und schrieb Seite um Seite. Das Thema, das die Lehrerin gegeben hatte, war recht interessant. Fräulein Greger hatte den Kindern die Sage von Elsa und Lohengrin erzählt, da gab es manches zu schreiben. Vom Grammophon her kannte Bärbel allerlei Teile, wußte genau, was Lohengrin gesagt hatte, und schrieb mit roten Bäckchen die Sage nieder, so, wie sie es für gut und richtig hielt.
»Nun atme mit mir die süßen Düfte, Elsa, bis ich mich berausche. Und dann feierten sie Hochzeit, worauf Elsa den Gemahl fragte: sage mir doch, welchen Geschlechts du bist. Aber er schwieg, er dachte an den Schwan, der ihn hergezogen hatte und der auch schweigen mußte. Denn wenn ein Schwan singt, muß er sterben. Außerdem hatte der König, der den Gral behütete, gesagt: wehe dir, wenn du unser Schloß verrätst! So schwieg Lohengrin, obgleich Elsa ihn immer mehr drängelte, denn sie wollte durchaus sein Geschlecht wissen. Während der ganzen Nacht ließ sie ihn nicht schlafen, forschte immer weiter, ob sie nicht doch was herauskriegen könnte. Da packte sie Lohengrin, trug sie vor den König und sang: im fernen Land, unnahbar euren Schritten, steht meine Burg. Die Burg hatte einen sehr merkwürdigen Namen, damit sie keiner fand. Und als man dann Lohengrin immer weiter drängelte, schrie er ganz laut: mein Vater Parsival trägt dort die Krone, und ich bin der Kronprinz Lohengrin. Dann sagte er zu Elsa: nun weißt du es, und nun fahre ich wieder ab. Damit war die glückliche Ehe geschieden, und Elsa fiel weinend um.«
Zufrieden betrachtete Bärbel ihr Werk. Der Aufsatz war vierundeinehalbe Seite lang geworden, und Fräulein Greger würde gewiß zufrieden sein. Vielleicht wurde sie daraufhin doch noch versetzt. Vor der öffentlichen Schulprüfung, zu der auch Mutti kommen wollte, bangte Goldköpfchen allerdings. Das Kind konnte sich nun einmal nicht sammeln, es gab stets so viele Dinge, von denen sie abgelenkt wurde, die auch viel interessanter waren als die Fragen, die gestellt wurden. Das Schlimmste aber war, daß ein ganz fremder Herr in die Schule kam und selbst Fragen stellte. Fräulein Greger hatte davon gesprochen, daß es ein Schulrat sei, und daß man sich in seiner Gegenwart ganz besonders zusammennehmen müßte.
Bärbel seufzte tief auf. Maria Koch wußte immer eine Antwort zu geben. Selbst wenn sie nicht richtig war, wußte sie den Fehler zu beschönigen. Sie würde auch ganz bestimmt versetzt werden. Bärbel tröstete sich mit Georg Schenk, von dem sie ganz genau wußte, daß er sitzenblieb. Das war eigentlich recht nett, denn mit Georg trieb sie allerlei Tauschgeschäfte. Der brachte bunte Bilder, Buchumschläge, Pappen, Bindfaden, buntes Papier und dergleichen, und das alles wurde ganz heimlich unter der Schulbank angestaunt und vertauscht. Bärbel gab dafür Flaschenkorken, leere Schachteln, Etiketten, kleine Dosen und andere Dinge, die sie sich von Onkel Senftleben erbat. Mitunter gab es freilich auch Streit, denn Georg Schenk behauptete immer, daß er von Bärbel betrogen werde. Aber die Feindschaft dauerte niemals lange; schon nach Verlauf von wenigen Minuten war der Frieden meist wiederhergestellt.
Die letzten Tage vor der Prüfung waren emsiger Arbeit gewidmet, denn Fräulein Greger wollte durchaus, daß der Schulrat einen guten Eindruck von allen Klassen bekam. Die vier Schüler der sechsten Klasse machten ihr viel zu schaffen. Dort leistete eigentlich nur Maria Koch etwas, die aber auch häufig falsche Antworten erteilte. Georg Schenk war derjenige, der den Ton angab und dem sich die drei Mädchen willig fügten. So hatte Fräulein Greger ihren beiden Lehrerinnen diese Klasse ganz besonders ans Herz gelegt, denn sie fürchtete eine Blamage.
Fräulein Fiebiger gab sich die erdenklichste Mühe. Sie wußte freilich nicht, in welchen Fächern der Schulrat prüfen würde, sie hatte gehört, daß er mit seinen Fragen auf jedes Gebiet zu sprechen kam, und so bestand die Gefahr, daß die falschen Antworten nur so hagelten.
Besonders Bärbel und Georg wurden oft von ihr gefragt. Es war ganz sicher, daß dem Schulrat dieses süße Kind mit den goldig glänzenden Locken auffallen mußte, und daß er die herzige Kleine, die ein so freundliches Gesichtchen hatte, häufig aufrufen würde. Wenn Bärbel bei der Prüfung genau so wenig aufpaßte wie an anderen Schultagen, war das Schicksal der ganzen Klasse besiegelt.
Bärbel hatte sich allmählich an den Gedanken gewöhnt, daß sie bei dem Schulrat doch nichts wissen würde; und da nun Fräulein Fiebiger in ihrer Erregung den Schulrat als einen sehr gestrengen Herrn schilderte, lächelte Goldköpfchen überlegen.
»Er wird Ihnen schon nichts tun, Fräulein, wir sind ja auch noch da!«
»Ach, Bärbel, gerade du machst mir Sorgen, du kannst dir das Schulgeld wiedergeben lassen!«
»Geht das, Fräulein?«
»Ich meine damit, daß es schade ist, daß deine Eltern so viel Geld für dich ausgeben.«
»Sie geben es doch für Fräulein Greger, da geben es die Eltern gern.«
»Sie würden sich aber freuen, wenn die kleine Tochter fleißig wäre.«
»Sie müssen sich daran gewöhnen«, erwiderte das Kind treuherzig.
Rechnen und Naturgeschichte waren die beiden Fächer, vor denen Fräulein Fiebiger besonders bangte. Mitunter war da die sonst geistig so rege Bärbel wie auf den Kopf gefallen.
»Mit dir muß man exerzieren wie mit den Kleinsten, so pass’ doch auf, Bärbel! Wenn ich einen Stab in drei Teile zerbreche, was habe ich dann?«
»Stücke.«
»Wir sind bei der Bruchrechnung, Bärbel.«
»Bruchstücke«, klang es sofort zurück.
»Hebe einmal drei Finger hoch. – So, – wenn ich dir jetzt den Zeigefinger in drei Teile zerschneide …«
Bärbel lachte hellauf. »Das dürfen Sie doch nicht Fräulein, dann kommen Sie ins Gefängnis!«
So ging es immer, wenn man Bärbel zur Aufmerksamkeit anregen wollte. Fräulein Fiebiger war mitunter der Verzweiflung nahe und fand sich schließlich mit dem Gedanken ab, daß sie bei der bevorstehenden Schulprüfung gerade durch dieses Kind schwer blamiert werden würde.
Der gefürchtete Tag kam heran. Frau Wagner wunderte sich im stillen, daß ihr Goldköpfchen gar nicht erregt war.
»Kannst du auch alles, mein liebes Kind?« fragte sie besorgt.
»Man muß abwarten, Mutti.«
Dann war es soweit. Der Schulrat war ein großer, breitschultriger Herr mit einem dunklen Bart, der aber oben am Kinn ziemlich weiß war. Ebenso war das dunkle Haupthaar von einigen schneeweißen Strähnen durchzogen.
Als die sechste Klasse zur Prüfung gerufen wurde, starrte Bärbel den sonderbaren Mann mit offenem Munde an.
»Der ist gescheckt wie das Pferd vor dem Milchwagen«, flüsterte sie Georg Schenk zu; und nun hingen die Augen beider Kinder unverwandt an dem merkwürdigen Bart. Bärbel versuchte zu ergründen, wo das Schwarz aufhörte und das Weiße anfing, ob das Haupthaar mehr schwarz oder weiß sei, und hatte für nichts anderes Interesse. Nur ganz flüchtig hörte sie hin, was der Schulrat sprach. Das reizende Gesichtchen verzog sich zu fröhlichem Lachen. Wie wackelten die Bartenden, wenn er sprach. Ob die Mutti das wohl auch bemerkte?
Fräulein Fiebiger stand neben dem Schulrat, sie hatte einen roten Kopf und strich nervös mit der einen Hand über den Handrücken der anderen Hand.
Der Schulrat sprach von Tugenden der Menschen, und Fräulein Fiebiger atmete auf. Von den Tugenden erzählte sie alljährlich den Kindern. Das würde also gehen.
»Nun, du Kleine, – warum muß man den Eltern gehorsam sein?«
O, wie die Bartspitzen zappelten.
»Ich meine dich, du Kleine, mit den blonden Haaren.«
»Bärbel«, rief Fräulein Fiebiger verhalten.
»Du scheinst nicht aufgepaßt zu haben. Kleine«, wiederholte der Schulrat. »Warum mußt du deinen Eltern gehorsam sein?«
»Weil ich sonst Prügel bekomme.«
»Nicht doch deswegen …«
Maria Koch gab eine befriedigende Antwort, und wieder wandte sich der Schulrat an Bärbel.
»Wie heißt die