Magda Trott

Goldköpfchen Gesamtausgabe (Alle 13 Bände)


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– Was bin ich, Bärbel?«

      »Betrunken«, klang es schüchtern zurück.

      »Ich habe dir doch gesagt, ich danke für das dritte Glas. – Also, was bin ich?«

      »Vielleicht haben Sie vorher schon anderswo getrunken, und nun sind Sie voll.«

      »Kleine, du paßt nicht auf.«

      Frau Wagner rückte auf dem Stuhle unruhig hin und her, und auch Fräulein Fiebiger trat von einem Fuß auf den anderen. Wie gut, daß endlich das Thema gewechselt wurde.

      Naturgeschichte. Fräulein Fiebiger wurde blaß.

      »Nun sage mir, du Kleine, wie heißt das unscheinbare Tier, das die schöne Seide zu Kleidern liefert?«

      Jetzt standen die Bartspitzen beinahe nach vorn. O, wie das lustig aussah!

      »Nun, Bärbel, wie heißt das Tier, daß die Seide für Kleider liefert?«

      »Der Vati«, klang es laut und deutlich zurück, denn gerade vor wenigen Tagen war Bärbel mit dem Vater bei Grape gewesen und hatte dort blauen Seidenstoff gekauft.

      Der Schulrat schüttelte den Kopf. Sein langer Bart wackelte mehr und mehr. Bärbel konnte nur mit Mühe ein Jauchzen unterdrücken. Georg Schenk aber brach in schallendes Gelächter aus.

      »Ach, Herr Lehrer, ist die dumm!«

      »Nun, weißt du es besser?«

      »Der Seidenspinner.«

      Der Schulrat warf Fräulein Fiebiger einen vorwurfsvollen Blick zu. »Haben Sie das noch nicht durchgenommen?«

      »O doch, aber die Kleinen sind heute sehr aufgeregt.«

      Hanna Hasselmann hatte Tränen in den Augen, man befürchtete, sie werde jeden Augenblick losweinen, denn der fremde Schulrat bereitete ihr Unbehagen. Hoffentlich gelang es ihr, die Tränen zurückzuhalten.

      Auch in der Grammatikstunde leistete Bärbel infolge ihrer großen Unachtsamkeit recht Ungenügendes. Als man sie nach einem Bindewort fragte, dachte die Kleine nur an den Bindfaden, den ihr Georg kurz vor der Prüfung versprochen hatte, und so kam prompt die Antwort:

      »Bindfaden.«

      Religion war gleichfalls ein Angstfach. Fräulein Fiebiger merkte wohl, daß der Schulrat absichtlich Bärbel und Georg oft herannahm. Ihr wurde es fast schwarz vor den Augen, denn die Prüfung der sechsten Klasse war eine große Blamage.

      »Was verstehst du darunter, Bärbel, wenn man sagt: im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen?«

      »Man soll essen, bis man schwitzt.«

      Fräulein Fiebiger hielt sich am Katheder fest, Frau Wagner hatte keine Farbe mehr im Gesicht.

      Endlich schloß der Schulrat. Er wandte sich an die vier Kinder; der Ausdruck seines Gesichtes war nicht gerade freundlich.

      »Ihr geht nun morgen in die Ferien, liebe Kinder, ich hoffe, daß ihr nach dieser Freizeit mit mehr Verstand hierher zurückkehrt.«

      »Danke, gleichfalls«, klang es freundlich und unüberlegt zurück.

      Die Falte auf der Stirn des Schulrates vertiefte sich, dann war die sechste Klasse entlassen.

      Der Schulrat war gegangen, die sechste Klasse wurde gerufen, und nun stand das erzürnte Fräulein Greger vor den vier Kindern und ließ heftige Vorwürfe über die kleinen Sünder niedergehen. Selbst Georg Schenk, der selten die Augen niederschlug, zog den Kopf tief zwischen die Schultern und wagte nichts zu sagen.

      »Ich lasse euch alle sitzen«, zürnte Fräulein Greger. »Könnt ihr denn gar nicht aufpassen? Ganz besonders du, Bärbel, darfst dich gründlich schämen. – Woran hast du denn gedacht?«

      Das Kind schwieg.

      »Ich verlange eine Antwort. Woran hast du während der Prüfung gedacht?«

      »Er hatte einen so ulkigen Bart.«

      »Du hast nicht auf den Bart zu sehen, sondern auf die Fragen des Herrn Schulrat zu hören.«

      »Der Bart hat immer so komisch gewackelt.«

      »Ihr werdet euch wundern, wenn ihr die Zensuren bekommt. So faule Kinder, wie ihr seid, habe ich in meiner ganzen Schule noch nicht gehabt. Nun könnt ihr heimgehen, aber ich bin euch sehr böse.«

      Bedrückt gingen die vier Geprüften heim. Frau Wagner hatte auf ihre Tochter nicht gewartet, sie war über Bärbels Unaufmerksamkeit viel zu sehr entrüstet. Sie schämte sich vor den anderen Damen des Städtchens, die bei Bärbels Antworten oft gelächelt hatten. Die eine der Damen hatte sogar versucht, Frau Wagner zu trösten, und gemeint, daß Bärbel trotz der schlechten Antworten große Intelligenz verrate, und daß bestimmt aus dem Kinde noch etwas Rechtes werden würde. Aber Frau Wagner war viel zu betrübt, um sich durch solche Worte trösten zu lassen.

      Der Apothekenbesitzer erkundigte sich natürlich bei seiner Gattin nach dem Ausfall der Prüfung.

      Da kamen Frau Wagner die Tränen.

      »Was soll aus Bärbel werden, wenn sie weiterhin so zerstreut und träge ist?«

      Wagner schloß sein Weib in die Arme. »Ich habe keine Sorge wegen unserer Kleinen. Man hat schon oft die Erfahrung gemacht, daß Mädchen, die in den ersten Schuljahren wenig fleißig sind, später die besten Schülerinnen werden. Außerdem besitzt unser Goldköpfchen eine so rasche Auffassungsgabe und ist so intelligent, daß ich durchaus begreifen kann, daß ihr die Schule kein Interesse einflößt. Ich war nicht anders, liebe Erna, und aus mir ist doch schließlich auch ein ganz brauchbarer Mensch geworden.«

      »Wir können doch unmöglich Bärbels Faulheit gutheißen.«

      »Das fällt mir gar nicht ein. Bärbel soll Strafe bekommen. Mir macht Joachim viel mehr Sorgen. Der Bengel wird auch in diesem Jahre nicht versetzt, und wenn er heimkommt, werde ich ihn mir einmal gründlich vornehmen.«

      Als Bärbel heimkam, wurde sie vom Vater gerufen. Es gab diesmal eine tüchtige Strafpredigt; mehrfach wollte sich das Kind entschuldigen, aber der Vater schnitt Bärbel streng das Wort ab.

      »Weißt du auch, daß die Mutti über dich geweint hat?«

      Da wurden die strahlenden Kinderaugen dunkel.

      »Weil du gar so faul bist! Deswegen hat sie Tränen vergossen! Schämst du dich gar nicht?«

      Der blonde Kopf sank tief herab.

      »Überlege dir das alles einmal, Bärbel. Deine gute Mutter, die dich so herzlich lieb hat, weint über dich, weil du ihr großen Kummer machst.«

      Aufschluchzend schlang das Kind beide Arme um den Hals des Vaters. »Die Mutti soll nicht weinen«, klang es tränenerstickt zurück, »ich habe sie doch so lieb.«

      »Das alles sind leere Worte, Kind, – du sollst es beweisen und von nun an fleißig lernen.«

      »Wo ist die Mutti?«

      »Ich glaube, sie will dich nicht sehen.«

      Da wurde Goldköpfchen blaß. Ohne ein Wort zu sagen, schlich es davon. Herr Wagner schaute seinem Kinde nach. Er sah, wie die Kleine in den Garten hinausging, wie sie sich an einen Baum stellte und wie der kleine Körper von bitterlichem Schluchzen geschüttelt wurde. Das tat ihm weh, aber er rief Bärbel nicht zurück. Er ging hinauf zu seiner Frau und zeigte ihr das verstörte Töchterchen.

      »Sie hat ein goldenes Herz, Erna, schilt sie nicht weiter aus. Es hat ihr weh genug getan, daß du über sie geweint hast.«

      Zum Mittagessen wurde Goldköpfchen gerufen. Weder der Vater noch die Mutter sprachen ein strenges Wort zu dem Kinde; aber es erhielt auch keine Aufmunterung von einer Seite. Nur die notwendigsten Worte wurden heute gewechselt, und Bärbel war sehr still, das Essen schmeckte nicht. Frau Wagner sah, wie sich die Kleine quälte, um Fleisch und Gemüse aufzuessen.

      Nach Tisch hielt es Bärbel nicht länger