Sein Tod hinterließ daher eine Lücke, die nicht gefüllt werden konnte, und sorgte mitunter dafür, dass geschäftliche Angelegenheiten zunehmend zu einem Streitpunkt innerhalb der Band wurden. Ein nicht unwesentlicher Aspekt in der weiteren Geschichte der Beatles.
Aber auch zwischenmenschlich wie musikalisch lief es nicht mehr so harmonisch wie früher. Bei den Aufnahmen zum Weißen Album 1968 arbeiteten die einzelnen Bandmitglieder zeitgleich in verschiedenen Studios getrennt voneinander, sodass Stammproduzent George Martin einen Teil der Produktion an Chris Thomas übergab. Trotz räumlicher Trennung wurden die Spannungen innerhalb der Band so groß, dass Ringo Starr am 22. August 1968 das Handtuch warf und die Band verließ. Er betrachtete sein Schlagzeugspiel kritisch und sah sich von den anderen drei ausgeschlossen. Wie er feststellen sollte, war er nicht der einzige, der sich so fühlte. Sowohl John Lennon als auch Paul McCartney sagten ihm gegenüber, dass sie sich wiederum von den anderen drei ausgegrenzt vorkamen. George Martin sah es vielmehr so, dass Starr die Spannungen zwischen Lennon und McCartney fälschlicherweise auf sich bezog.
Starr verließ die Gruppe dennoch und flüchtete nach Sardinien, wo er »Octopus’s Garden« schrieb. McCartney übernahm in seiner Abwesenheit das Schlagzeug und spielte bei den Aufnahmen von »Dear Prudence« und »Back in U.S.S.R«. Doch ohne Starr war es nicht dasselbe und die restlichen Beatles schickten ihm ein Telegramm, in dem sie versicherten, wie sehr sie ihn liebten, dass er der beste Rock ’n’ Roll-Drummer der Welt sei und er doch bitte zurückkommen möge. Am 4. September kehrte Starr also wieder im Studio ein und fand dort sein mit Blumen geschmücktes Schlagzeug als Willkommensgruß vor. Dennoch zeigt diese Episode, wie fragil das Bandgefüge mittlerweile war.
Auch die Frage nach Konzerten spaltete die Band. Lennon und George Harrison waren ganz zufrieden damit, nicht mehr auf Tour gehen zu müssen. Der Stress, die steigenden Sicherheitsanforderungen, die für die großen Venues unzureichende Technik – all das vermissten die beiden nicht. Lediglich McCartney trauerte den alten Zeiten hinterher. Gerne erinnerte er sich zurück an die Anfänge der Band, als sie noch in kleinen Clubs spielen konnten und wie Pech und Schwefel zusammenhielten; an einfache, live reproduzierbare Musik, fernab von den zeitintensiven Studioaufenthalten, die die Beatles seit »Rubber Soul« zunehmend schlauchten. Live zu spielen war für ihn Training, insbesondere weil Lennon nur ungern probte. Gleichzeitig verpassten die Beatles damit ein neu aufkommendes Phänomen. 1967 fand das Monterey-Festival statt, das eine neue Ära der musikalischen Großveranstaltungen einleitete und Künstler*innen wie The Who, Janis Joplin und Jimi Hendrix zu Megastars machte. Letzterer wurde auf Empfehlung McCartneys gebucht, denn tatsächlich wurden die Beatles für eine Show in Monterey angefragt, lehnten allerdings ab.
McCartney war die treibende Kraft, die dafür sorgte, dass die Band sich Anfang Januar in den Twickenham-Filmstudios traf. Seine nostalgischen Gefühle gaben die Parameter für das anstehende Projekt vor. Er wollte die jugendliche Energie der Tage in Hamburg und im Cavern Club wiederbeleben. Zu diesem Zeitpunkt war den Beatles allerdings nicht so ganz klar, wohin die Reise gehen soll. Von Beginn an war ein Kamerateam um Michael Lindsay-Hogg mit dabei, um die Arbeiten zu dokumentieren, weswegen wir nahezu den gesamten Verlauf rekonstruieren können. Ursprüngliches Ziel war ein einzelner Live-Auftritt, wobei der endgültige Rahmen noch unklar blieb. Allerdings wurde mit dem 20. Januar 1969 bereits ein Termin angepeilt. Doch wo sollte das Konzert stattfinden? Sollte es fürs Fernsehen oder für einen Film aufgezeichnet werden? Welche Songs sollten gespielt werden?
Die Idee, Stücke des Weißen Albums live aufzuführen, wurde auf Anregung McCartneys bereits vor den Sessions verworfen. Auch neue Songs sollten dem Publikum präsentiert werden. Das heißt, die Produktion eines Albums war zu Beginn des Projekts gar nicht Teil der Unternehmungen. Mitgeschnitten wurden die Songs nur, um eine gute Tonqualität im Dokumentarfilm zu präsentieren, nicht um eine Platte zu veröffentlichen. Das unklare Szenario in den Twickenham-Studios sorgte auch gleich für Unmut in der Band. Dabei war die Stimmung am ersten Tag grundsätzlich gut. Lennon, der mit Yoko Ono kam, die ihm während des Projekts nicht von der Seite weichen sollte, präsentierte sofort neue Songs wie »Don’t Let Me Down« und »Dig a Pony«. Auch Harrison war motiviert und spielte den Kollegen »All Things Must Pass« sowie »Let It Down« vor, dennoch machte ihm das Setting zu schaffen. Er bemängelte die Akustik und war regelrecht erschrocken, dass bereits jetzt gefilmt wurde und sogar die Gespräche untereinander aufgezeichnet werden sollten. Lieber wollte er die Stücke erst mal einstudieren, bevor das Filmteam Aufnahmen machte. Auch wurde an seinen Songbeiträgen nicht so ernsthaft gearbeitet wie an den Stücken von Lennon und McCartney. Letzterer war von Tag Eins an der federführende Motivator. Er kam am besten vorbereitet und wusste genau, was er wollte. Dadurch rutschte er allerdings auch häufig in die Rolle des Bestimmers, was nicht unbedingt auf Gegenliebe stieß. Die Freiheiten, mit denen er das Projekt als gemeinsame Arbeit gestalten wollte, sorgten eher für Ziellosigkeit und Verwirrung. Dieser erste Tag war exemplarisch für die »Get Back«- Sessions. Und obwohl McCartney immer wieder die Zügel in die Hand nahm, war nicht klar, wohin die Reise eigentlich gehen sollte. Lennon und Ono waren unzertrennlich, und der Input des kritischen Harrisons wurde zu wenig wertgeschätzt. All das sollte nicht ohne Folgen bleiben.
YOKO ONO
Es gehört zu den alternativen Fakten – schon bevor alternative Fakten überhaupt ein Ding waren – dass Yoko Ono die Beatles auseinanderbrachte. Wie oben gezeigt, hatte das Ende der Beatles vielschichtige Gründe, von denen Ono, wenn überhaupt, einer der kleinsten war. Es stimmt, dass Lennon und Ono unzertrennlich waren und er seine Partnerin als einziger Beatle stets bei den Aufnahmen dabeihatte. Auch stimmt es, dass einzelne Beatles sich immer wieder mal an diesem Umstand störten. So war Harrison bei den Aufnahmen zu »Abbey Road« durchaus von Onos Anwesenheit genervt. Der große Zwist zwischen den übrigen Beatles und ihr war allerdings stark übertrieben und nur ein Beispiel für das misogyne Storytelling der Popgeschichte. Tatsächlich gab Ono beim »Get Back«-Projekt den initialen Anstoß, auf eine ungewöhnliche Show statt auf ein großes Konzert als Abschluss des Filmprojektes zu setzen, und sorgte – wenn auch indirekt – mit dem ihr gewidmeten Song »The Ballad of John and Yoko« für ein Wiederaufflammen der fruchtbaren Zusammenarbeit von Lennon und McCartney. Aufgenommen wurde der Song von den beiden allein, da Harrison verreist und Starr mit den Filmaufnahmen zu »The Magic Christian« beschäftigt war. Auch wenn die Aufnahmen zu »Abbey Road« bereits im Februar begannen, wird diese Session im April 1969 gemeinhin als das Ereignis angesehen, das die Situation zwischen den beiden Freunden entspannte und die Arbeit an einem weiteren Album überhaupt ermöglichte. Auch wusste McCartney den inspirierenden und avantgardistischen Einfluss Onos auf Lennon durchaus zu schätzen. Er betonte in späteren Interviews, dass Ono keineswegs schuld an der Trennung der Beatles wäre. Wenn überhaupt eine einzelne Person dafür verantwortlich gemacht werden könne, dann in seinen Augen Allen Klein.
Bereits in den folgenden Tagen zeigten sich die Probleme. Ziellos schwelgten die Beatles in Erinnerungen und versuchten sich an Rock-’n’- Roll-Klassikern, scheiterten aber meist daran, dass sie die Songs aus ihrer Frühzeit als Cover-Band gar nicht mehr beherrschten. Harrison, der jüngste der Band, der erst spät als Songwriter reifte, hatte zunehmend Schwierigkeiten, sich mit seinem Material durchzusetzen. Zudem geriet er mit McCartney wegen der unterschiedlichen Arbeitsweisen aneinander. McCartney zog es vor, die Stücke erst mal in einfachen Arrangements einzustudieren und diese dann auszuarbeiten, während Harrison sich immer wieder in einzelnen Parts verbiss und das Tempo aus der Arbeit nahm. Dass dies alles noch vor einem Filmteam stattfand, nervte Harrison zusätzlich. Lennon war nach der anfänglichen, trügerischen Euphorie schnell alles egal. An den Diskussionen über den Liveauftritt beteiligte er sich meist gar nicht oder schrammelte passiv-aggressiv auf der Gitarre rum, während vor allem McCartney, Harrison und Lindsay-Hogg immer wieder neue Ideen durchgingen. In England oder im Ausland? Auf einem Schiff oder im Cavern-Club, um an die Anfänge zu erinnern? All das war unklar.
Auch seine eingebrachten Stücke ließ Lennon lieber von McCartney ausarbeiten, statt selbst zu arrangieren. Dennoch erlaubt er sich die Spitze, dass dieser ja eh »der Boss« sei, was wiederum McCartney ärgerte, der sich in diese Rolle gedrängt fühlte. Zunehmend zog sich Harrison raus und dachte sogar laut über Solo-Auftritte nach, worin er von Starr und McCartney auch noch bestärkt wurde. Am meisten trafen ihn aber wohl die Spitzen von Lennon,