nun alles Hennen sind?«
»Ganz bestimmt nicht, das weiß ich besser.«
Pommerle gab sich damit zufrieden, denn in solchen Sachen wußte der Jule immer Bescheid. Außerdem zeigte sich jetzt Frau Bender in der Tür, die den Kindern winkte, sich zu beeilen, um rasch die gepflückten Blumen ins Zimmer zu bringen.
So wurde denn der Frühstückstisch schön geschmückt, dann erschien der Professor, und man brachte die Glückwünsche an. Pommerle sagte ein niedliches Gedichtchen ohne Stocken auf, dann winkte Frau Bender auch den Knaben heran, damit er sein Gedicht hersage.
Nur zögernd stellte sich der lange, magere Knabe vor den Professor hin, räusperte sich mehrfach und begann dann:
»Ich bin hier – – ich bin hier – – ich bin hier – – –«
»Das sehe ich, lieber Jule,« sagte Professor Bender gut gelaunt, »nun aber mal weiter.«
»Ich bin hier – –«
Sein Gesicht wurde blutrot, er hustete, scharrte mit den Füßen und senkte schließlich den Kopf.
»Na, es war gut gemeint,« sagte der Professor, »solch ein Gedicht zu lernen, ist schwer, – nicht wahr, mein Junge? Ich weiß jetzt, daß du da bist, aber vielleicht weißt du ein anderes Gedicht. Es braucht nicht gerade ein Geburtstagswunsch zu sein.«
Jule starrte noch immer vor sich nieder. Ermunternd legte ihm der Professor die Hand auf die Schulter: Jule schüttelte den Kopf. Da trat Pommerle von hinten an den Knaben heran.
»Sag dem Onkel doch ein Gedicht aus meinem Lesebuch.«
»Ich weiß keins.«
»Was wir gestern zusammen gelesen haben.«
Ein Freudenschimmer ging über das Gesicht des Knaben. Seine Gestalt straffte sich, er schaute dem Professor fest in die Augen und begann dann laut und vernehmlich:
»Du armes Schwein, du tust mir leid,
Du lebst nur noch so kurze Zeit!«
Stolz schaute sich Jule um. Der Professor aber lachte schallend los.
»Bist doch ein reizender Bengel,« sagte er, indem er Jule einen sanften Backenstreich versetzte. »Wenn du nicht mehr weißt, kannst du dich begraben lassen.«
Jule war sehr stolz darauf, daß er überhaupt ein Gedicht gesagt hatte, und wartete nun auf ein Stück Kuchen, das man ihm schenken würde.
Als man ihm den Teller reichte, griff er natürlich nach dem größten Stück.
»Mußt du immer unbescheiden sein,« tadelte der Professor, »konntest du nicht das kleinere Stück nehmen?«
»Warum denn?« sagte Jule frech.
»Andere wollen auch essen, mein Junge.«
»Sie haben schon so lange Kuchen gegessen, Sie haben schon Kuchen gegessen, als ich noch gar nicht auf der Welt war. Ich soll Ihnen doch nacheifern.«
»Wenn du das nur in anderen Dingen tätest, Jule.«
Jule sprach dem Kuchen wacker zu, aber schließlich erklärte er, daß nun nichts mehr in seinen Bauch gehe, und daß er jetzt wieder heimgehen werde.
»Ich denke, du willst mir das Holz zerkleinern, Jule?«
»Heute zum Geburtstage?«
»Schade,« meinte Frau Bender, »daß unser Pommerle nicht Klavier spielen kann, es hätte sonst dem Onkel ein Stücklein vorspielen können.«
»Ich kann Musik machen,« rief Jule voller Begeisterung, »ich habe eine Mundharmonika, darauf geht es fein!«
»Das laß nur sein,« lachte Frau Bender, »von solcher Musik ist der Herr Professor kein Freund.«
Als aber am Nachmittag im gegenüberliegenden Hause Klavier gespielt wurde, fielen Jule die Worte Frau Benders wieder ein. Jetzt war es an ihm, dem Professor eine Freude zu machen, und er kam auf den Gedanken, das geschlossene Fenster kurzerhand einzuwerfen, damit man seine Musik besser hören könne.
Gesagt – getan. – Ein Klirren, ein Aufschrei, das Spiel verstummte, und während Jule sich dem Strafgericht durch eilige Flucht entzog, suchte man bei Oberlehrer Kaul vergeblich nach dem Täter.
Jule aber hockte hinter einem Strauche im Vorgarten des Professors und ärgerte sich, daß seine gut gemeinte Tat so wenig Erfolg gehabt hatte.
In den nächsten Tagen sprach man im Hause des Professors von dem bevorstehenden Ausfluge in die Berge. Pommerle hatte glänzende Augen, denn Jule hatte ihm gesagt, daß es von dem höchsten Berge bis zur Heimat schauen könnte. So zählte es sehnsüchtig die Tage und fieberte vor Ungeduld.
Jule ließ den Kopf hängen. Er wäre für sein Leben gern mit dem kleinen Pommerle gefahren, aber Benders machten keinerlei Andeutungen. So beschloß er, einmal etwas gründlicher nachzufragen. Als Frau Bender eines Morgens im Garten war, blieb er am Zaune stehen.
»Nun, Jule, wie geht es deiner Mutter?«
»Besser. Sie liegt schon mit einer andern im Bett.«
»Was, – ich denke, sie ist im Krankenhause?«
»Nun ja, aber vielleicht ist das Krankenhaus so voll, man hat ihr noch eine Frau ins Bett gelegt.«
»Wer hat dir denn diesen Unsinn gesagt, Jule? Im Krankenhause hat jeder sein eigenes Bett.«
»Hat er nicht,« beharrte der Knabe, »ich war doch erst heute da.«
»Und da hast du gesehen, daß noch eine zweite Frau im Bett deiner Mutter liegt?«
»Nein, gesehen habe ich es nicht, aber die Schwester hat es gesagt.«
»Was hat sie dir denn gesagt, Jule?«
»Die Mutter liegt mit – – mit – –« Jule dachte eine Weile angestrengt nach, dann rief er laut: »Die Mutter liegt mit einer Angina zu Bett.«
Frau Bender lachte schallend auf.
»Da kannst du ganz beruhigt sein, mein Junge, Angina ist keine Frau, Angina ist eine Halsentzündung.«
Jule schüttelte den Kopf. »Es wird schon eine Frau sein,« beharrte er, »im Krankenhause ist nicht immer alles in Ordnung.«
Trotz aller Belehrungen ließ er sich nicht überzeugen. Jule behauptete nach wie vor, daß die Mutter, die in der billigsten Klasse untergebracht war, eine Bettgenossin bekommen habe.
»Wann fahren Sie denn weg?« fragte er plötzlich unvermittelt.
»Am Mittwochmorgen, Jule.«
»Hat die Hanne auch einen Rucksack?«
»Jawohl.«
»Den kann sie doch nicht selber tragen, der ist doch viel zu schwer für sie.«
»Er ist nicht schwer, Jule.«
»Ich werde der Hanne den Rucksack tragen.«
»Ach so, Jule! Nun, wenn du versprichst, recht brav zu sein, dann könnte man sich die Sache ja überlegen.«
Er warf die Mütze in die Luft und schrie: »Also abgemacht, Frau Professor, ich komme mit!«
Nun eilte auch Pommerle herbei. – Mit einem hellen Jauchzer klatschte es in die Hände.
»Du kommst mit auf den hohen Berg, wo man die ganze Welt sehen kann!«
»Jawohl, ich komme mit, ich soll euch den Weg zeigen.«
»Gehen wir auch zu Rübezahl?« flüsterte Pommerle dem Knaben ins Ohr.
»Freilich, aber dann dürfen die anderen nicht dabei sein.«
»Sonst kommt er wohl nicht?«
»Nee, ganz alleine müssen wir sein.«
»Alleine, mitten in den hohen Bergen?«
»Ja,