hatte bemerkt, daß der faule Jule Kretschmar es am besten verstand, Pommerles Gedanken in andere Bahnen zu lenken, und obwohl sie es gar nicht gerne sah, daß Jule gar so oft mit Hanna zusammen war, drückte sie ein Auge zu, weil Jule eben allerhand lustige Gedanken hatte und durch seine Streiche das kleine Mädchen zum Lachen brachte.
Nun kam dazu, daß Jules Mutter, die alte Botenfrau Kretschmar, seit acht Tagen im Krankenhaus lag, und so hatte man Jule gesagt, daß er die Mahlzeiten im Hause des Professors einnehmen solle. Die Folge davon war, daß sich Pommerle immer mehr an den wilden Knaben anschloß und sich gerne von ihm erzählen ließ.
Für heute, Sonntag morgen, erwartete man Jule früher denn üblich, denn es war der Geburtstag des Professors, und gemeinsam wollten die beiden Kinder den Frühstückstisch mit Blumen schmücken.
Hanna stand bereits wartend an der Gartentür, aber Jule kam noch immer nicht. So begann sie denn allein Blumen und Grünes abzupflücken, um den Onkel dadurch zu überraschen.
Plötzlich erschien Jule. Er war noch atemlos vom schnellen Laufen.
»Hast du es wieder verschlafen?« tadelte ihn Hannchen.
»Nein, aber meine Katze ist fortgelaufen.«
Pommerle machte ein bestürztes Gesicht. Sie kannte die graue Katze, die Jule so oft mit in den Garten des Onkels gebracht hatte.
»Schon gestern ist sie nicht zurückgekommen. – Was mache ich nur?«
Pommerle überlegte. Da fiel ihm ein, daß der Onkel neulich in die Zeitung eine Anzeige geschrieben hatte, weil auch er einen Schirm verloren hatte. Der Schirm war daraufhin wieder zurückgebracht worden. Solch ein Inserat sollte auch Jule veröffentlichen.
»Ich werde den Onkel bitten, daß er uns das Geld dazu gibt, und dann schreibst du alles auf für die Zeitung.«
Jule starrte zu Boden, dann schüttelte er den Kopf.
»Das geht nicht, Hanna.«
»Warum denn nicht?«
»Weil es die Katze doch nicht lesen kann.«
Nun überlegte auch Pommerle eine Weile, dann sagte das kleine Mädchen überlegen: »Jule, das braucht die Katze nicht. – Du bist doch zu dumm.«
Aber der Knabe blieb nach wie vor dabei, daß das Inserat gar keinen Zweck habe.
»Kannst denn du noch das Gedicht, daß du dem Onkel hersagen sollst?« forschte Pommerle.
»Freilich, ich lerne doch seit vierzehn Tagen daran herum.«
»Dann sage es mal auf.«
»Unsinn! Ich muß es doch nachher dem Professor sagen.«
»So pflücke wenigstens mit mir Blumen.«
Aber Jule schien auf diese Aufforderung nicht zu hören. Interessiert schaute er in den Nachbargarten. Dort hingen an den Sträuchern unreife Stachelbeeren. Die lockten ihn. Unreifes Obst aß er für sein Leben gern.
»Du – Hanne, wollen wir uns ein paar Stachelbeeren stehlen?«
»Nein, Jule, das dürfen wir nicht. Wenn das der liebe Gott sieht, ist er böse auf uns.«
»Er sieht es ja nicht.«
»Doch, er schaut aus dem Himmel zu uns herunter.«
Jule lachte unbändig.
»Sieh doch mal die dicken Wolken dort oben, da kann er nicht durchsehen. Da hat der Rübezahl dicke Wolken vorgeschoben, weil er will, daß ich mir die Stachelbeeren abpflücken soll. Der Rübezahl meint es nämlich sehr gut mit mir.«
»Der liebe Gott sieht es aber doch.«
»Der Rübezahl hat mir gesagt, wenn so viel an den Sträuchern hängt, kann ich mir was nehmen.«
»Hast du ihn denn schon einmal gesehen, den Rübezahl?«
»Na und ob!«
Es gruselte Pommerle ordentlich. »Jule, – wie sieht er denn aus?«
»Er hat einen großen Schlapphut und einen langen grauen Bart, sonst sieht er aus wie ein Wandersmann. Aber in der Hand hält er einen langen Stock, das ist ein Zauberstock. Damit holt er Gold und Silber aus den Bergen, darauf reitet er durch die Luft. – Du, Hanne, der Rübezahl kann alles!«
»Ich möchte ihn auch mal sehen, Jule.«
»Da müssen wir mal zusammen in die Berge gehen,« flüsterte Jule geheimnisvoll. »Aber niemand darf das wissen, sonst kommt er nicht.«
»Erfüllt er jeden Wunsch?«
»Jeden, wenn er in guter Laune ist.«
»Kann er auch so viel wie der liebe Gott?«
»Na und ob! Noch viel mehr. Er kann alles!«
»Dann möchte ich mal in die Berge gehen.«
»Können wir machen, ich kenne jeden Weg.«
»Kannst du auch auf die ganz hohen Berge hinauf?«
»Freilich, bis auf die Schneekoppe. Sie ist höher als alle Berge der Welt.«
»Sieht man von dort aus über die ganze Welt, Jule?«
»Na freilich!«
»Auch bis nach Pommern hinein?«
»Pah, noch viel weiter.«
Pommerles Augen glühten, »Wann wollen wir gehen? Der Onkel und die Tante müssen aber mit.«
»Quatsch, wir beide gehen allein.«
»Ach, Jule, das geht doch nicht.«
»Wenn du den Rübezahl sehen willst, darfst du nur mit mir gehen.«
Pommerles Sehnsucht war erwacht. Wenn man von den Bergen bis nach Pommern sehen konnte, sah man die Ostsee, und der gute Rübezahl würde ihr dann vielleicht den Wunsch erfüllen, nach der Fischerhütte zurückkehren zu dürfen. Sie wollte ja nur rasch einmal nachsehen, ob der Vater wiedergekommen sei. Die Tante meinte zwar, daß er beim lieben Gott wäre, aber vielleicht war er doch nach Hause gekommen.
Nachdenklich pflückte sie die Blumen, während Jule über den Zaun stieg und sich vom Nachbar ein paar Hände voll unreifer Stachelbeeren holte, die er gierig verschlang.
Pommerle rief ihn zurück.
»Du sollst doch nicht stehlen, Jule. Komm, teile lieber die Blumen in drei Häufchen. – Aber du kannst ja nicht rechnen. Ach, Jule, wie bist du dumm!«
»Oho, kann ich rechnen, Hanne!«
Das kleine Mädchen lachte. »Ich weiß, daß du nichts kannst.«
»Rede keinen Unsinn!« rief Jule erregt.
Das kleine Mädchen wies auf die Straße hinaus, auf der soeben gluckend eine Henne mit zwölf Küchlein vorüberlief.
»Zähle mal, Jule. Wieviel Küken sind es?«
»Zwölf.«
»Nun passe auf. Wenn du jetzt auf die Straße gehst, die zwölf Küken fortnimmst und wenn ich dir die Hälfte davon gebe, was bekommst du dann?«
»Prügel!«
»Unsinn! Ich meine, wieviele Küken du dann hast.«
»Die Hälfte.«
»Jule, du bist wirklich dumm! Und wenn nun jedes dieser Küken zwei Eier legt, wieviele Tier hast du dann?«
»Hahaha, – ich möchte mal das Küken sehen, das schon Eier legt. Hanne, du bist ja ganz dämlich! Wo kann denn ein Küken Eier legen!«
»Na, ich meine doch, wenn sie groß geworden sind. – Wieviel Eier hast du dann?«
»Wieviele habe ich denn dann?«
»Vierundzwanzig, dummer Jule.«
Wieder lachte