur aus rothaarig. Auch blaue Augen wurden nicht dominant vererbt und waren alles andere als häufig. Wenn er sich richtig erinnerte, dann hatten lediglich 17 Prozent der Weltbevölkerung diese Augenfarbe. Diese Sommersprossige war wirklich besonders. In seinem Kopf arbeitete es. In Mathematik war er schon in der Schule spitze gewesen, später hatte er Informatik studiert. Deshalb fiel es ihm nicht schwer, im Kopf auszurechnen, wie selten die Kombination rote Haare und blaue Augen war. Er ging von etwa 7,5 Milliarden Menschen aus, die auf der Erde lebten, und kam auf weniger als 13 Millionen Rothaarige, die blaue Augen hatten. Kein Zweifel – diese Schönheit gehörte zu dieser Spezies Mensch. Während er seine Zunge in die kleine Tasse steckte und den mit viel Zucker versetzten Kaffeesatz aufleckte, überlegte er, wie er Denise in sein Bett kriegen könnte. Während er darüber sinnierte, geriet plötzlich eine andere Frau, die am Nachbartisch Platz genommen hatte, in sein Gesichtsfeld.

      Er war wie elektrisiert. Sie mochte Mitte sechzig sein, hatte kurze braune Haare, ein rundes Gesicht und kleine Augen, die von den dicken Gläsern einer schwarzen Nana-Mouskouri-Brille vergrößert wurden. Nicht das Aussehen dieser Frau, sondern der Schmuck, den sie trug, weckte sein Interesse. Das Geschmeide löste einen starken Sabber-Reflex bei ihm aus. Speichel tropfte aus seinem Mund. Seine Augen hatten Gold und Edelsteine erspäht. Ein prächtiges, offenbar mit Brillanten besetztes Collier, an dessen Ende ein kunstvoll gefertigtes Fabergé-Ei baumelte, schmückte ihren faltigen Hals. An ihren Ohrläppchen hingen zwei auffallend große, ebenfalls mit zahlreichen weißen Steinen besetzte Creolen. Am rechten Handgelenk trug die Café-Besucherin eine schwere Goldkette, die mit Rubinen verziert war. An sechs Fingern ihrer mit Altersflecken übersäten Hände trug sie Ringe. Keine Frage: Diese Frau stellte ihren Reichtum zur Schau. Vermutlich war ihr Mann schon längst unter der Erde und hatte ihr ein Vermögen, das sie jetzt verprasste, hinterlassen.

      Die rothaarige Kellnerin riss ihn aus seinen Tagträumen. Sie stellte ein Sektglas und die Piccolo-Flasche auf den Kaffeehaustisch und räumte die von ihm ausgeleckte Mokkatasse ab. „Wohl bekomms!“, sagte sie mit einem verführerischen Blick. „Danke“, erwiderte er knapp, öffnete das Fläschchen und goss sich etwas Sekt ins Glas. Aus den Augenwinkeln beobachtete er dabei die Mittsechzigerin. Die Brillanten funkelten im Licht der Tischlampe wie Sterne am Firmament. Er musste diese Klunker haben. Die sind locker zwanzigtausend oder mehr wert. Womöglich hat die alte Schabracke zu Hause noch mehr davon in ihrer Schmuckschatulle, malte er sich aus. Wie ein Raubtier, das zähnefletschend seine Beute ins Visier nimmt, fixierte er die Frau, von der er annahm, dass sie Witwe war. Sie nestelte abwechselnd nervös an ihrer beigefarbenen Seidenbluse und an einer roten Rose, die vor ihr auf der Tischplatte aus Onyx lag, und sah sich von Zeit zu Zeit um. Er schloss daraus, dass die Frau ein Blind Date hatte. Die Rose war offenbar das Erkennungszeichen. Der Mörder dachte