Magda Trott

PUCKI & POMMERLE: Alle 18 Bücher in einem Band


Скачать книгу

Kinder waren in freudigster Stimmung, hin und wieder traf man Touristen. Jule hatte häufig dreiste Bemerkungen auf den Lippen. Es machte ihm großes Vergnügen, fern von jeder Aufsicht die vorübergehenden zu hänseln.

      Auch jetzt grinste er wieder einen Herrn vergnügt an, der, die Mütze in der Hand, den Kindern entgegen kam. Auf dem Kopf fehlten die Haare, aber das beeinträchtigte die freudige Stimmung des hurtigen Wandersmannes nicht im geringsten.

      »Guten Morgen, ihr Strolche!« rief er den beiden Kindern zu.

      Pommerle erwiderte den Gruß mit einem artigen Knix, aber Jule blieb stehen, stemmte die Arme in die Hüften, besah sich die Glatze des Herrn und sagte hohnvoll:

      »He, – Sie, – Sie haben sich wohl mit dem Rasiermesser gekämmt?«

      »Was willst du, Lümmel?«

      Jule lachte den Fremden dreist an. Da fühlte et einen derben Schlag auf der Wange. Und ehe Jule seine Fassung zurückgewonnen hatte, war der Gehänselte weitergegangen.

      Diese Lektion hatte doch ein wenig auf ihn gewirkt. Er war kleinlaut geworden; so führte Pommerle die Unterhaltung.

      »Gibt es hier denn gar keine Fischer, Jule?«

      »Nein.«

      »Was ist denn dein Vater, Jule?«

      »Der ist tot.«

      »Was war denn aber dein Vater, als er noch nicht tot war?«

      »Nu, lebendig.«

      »Ach, Unsinn, Jule, ich meine, was er getan hat? Mein Vater hat gefischt.«

      »Das weiß ich nicht.«

      Auch alle anderen Versuche, von dem Knaben belehrt zu werden, schlugen fehl. Jule wußte niemals eine rechte Antwort; er schimpfte auf die Lehrer, auf die Schule, überhaupt auf alles, was Arbeit und Mühe machte.

      »Gar keine Gerechtigkeit gibt es mehr auf der Welt,« erklärte er, »wenn ich Geld verdienen will, muß ich dafür schwitzen und arbeiten. Aber bei den Lehrern ist das gerade umgedreht. Die bekommen bannig viel Geld, und die Kinder müssen dafür lernen und arbeiten. Ich werde auch Lehrer.«

      »Dafür bist du viel zu dumm, Jule.«

      Allmählich verstummte die Unterhaltung, denn der Weg ging steil bergan. Jule hatte die Straße über das Gehänge erwählt, um möglichst rasch hinauf zum Kamm zu gelangen, denn von dort aus wollte man weiter zum Gipfel der Schneekoppe emporsteigen.

      Zwei Damen kamen den Kindern entgegen. Beide schienen schon müde zu sein. Sie hatten die Rucksäcke vom Rücken getan und hielten Rast.

      Als die Kinder bis dicht an sie herangekommen waren, rief eine der beiden Damen den Knaben an.

      »Willst du uns die Rucksäcke nicht hinunter nach Krummhübel tragen, mein Junge?«

      »Das kann ich schon, aber ob ich will?«

      »Warum willst du denn nicht?«

      »Was bekomme ich dafür?«

      »Zwei Mark.«

      »Drei Mark.«

      »Das ist etwas viel, mein Junge.«

      »Komm, Pommerle. – Dann tragen Sie sich Ihre Rucksäcke alleine.«

      »Wir können nicht mehr. Wir haben die ganze Nacht kein Auge zugetan. Also meinetwegen, du sollst drei Mark haben.«

      Pommerles Gesicht nahm einen unglücklichen Ausdruck an.

      »Gehen wir nicht hinauf?«

      Jule überlegte einige Augenblicke, von Krummhübel war man nicht gar zu weit entfernt. Wenn er sich beeilte, konnte er in zwei guten Stunden wieder hier sein. Pommerle schritt ohnehin nicht so rüstig aus wie er, so sollte das kleine Mädchen ruhig vorangehen, im Schlesierhaus, ganz dort oben, sollte es ihn erwarten.

      Als er ihr den Vorschlag machte, wurde die Kleine zwar etwas ärgerlich. Da aber Jule erklärte, daß sie sich nicht verlaufen könne, sondern nur immer diesen Weg weiterzugehen brauche, willigte sie schließlich ein, denn die Sehnsucht, von dem höchsten Berge endlich die Ostsee wiederzusehen, war so stark in ihr, daß alle anderen Bedenken schwiegen.

      Während Jule kehrtmachte und mit den beiden Damen wieder zu Tale stieg, ging das kleine Mädchen rüstig bergan. Kein Mensch begegnete ihm. Gewissenhaft behielt es die vor ihr sichtbare Baude im Auge, und so erreichte sie das Schlesierhaus nach Verlauf von weiteren zwei Wanderstunden. Immer wieder schaute sie sich nach ihrem Begleiter um. Er hatte ihr gesagt, daß er gleich wieder zurück sein werde. Nun kam er nicht.

      Pommerle setzte sich in die Nähe der Baude nieder. Ein junges Mädchen trat heran und fragte das Kind, woher es käme und wohin es wolle, Pommerle gab gewissenhaft Auskunft und sagte, der Jule käme sogleich nach. Auch einige Touristen blieben bei dem Kinde stehen, und schließlich kam der Baudenwirt und brachte der Kleinen ein Glas Milch und ein Brötchen.

      »Komm nur herein und warte hier im Zimmer auf den Jule.«

      In der Baude waren mehrere Gäste. Man lachte und scherzte, und gedrückt setzte sich das Kind in eine Ecke und lauschte. Zwei übermutige Burschen traten an die Kleine heran.

      »Na, willst du auch übers Gebirge wandern, willst wohl zum Rübezahl?«

      »Ja.«

      »Was willst du denn von ihm haben?«

      Pommerle schüttelte den Kopf. Jule hatte ihr gesagt, man dürfe seine Wünsche niemandem verraten.

      »Na, dann grüße den alten Rübezahl und sage ihm, er soll auch uns nicht vergessen.«

      Pommerle wurde jetzt ein wenig zutraulicher.

      »Wenn man noch weiter hinauf steigt, kann man dann ganz furchtbar weit sehen?«

      »Freilich, aber dazu mußt du bis hinauf auf den Gipfel der Koppe steigen.«

      Pommerle versank schon wieder in Nachdenken. Es mußte unbedingt auf den hohen Berg hinauf, denn von hier aus sah es gar nichts von der See. Da waren noch zu viele Berge, die eine Fernsicht nicht zuließen. Aber wenn es oben auf dem allerhöchsten Berge der ganzen Erde stand, mußte man über alles hinwegschauen können.

      Immer ungeduldiger wurde das kleine Mädchen, denn Jule kam noch immer nicht. Es lief schließlich aus dem Baudenzimmer hinaus und schaute sehnsuchtsvoll dem Gipfel der Koppe entgegen; die blauen Augen hefteten sich an den deutlich sichtbaren Zickzackweg, und der Wunsch wurde von Minute zu Minute reger, hinaufzusteigen, um endlich die langentbehrte Ostsee wieder zu sehen.

      Wo blieb nur Jule? Aber er wollte ja auch hinauf zum Gipfel. Am Ende hatte er ihn schon erreicht und war gar nicht erst in die Baude hineingekommen. Ganz sicher war es so. Er stand längst dort oben und wartete auf sie.

      Es gab jetzt für das kleine Mädchen kein Halten mehr. Der Weg hinauf war so klar vorgezeichnet, man konnte ihn nicht verfehlen. So machte sich Pommerle auf, um empor zum Gipfel der Schneekoppe zu steigen.

      Unterwegs begegnete es einem Ehepaar. Die Leute hielten das kleine Mädchen an.

      »Wo willst du denn so ganz alleine hingehen, Kleine?«

      »Dort hinauf.«

      »Ganz allein?«

      »Der Jule ist schon oben.«

      Da das Ehepaar kurz vorher zwei junge Leute getroffen hatte, glaubte man, daß die Kleine zu jenen gehöre, und so ging man mit einem freundlichen Gruß weiter. Es war nichts Ungewöhnliches, daß die schlesischen Bergkinder allein weite Wege zurücklegten, ihnen waren die Berge ja so vertraut.

      Aber Pommerle wurde doch recht müde. Es raffte sich aber immer wieder auf. Jetzt war ja der Augenblick nicht mehr weit, daß es bis nach Pommern hinblicken und seine lang entbehrte Ostsee wiedersehen konnte.

      Nach einstündigem scharfen Steigen war der Gipfel erreicht. Pommerles Gesichtchen glühte. Die letzten hundert Meter lief es keuchend hinan,