der Kinder. Neben der Bude aber stand ein Mann, der hatte eine weiße Mütze auf dem Kopfe und einen Blechkasten umgehängt, aus dem es dampfte. Er ging auf die Kinder zu und wies auf den Kasten mit den Würstchen und sagte:
»Heiße Wiener?«
Jule trat einen Schritt zurück, sah sich den Mann an, dachte an das Wort des Professors, daß er auf der Reise sehr artig und höflich sein müsse, zog seine Mütze, machte dem Würstchenverkäufer eine Verbeugung und sagte:
»Und ich heiße Jule.«
»Heiße Wiener,« wandte sich der Mann jetzt erneut an Pommerle.
Das kleine Mädchen aber wußte nicht, was der Mann wollte, und klammerte sich scheu an seinen Begleiter, der jetzt erst, nachdem der Deckel des Behälters geöffnet wurde, merkte, was er falsch verstanden hatte.
Inzwischen waren auch Professor Bender und seine Frau herangekommen. Es ging an die Besichtigung der alten Kirche Wang. Pommerle bestaunte alles; Jule untersuchte unterdessen den Rucksack nach etwas Eßbarem. Dann trat man wieder ins Freie; Bender gab Pommerle die verlangten Erklärungen, und schließlich wanderte man weiter der Schlingelbaude zu, um gegen Mittag auf der Prinz-Heinrich-Baude einzutreffen.
»Gehen wir nicht nach der hohen Schneekoppe?« fragte Pommerle.
»Das werden wir im Sommer machen, mein Kind, nicht heute.«
»Kann man von der Hampelmann-Baude die Ostsee sehen, Onkel?«
»Nein, mein Kind, aber wir kommen heute auch zu einem Wasser, das dir sicherlich sehr gefallen wird.«
Pommerle wandte sich an Jule: »Ist das Wasser so groß wie die Ostsee?«
»Na und ob, noch viel größer. So ein großes Wasser hast du noch gar nicht gesehen.«
»Fahren auch Schiffe darauf?«
»Massenhaft.«
Pommerle war es zufrieden. Es hatte jetzt Eile, hin zu jenem großen Wasser zu kommen, das den Namen ›der große Teich‹ hatte.
Als man endlich auf der Prinz-Heinrich-Baude angekommen war und das Mittagsmahl einnahm, gab es wieder genau so feine Herren im schwarzen Frack, die vor den Ankommenden die Tür öffneten. Erneut fühlte sich das kleine Mädchen bedrückt, und auch Jule äugte verstohlen nach rechts und links, weil ihm die Handhabung von Messer und Gabel, so wie sie der Herr Professor pflegte, recht schwer fiel. Er wartete stets auf einen unbeachteten Augenblick, um Fleisch und Kartoffeln mit dem Löffel zum Munde zu führen.
Jule sprach den Gerichten wacker zu, Pommerle hingegen verspürte gar keinen Hunger, es dachte an die See, die man jetzt gleich sehen sollte. So blieben zwei große Fleischstücke auf der Schüssel liegen. Begehrlich schaute der Knabe hinüber, aber niemand bot ihm etwas an. Als man sich endlich erhob, zögerte er, und als Professor Bender mit Frau und Pflegetochter zum Ausgange schritt, griff der Knabe hastig nach den beiden Fleischscheiben und versenkte sie blitzschnell in seine Hosentaschen.
Pommerle drängte zum Weitergehen: »Wir wollen doch an die See.«
Wenige Augenblicke später stand man an dem großen Teiche mit seinem dunklen Wasserspiegel.
»Wir wollen doch weitergehen, an die See!« rief das Kind.
»Die See gibt es hier nicht, Pommerle, aber schau einmal dort hinab. Ist der große Teich nicht wunderbar schön?«
»Ich denke, wir kommen hier an die See?« Die Stimme des kleinen Mädchens klang gepreßt.
»Döskopp!« schrie Jule, »das ist der die See. Der Teich ist doch viel größer als eure See –«
Pommerle starrte in die Tiefe. Der große Teich enttäuschte sie schwer, Pommerle hatte geglaubt, daß sich jetzt vor ihren Augen eine unabsehbare Wasserfläche ausbreiten würde. Nun sah sie einen kleinen Weiher, ohne Schiffe, ohne Horizont, an dem sich Himmel und Wasser vereinigten.
»Ist das nicht schön?« fragte der Onkel.
Pommerles Augen waren mit Tränen angefüllt. »Nein,« sagte es schluchzend, »das ist nicht die See, das kleine Wasser will ich nicht sehen.«
Frau Bender versuchte das erregte Mädchen zu beruhigen. Man wanderte sehr rasch weiter, um nach der Hampelbaude zu kommen.
Hier wartete eine neue Enttäuschung auf Pommerle. Es hatte geglaubt, daß an allen Wänden die schönen bunten Hampelmänner hingen, daß allerwärts arbeitende Männer und Frauen umhersitzen würden, die Schnüre an Arme und Beine der Hampelmänner knüpfen würden. Aber nichts von alledem war zu sehen.
Zornig blitzten die Augen des kleinen Mädchens Jule an.
»Wo sind denn die Hampelmänner?«
»Die werden nur während der Nacht gemacht. Am Tage wird die Baude gesäubert, da darf niemand etwas davon merken, sonst ist der Rübezahl böse.«
Pommerle begriff zwar den Zusammenhang nicht recht, aber es gab sich zufrieden. Plötzlich fesselte ein Bilde das an der Wand des Raumes hing, die Aufmerksamkeit des Kindes: Rübezahl. Ein Mann mit langem, grauem Barte, mit grünem Jägerhute und einem Umhange der bis fast zur Erde reichte. Er stand inmitten wilden Steingerölls, aber die Hälfte dieser Steine war blitzendes Gold.
»Siehst du,« erklärte Jule, »er kann alle Steine in Gold verwandeln, und dieses Gold schenkt er armen Leuten.«
»Hat et dir auch schon etwas geschenkt?«
»Nu freilich!«
»Was denn?«
Jule wußte im Augenblick nichts zu antworten, aber Pommerle ließ mit Fragen nicht nach.
»Eine goldene Uhr,« log er, »die habe ich aber verloren. Wenn wir das nächste Mal zu Rübezahl gehen, lasse ich mir einen großen Sack voll Taler schenken. Dann baue ich mir im Gebirge ein Haus, esse und trinke den ganzen Tag und tue gar nichts.«
Aufmerksam hörte Pommerle zu. Der Rübezahl wollte ihm während des ganzen Weges nicht mehr aus dem Köpfchen gehen. Immer wieder stellte es neue Fragen an Jule, und als man an einem Bächlein vorüber kam, fragte es:
»Gehört dieses Wasser auch dem Rübezahl?«
»Freilich.«
»Darum läßt er wohl hier am Rande so schöne Pflanzen wachsen?« Die Kleine wies auf das frische Grün, das in der sumpfigen Gegend besonders üppig gedieh.
»Gefällt dir das Zeug da?« fragte der Knabe.
»O ja!«
»Willst du was haben? Dann reiße ich dir was aus.«
»Ich möchte schon. Die Pflanzen sollen in unserem Garten weiterwachsen. Aber der Rübezahl wird gewiß böse werden, wenn wir ihm etwas fortnehmen. – Laß es lieber sein, Jule, sonst kommt er plötzlich und tut uns etwas zuleide.«
So ging man langsam weiter. Aber Jule beschloß, Pommerle eine Freude zu machen. Ganz heimlich wollte er die schönsten Pflanzen aus der sumpfigen Stelle herausreißen, um sie Pommerle später zu geben.
So blieb er eine Weile an dem Wasser zurück, beugte sich dann nieder und riß eine ganze Hand voll der Pflanzen aus. An den Wurzeln hing schlammige Erde, eine häßliche Flüssigkeit tropfte herab. Aber das störte Jule gar nicht. Damit Pommerle ja nichts merken sollte, steckte er die feuchten Pflanzen mit der schlammigen Erde kurzerhand in seine Hosentasche. Was würde Pommerle später für Augen machen, wenn er ihm heute abend unten in Krummhübel die Pflanzen schenkte.
Man war wieder eine gute halbe Stunde weitergewandert, da verspürte Jule Hunger. Man hatte zwar auf der Prinz-Heinrich-Baude gut gegessen, aber Jule gehörte nun einmal zu jenen Knaben, die immer essen konnten.
Er überlegte. Sollt er bei Frau Bender anfragen, ob sie noch etwas Vorrat habe? Aber da fiel ihm plötzlich ein, daß er sich ja die beiden großen Fleischstücke, die auf der Schüssel zurückgeblieben waren, eingesteckt hatte, um sie später verzehren zu können.
Hocherfreut