Jule schob die Oberlippe vor, betrachtete zunächst die zerdrückten Pflanzen, dann holte er die beiden Fleischscheiben aus der Hosentasche hervor. – Wie sahen sie aus! Die schmutzige Erde und der Schlamm hatten sich auf das Fleisch festgesetzt, die Bratensoße, die an dem Fleisch gewesen war, war in der Hosentasche zurückgeblieben, Jule hatte die schmutzigen Stücke in der Hand und schaute sie tiefbetrübt an.
»Was hast du denn da, Jule?« fragte Professor Bender, der sich eben nach dem Knaben umgewandt hatte.
»Steine,« log Jule und wollte alles wieder in die Hosentasche versenken.
»Zeig' her,« sagte der Professor, »du weißt, Steine sehe ich immer gern.«
Jule zögerte, aber Professor Bender sagte nochmals energisch: »Zeig mir die Steine!«
Nun mußte Jule die Pflanzen und die Fleischstücke wohl oder übel hervorbringen.
»Ich habe dem Pommerle eine Freude machen wollen,« sagte er schmollend, »aber so geht es mir immer.«
»Du hast gelogen, Jule,« sagte der Professor ernst, »schämst du dich nicht? – Kannst du nicht bei der Wahrheit bleiben? Du siehst, mein Junge, Lügen haben kurze Beine. Ich rate dir, in Zukunft immer die Wahrheit zu sprechen.«
Der Knabe senkte beschämt den Kopf.
»Das Fleisch kannst du natürlich nicht mehr essen,« sagte der Professor. »Wir werden es aber nicht fortwerfen, sondern für einen Hund verwahren, denn man darf nichts verkommen lassen. In Zukunft sei aber nicht so gierig.«
Aufmerksam hatte Pommerle der Unterhaltung zugehört. Als man dann weiterwanderte, tippte die Kleine den Knaben an.
»Ich weiß etwas, Jule.«
»Was weißt du denn?«
»Der Rübezahl hat nicht gewollt, daß du ihm seine Pflanzen nimmst, und darum hat er dir die Tasche schmutzig gemacht und das Fleisch verdorben.«
»Der Rübezahl soll sich seinen Kram behalten,« riefe Jule ärgerlich und schleuderte im weiten Bogen Fleisch und Pflanzen von sich.
»Aber, Jule,« sagte Pommerle vorwurfsvoll, »du solltest das Fleisch doch für einen Hund behalten.«
»Wenn ich nichts habe, braucht ein Hund auch nichts!«
Der Professor hatte diese Worte gehört, drehte sich um, drohte Jule mit dem Finger, worauf der Knabe beschämt sich nach rückwärts wandte und die beiden Fleischstücke wieder aufnahm.
»Vielleicht könnte man sie abwaschen,« sagte er zu sich selbst, »sicherlich würden sie dann auch noch schmecken.« Aber er fürchtete doch, den Professor ernstlich zu erzürnen. So steckte er die beiden Fleischstücke gehorsam wieder ein, um sie später einem Hunde zu geben.
Spät abends kehrte man wieder nach Krummhübel zurück.
»Bist wohl sehr müde, mein Pommerle?« fragte Frau Bender.
Das Mädchen schüttelte den Kopf.
»Tante, gehen wir morgen wieder in die Berge?«
»Morgen sehen wir uns wieder etwas anderes an.«
Dann wandte sich die Frau Professor an den Knaben:
»Höre mal, Jule, du kannst morgen früh, da ihr ja doch zeitig aufstehen werdet, unserem Pommerle ein wenig Krummhübel zeigen. Aber um halb zehn Uhr, zum Frühstück, seid ihr beide wieder zurück.«
Jule machte ein pfiffiges Gesicht, dann trat er an Pommerle heran und flüsterte: »Wollen wir morgen zu Rübezahl gehen?«
»Ja, – und weißt du, was ich mir von ihm wünsche?«
»Viel Geld!«
»Nein, – er soll mir die Ostsee zeigen, und dann soll er mich auf seine Flügel setzen und an den Strand bringen. Bis die Tante wieder aufgestanden ist, kann ich zurück sein, nicht wahr?«
»Hahaha, Flügel hat doch der Rübezahl nicht, aber er kann dich auf seinen Mantel setzen, damit kann er nämlich auch fliegen.«
»Ob er es wohl tut, Jule?«
»Freilich, wenn ich mit dabei bin, tut er es.«
Pommerle verirrt sich und wird von Rübezahl gefunden
Für Jule stand es fest, daß er sich die günstige Gelegenheit, Rübezahl zu besuchen, nicht länger entgehen lassen dürfe. Morgen früh wollte er dem Pommerle Krummhübel zeigen. In Krummhübel gab es aber, seiner Meinung nach, gar nichts zu sehen. Es war viel richtiger, man machte auf eigene Faust eine Tour und kletterte hinauf zur Schneekoppe. Wenn man über das Gehänge hinauf ging, konnte man am Nachmittage wieder zurück sein. Professor Bender würde heute gewiß nicht viel unternehmen, und er würde es sich denken können, daß Jule mit Pommerle ein wenig weiter gegangen war. Brachte er ihm dann einige Steine und Moose mit, war der alte Herr gewiß zufrieden.
Jule hatte gesehen, daß Pommerle einen blanken Taler besaß. Den sollte ihm die Kleine zahlen, dafür wollte er sie hinauf zur Koppe führen. Für einen Taler konnte er sich dann unendlich viele Lakritzenstangen kaufen, denn Lakritzenstangen waren die Sehnsucht Jules.
So beschloß er, Pommerle am anderen Morgen beizeiten zu wecken und klopfte bereits gegen vier Uhr an die Tür des Schlafzimmers.
Frau Bender wurde munter, schalt Jule, der zum Aufstehen drängte, aus und verlangte auch von Pommerle, daß es noch mindestens zwei Stunden schlafen solle.
Das kleine Mädchen wollte folgen, aber es gelang ihm nicht mehr, einzuschlafen. Es wälzte sich unruhig auf seinem Lager umher, so daß Frau Bender endlich gegen fünf Uhr ihm die Erlaubnis gab, sich anzuziehen, aber es solle nicht zu weit vom Hause fortgehen.
»Du hast ja Jule bei dir, er kennt sich in der Gegend genau aus. Sei aber recht brav, mein Kind.«
So stand denn das kleine Mädchen lange vor sechs Uhr vor Jule, und nun flüsterten die beiden Kinder eifrig miteinander.
»Erst gehen wir hinauf zur Schneekoppe und dann zum Rübezahl,« erklärte der Knabe.
»Ich darf aber nicht weit weggehen,« warnte Pommerle.
»Das ist gar nicht so weit. – Komm nur mit.«
»Führst du mich auf den allerhöchsten Berg?«
»Freilich, aber du mußt mir dafür den blanken Taler schenken.«
»Kann ich von dort aus die Ostsee sehen?«
»Bis nach Amerika kannst du schauen.«
»Gut, – dann sollst du den Taler haben.«
»Hast du sonst noch mehr Geld? Wir müssen unterwegs doch was haben. Wenn wir Hunger kriegen, müssen wir was essen.«
Pommerle griff in die Tasche seines Kleides, zog eine Geldbörse heraus, die aber nur wenige Pfennige enthielt.
»Ist verdammt knapp,« meinte Jule, »aber wir lassen uns von dem Manne an der Tür etwas Vorrat einpacken.«
Unten im Speisesaale war alles noch still und menschenleer. Einige Hausmädchen waren an der Arbeit, die Räume zu säubern. Jule näherte sich ihnen und verlangte dreist etwas Proviant.
Man wies ihn an den Pförtner; der rief einen anderen Mann, und schließlich erreichten es die Kinder, daß sie eine Anzahl Brötchen bekamen, die sie in den Taschen unterbrachten.
»Schreiben Sie das alles auf die Rechnung von Nummer sieben,« sagte er selbstbewußt. »Dort wohnt der Herr Professor Bender, der zahlt.«
Dann wanderten die Beiden davon.
»Mach nur, daß wir recht rasch auf den hohen Berg kommen«, drängte das Mädchen.
»Mach