Magda Trott

Goldköpfchen Gesamtausgabe (Alle 13 Bände)


Скачать книгу

Kind, du bist doch ein rechter Schmutzfink. Jetzt eile, hole deine Sachen und mach’, daß du zur Schule kommst!«

      Eine Viertelstunde später saß Goldköpfchen wieder in der Schulbank und schaute gelangweilt drein. Die Geschichte von Adam und Eva, die ihnen Fräulein Fiebiger erzählte, hatte es schon von der Mutti gehört. Bärbel hielt es daher nicht für notwendig, besonders aufzupassen. Sie dachte an Hektor, mit dem es sich so prächtig spielen ließ.

      Es vergingen keine fünf Minuten, da wurde Bärbel plötzlich unruhig. Zögernd kam der kleine Finger in die Höhe.

      »Was willst du, Kind?«

      »Fräulein, – ich habe einen Floh, vom Hektor.«

      »Das ist ein Irrtum, Bärbel. – Also weiter. – Wer waren die ersten Menschen?«

      »Adam und Eva«, sagte Maria.

      »Und wer war Kain und Abel?«

      Tiefes Schweigen.

      »So überlegt doch! – Wenn Adam und Eva die beiden ersten Menschen waren, wer waren Kain und Abel? – Bärbel, sprich!«

      »Die beiden zweiten Menschen.«

      »Ihr habt alle wieder nicht aufgepaßt. – Woran denkt ihr denn?«

      Wieder kam Bärbels Fingerchen hoch. »Fräulein, mich beißt schon wieder ein Irrtum.«

      »Die Stunde ist bald vorüber, Kind. Das kommt davon, wenn du daheim, ehe du zur Schule kommst, schon mit dem Hunde spielst. Im übrigen ist ein Hund ein sehr treues und gutes Tier, das einen außerordentlich feinen Geruch hat.«

      »Nein«, rief Bärbel stürmisch, »fein riecht er nicht, unser Hektor stinkt, – ich habe ihn geriecht!«

      Es war ein leiser Seufzer, der über die Lippen der Lehrerin kam. Mit Bärbel würde man wahrscheinlich in Zukunft noch einen recht schweren Stand haben. Das kleine, träge Mädchen war außerordentlich scharfdenkend und genau. Bärbel war nicht so leicht mit Redensarten abzuspeisen, sie ging den Sachen auf den Grund, und darum wollte sich Fräulein Fiebiger besonders vorsehen, um sich keine Blöße zu geben.

      Im Laufe der Unterrichtsstunde wurden dann noch anschließend erneut die Tugenden des Fleißes und der Bescheidenheit besprochen, wobei Fräulein Fiebiger gerade dann, wenn es sich um Fleiß handelt, Bärbel besonders scharf anschaute. Aber das Kind hatte inzwischen entdeckt, daß sich auf der hölzernen Tischplatte bequem mit dem Buntstift allerlei Striche zeichnen ließen, und war höchst erstaunt, als ihr dieses interessante Spiel schon im nächsten Augenblick untersagt wurde.

      »Fräulein«, fragte Georg, »lernt der besser, der große Ohren hat?«

      »Nein, Georg.«

      »Aber er kann doch viel mehr hören.«

      »Auf die Ohrmuschel kommt es nicht an, Georg.« Die Lehrerin begann von den fünf Sinnen zu sprechen, daß der Schöpfer es so eingerichtet habe, daß ein Mensch, bei dem das Augenlicht fehle, ein um so schärferes Gehör habe.

      »Bei uns wohnt ein Mann, der hat keine Nase«, sagte Hanna, »kann der nun besser sehen?«

      »Mitunter sind die Menschen, die keinen Geruch haben, im Gehör besser ausgebildet, das hat der Schöpfer so eingerichtet. Weiß einer von euch vielleicht noch ein Beispiel?«

      Erst blieb alles mäuschenstill, dann meldete sich die kleine Maria. »Ich weiß etwas«, flüsterte sie.

      »So erzähle, Maria.«

      »Zu meinem Vater kommt ein Mann, der hat das eine Bein kurz, dafür hat ihm der liebe Gott das andere Bein länger gemacht.«

      Es war wieder sehr schwer für die Lehrerin, das kindliche Verständnis für diese Dinge zu wecken. Durch zahlreiche Fragen der Kinder wurde sie noch weidlich in die Enge getrieben, und so atmete sie auf, als die rettende Glocke ertönte.

      In der darauffolgenden Schreibstunde bekam Bärbel zum ersten Male eine nachdrückliche Strafe. Da sie die vorgeschriebenen Aufgaben nicht gemacht hatte, wurde die Kleine in die Ecke gestellt.

      »Ich muß dich heute leider ernstlich strafen, Bärbel. Willst du mir denn gar keine Freude machen?«

      »Nein«, klang es trotzig zurück, »Sie machen mir auch keine Freude.«

      »Hast du mich denn gar nicht lieb, Kind?«

      »Nein.«

      »Das ist aber recht traurig für mich!«

      »Dann brauchen Sie ja nicht wiederzukommen.«

      Fräulein Fiebiger ließ den kleinen Trotzkopf stehen und wandte sich den anderen Kindern zu. Aber bald merkte sie, daß die Gesichter der Schüler immer vergnügter wurden, und schließlich lachte Georg laut auf.

      »Was gibt es denn?«

      Der Knabe wies nach der Ecke, in der Bärbel stand, den Rücken den Kindern zugekehrt. Die blumige Tapete hatte es der Kleinen angetan. Nun fuhr sie mit dem Fingerchen auf den Ranken entlang, reckte sich mehr und mehr, und es war ein gar drolliger Anblick, den kleinen Finger wie wild hin und her fahren zu sehen.

      »Was machst du denn, Bärbel?«

      »Ich spiele mit mir.«

      »Du sollst in der Ecke stehen und dich schämen.«

      »Ich möchte mich lieber zu Hause schämen.«

      »Wenn du immer so unartige Antworten gibst, Bärbel, werde ich es deinen Eltern melden, damit du strenge Strafe bekommst.«

      Da fuhr das Kind wie vom Blitz getroffen herum und schaute die Lehrerin mit sprühenden Augen an. Sie vergaß, wie man die Lehrerin anzureden halte, und stieß leidenschaftlich erregt hervor: »Klatschen willst du auch noch?«

      »Bärbel, du bist heute sehr unartig!«

      Die Kleine drehte sich wieder zur Wand, der Trotz verschloß ihr den Mund. Als ihr das Eckestehen zu lange dauerte, kamen doch die Tränen, und vom Winkel her hörte man das dauernde leise Schluchzen und das häßliche Ziehen der Nase.

      Fräulein Fiebiger trat zu der Weinenden: »Hast du ein Taschentuch bei dir, Bärbel?«

      »Ja, – ich habe ein Taschentuch, aber ich borge es Ihnen nicht.«

      »Dann benutze es! Ein artiges Kind zieht nicht mit der Nase, und es trocknet sich die Tränen.«

      Darauf entlud Bärbel all ihren Grimm in trompetenartigem Schnauben, worüber die anderen drei furchtbar lachten und in die gleiche Musik mit einstimmten.

      »Blas’ doch mit!« rief Georg der Lehrerin zu.

      »Jetzt hört sofort damit auf«, gebot Fräulein Fiebiger streng, »man glaubt fast, man sei im Zoologischen Garten.«

      Damit war das Signal zu neuem Aufruhr gegeben. Georg imitierte ein Tier nach dem anderen, die anderen lachten dazu. Besonders der Hahn, den der kleine Knabe täuschend nachahmen konnte, erregte hellstes Gelächter, bis sich die Tür zum Nebenzimmer öffnete und Fräulein Greger über die Schwelle trat.

      »Was ist denn hier los?«

      Georg krähte ihr entgegen, und auch Bärbel hüpfte vor Entzücken von einem Fuß auf den anderen. Man lärmte der Schulvorsteherin entgegen, daß man Zoologischer Garten spiele, und Fräulein Greger hatte Mühe, die Wogen der Begeisterung wieder zu dämpfen.

      »Wer steht denn da in der Ecke?«

      Bärbel wurde ein wenig rot, denn vor den strengen Augen der Schulvorsteherin hatte die Kleine doch Respekt.

      »Was hast du denn getan, Kind?«

      Mit ausgestrecktem Finger wies Bärbel auf Fräulein Fiebiger. »Sie hat es getan!«

      »Und warum stehst du in der Ecke?«

      Da keine Antwort erfolgte, mischte sich Fräulein Fiebiger ein. »Sage uns, Bärbel, was du getan hast und weshalb ich dich in die