Magda Trott

Goldköpfchen Gesamtausgabe (Alle 13 Bände)


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du mir im nächsten Jahre bei der Prüfung mehr Freude machen wirst.«

      »Ich will es versuchen, Mutti, – aber wenn doch der Bart so komisch gewackelt hat.«

      Damit war der Frieden im Wagnerschen Hause wiederhergestellt. Bärbel mußte zwar am Nachmittage eine Stunde lang stricken; aber das Kind tat es, ohne zu murren. Wohl fielen hier und dort von einer der Nadeln die Maschen, aber Goldköpfchen strickte heute mit wahrem Feuereifer; und als die Mutter endlich kam, um die kleine Sünderin zu erlösen, hielt ihr Bärbel den Strumpf entgegen.

      »Da staunst du, sieh mal, wie viel ich gestrickt habe!«

      »Ach, Bärbel«, sagte Frau Wagner seufzend, »viel ist es wohl geworden, aber nicht sehr schön.«

      »Laß nur, Mutti, wenn es nur viel ist!«

      Am Abend kam Joachim heim. Bärbel freute sich auf den großen Bruder, der zwar schon seit längerer Zeit nicht mehr mit ihr spielte, der aber schon wie ein Herr aussah.

      Joachim machte keinen fröhlichen Eindruck; und als der Vater das Zeugnis verlangte, gab es zunächst allerlei Ausreden.

      »Bist du auch sitzengeblieben?« forschte Bärbel leise.

      »Du auch?«

      »Ja.«

      »Du hättest dich etwas mehr anstrengen können«, sagte Joachim, »für Mädchen ist es eine Schande, wenn sie sitzenbleiben.«

      »Für große Jungens auch«, erwiderte Bärbel. »Du müßtest auch schon lange, genau wie Onkel Senftleben, in der Apotheke sein.«

      »Quatsch«, meinte der große Bruder, »ein Pillendreher werde ich überhaupt nicht.« Dann suchte er das Zeugnis hervor und trug es mit schwerem Herzen zum Vater hinüber.

      Diesmal gab es zu Ostern nur eine ganz geringe Portion Eier. Herr Wagner erklärte, daß der Osterhase sich nicht veranlaßt gesehen hätte, sitzengebliebene Schüler reicher zu beschenken.

      Joachim zuckte die Schultern. »Primaner machen sich nichts mehr aus Schokoladeneiern, mir ist ’ne Flasche Kölnisches Wasser lieber.«

      »Du bist ein rechter Affe geworden«, meinte Goldköpfchen. »Hast du Emil Peiske schon gesehen?«

      »Ich kümmere mich nicht um Emil Peiske.«

      »Aber ich«, meinte Goldköpfchen, »der geht nicht mehr auf die Schule, der ist jetzt Geselle.«

      »Wird ein netter Geselle sein«, meinte Joachim hochfahrend.

      »Wenn du so hochmütig bist, kommst du zu Fall!«

      »Was habe ich es nötig, mich mit kleinen Mädchen abzugeben«, meinte Joachim, zündete sich eine Zigarette an und ging davon.

      Auch mit den Zwillingen gab er sich kaum ab. Er suchte dagegen die Bekanntschaft der jungen Mädchen in Dillstadt, und man sah ihn des öfteren mit diesem oder jenem Backfisch Spazierengehen. Der Apotheker schüttelte mißbilligend den Kopf.

      »Zum Lernen hat der Bengel wenig Lust«, meinte er zu seiner Frau, »aber spazierengehen kann er wie ein Alter.«

      Bärbel gab sich in den Ferien alle Mühe, die Eltern zufriedenzustellen. Sie setzte sich sogar zu den Zwillingen und begann die beiden zu unterrichten. Sie war aber keine geduldige Lehrerin und klopfte bald Kuno, bald Martin auf die Finger.

      »Fräulein Fiebiger wird euch ordentlich anbellen, wenn ihr nicht besser schreibt. Wenn ihr so träge seid, betrübt ihr die Mutti. Lernt, ihr Kleinen!«

      Ein Schritt vom Wege

      Mit gesenktem Haupt stand Goldköpfchen vor der Mutter.

      »Antworte mir, Bärbel, warum kommst du heute so spät heim? Du hast wieder nachsitzen müssen?«

      »Ja.«

      »Aus welchem Grunde?«

      »Ich habe nicht aufgepaßt, Mutti, ich hatte an soviel anderes zu denken, und sie hat mich gerade gefragt, da wußte ich nicht, was sie gesagt hatte.«

      »Weißt du jetzt, was dich Fräulein Greger gefragt hat?«

      »Ja, jetzt weiß ich es, denn ich habe es zehnmal schreiben müssen.«

      »Zeige mir das Heft!«

      Frau Wagner nahm das Schreibheft ihrer Tochter und las die Sätze. »Wenn ich in einer Bahn sitze, und es will noch eine alte Dame oder ein alter Herr einsteigen, mache ich höflich Platz, denn man soll das Alter ehren.«

      »Hast du das denn noch nicht gewußt, Bärbel?«

      Das Kind schwieg.

      »Was hast du Fräulein Greger für eine Antwort gegeben?«

      Bärbel senkte das Köpfchen noch tiefer. »Ich habe doch nur gehört«, kam es stockend hervor, »was man tun muß, wenn alles voll ist, und da habe ich gesagt: man schreit: alles besetzt!«

      »Es ist dir ganz recht, Bärbel, wenn du dafür nachsitzen mußtest, deine Unaufmerksamkeit wird dir noch manchen schlimmen Streich spielen. Nun aber noch eins, mein Kind. Du weißt, daß der Vati mit uns allen am Sonntag nach der Ruine Hohenfels fahren will. Es soll eine schöne Autotour werden. Wir fahren schon früh ab. Wenn du aber in dieser Woche noch ein einziges Mal in der Schule nachsitzen mußt, darfst du nicht mitkommen. Du weißt, ich halte Wort!«

      »Ach, Mutti, ich werde schon aufpassen, ich freu’ mich doch so furchtbar toll auf die Fahrt.«

      »Dann nimm dich gut zusammen, Bärbel. Heute ist Dienstag, ich verlange also sehr wenig von dir.«

      Bärbel machte einen Luftsprung. Auf die Ausfahrt im Auto freute sich das Kind schon lange. Nun war endlich der kommende Sonntag in Aussicht genommen worden, und Goldköpfchen konnte diesen Tag kaum erwarten.

      Am anderen Morgen mußte es natürlich in der Schule sofort erzählen, daß am Sonntag eine Fahrt nach der Ruine vorgesehen sei. Fräulein Fiebiger verwies dem kleinen Plappermäulchen mehrmals die sprudelnde Lebhaftigkeit. Bärbel saß dann wohl für Augenblicke still, aber die Ausfahrt spukte immer wieder im Köpfchen herum, daß das Kind Mühe hatte, den Worten der Lehrerin zu folgen.

      Ganz besonders schlimm war es in der Rechenstunde. Heute wurden die Bruchrechnungen durchgenommen, und Bärbel seufzte schwer. Besonders dabei mußte man furchtbar aufpassen, und das wurde ihr sauer.

      »Nun, Bärbel?«

      Die Kleine fuhr erschreckt zusammen. Sie hatte soeben daran gedacht, daß sie furchtbar gern vorn beim Chauffeur sitzen wollte, um die Uhr zu beobachten. Onkel Senftleben hatte ihr erzählt, daß man mit dem Auto siebzig und mehr Kilometer in der Stunde fahren könne, und daß die Geschwindigkeit auf dieser Uhr angezeigt werde.

      »Wieviel macht es, Bärbel?«

      Es bemächtigte sich des Kindes grenzenlose Verzweiflung. »Siebzig«, sagte es kleinlaut, wohl wissend, daß diese Antwort falsch sein mußte, denn Goldköpfchen kannte die Frage nicht.

      »Du hast ja schon wieder nicht aufgepaßt, Bärbel. Wenn ich dir 66 Äpfel gebe, und dein Bruder will zwei Drittel davon haben, wieviel bekommt er?«

      »Er bekommt zuerst Bauchweh!« schrie Georg Schenk dazwischen.

      »Ruhe!« gebot Fräulein Fiebiger. »Bärbel, antworte!«

      Bärbel machte das liebenswürdigste Gesicht, über das sie verfügte. »Fräulein, das wird etwas viel für den Bruder, er ist noch klein, und dann wird er krank, wenn er zuviel ißt.«

      »Er soll die Äpfel auch nicht essen. Du sollst mir Bescheid geben auf meine Frage.«

      »Ich würde ihn verhauen«, rief Georg dazwischen, »wenn er zwei Drittel haben will, und ich behalte nur ein Drittel. Solch kleener Kerl braucht noch nicht so viel.«

      »Georg, du gehst sofort vorn an die Tafel und schreibst den Satz: ich soll nicht vorlaut sein.«

      Die Rechenstunde