die Weihnachtsgeschichte an. Das Kind flüsterte ihrer Mutter zu: „Maria, Josef und das Jesuskind sind ja noch ärmer als wir.“
Afeni und ihre Tochter waren tief beeindruckt von den Worten des Pfarrers, den Orgelklängen und dem Gesang der Kirchenbesucher.
Nachdem die Christmette vorüber war und sich die Kirche geleert hatte, trat der Pfarrer auf Sabas Mutter zu und stellte sich vor: „Ich bin Pfarrer Hubert Selig. Es ist schon spät. Ich bringe Sie und Ihre Tochter mit meinem Auto nach Hause. Jetzt fahren keine Busse mehr.“
„Ich bin Afeni Rahua“, stellte sich Sabas Mutter vor. „Meine Tochter kennen Sie ja bereits. Wir nehmen Ihr Angebot dankend an. Sonst müssten wir wohl bei Maria, Josef und dem Jesuskind im Stall übernachten.“
„Frau Rahua, wann immer Sie Hilfe brauchen, bin ich für Sie und Ihre Tochter da“, versprach der Pfarrer.
„Wir sind aber keine Christen“, gab Afeni zu bedenken.
„Gottes Haus steht jedem offen und ganz besonders Kindern wie Saba, die ein großes, mitfühlendes Herz haben“, räumte der Pfarrer Afenis Bedenken aus.
Es war bereits nach Mitternacht, als Mutter und Tochter aus dem Auto des Pfarrers vor ihrer Unterkunft ausstiegen. Kurze Zeit später fielen sie todmüde in ihre Betten. Afeni schlief sofort ein, Saba nicht. Sie vermisste ihre Puppe so sehr.
Als Saba am nächsten Morgen die Wohnungstüre öffnete, saßen drei wunderschöne Puppen davor. In einer Einkaufstüte befand sich ein nagelneuer Wintermantel in ihrer Größe.
„Sieh mal Mutti!“, rief sie aufgeregt. „Das Jesuskind hat ein Wunder vollbracht! Der Pfarrer hat doch gesagt, dass das Jesuskind das kann!“
„Ja, so etwas in der Art hat der Pfarrer gesagt“, beruhigte sie ihr Kind.
Saba behielt die Puppe, die dem Jesuskind am ähnlichsten sah, und nannte sie Tulu, nach ihrem kleinen Bruder, der auf der Flucht erfroren war. Die beiden anderen Puppen schenkte sie ihren Freundinnen.
Seit diesem Weihnachtsfest wurde das Jesuskind in der Sankt-Lambertus-Kirche nie wieder ohne Sabas wärmenden Mantel in die Krippe gelegt.
Renate Handge wurde 1952 in Wuppertal geboren. Nach vierzigjähriger Berufstätigkeit in verschiedenen Bereichen der Justiz findet sie im Ruhestand endlich die nötige Zeit, um sich als Hobbyautorin zu betätigen. Ihre Kurzgeschichten und Gedichte wurden bereits in diversen Anthologien verschiedener Verlage veröffentlicht, u. a. im Papierfresserchens MTM-Verlag und in der ToMa-Edtion. Renate Handge gewann den Meerbuscher Literaturpreis 2015 in der Kategorie Prosa. Die Autorin lebt mit ihrem Mann in Velbert.
*
Heiligabend – multikulti
Wie das Leben so spielt, hatte es sich schon früh im Dezember abgezeichnet, dass ich an jenem Heiligabend, von dem ich erzählen möchte, mit meinem Lebensgefährten allein sein würde. Anfangs war ich traurig, als mir meine Kinder mitteilten, dass sie über die Feiertage verreisen wollten, aber ich hatte zum Traurigsein nicht lange Zeit, denn nun musste ich mir überlegen, wie wir beide den Heiligen Abend verbringen wollten. Allein vor der Glotze? Das kam gar nicht in Frage!
Der Blick auf den Kalender sagte mir, dass Heiligabend auf einen Samstag fiel. Das war meine Rettung. Nun galt es nur noch, die nötigen Vorbereitungen zu treffen. An dieser Stelle sollte ich vielleicht einmal einfügen, dass ich seit über 20 Jahren einen Asiaten zum Lebensgefährten habe, der außerdem noch ein gläubiger Moslem ist. All die Jahre hatte er sich in unsere Weihnachtsbräuche nicht nur integriert, sondern sie auch genossen. Er fand und findet unser Weihnachtsfest immer noch schön. Darum wollte ich ihm in diesem Jahr eine besondere Freude und eine Überraschung bereiten.
Heiligabend ist es selbstverständlich, dass wir in die Kirche gehen. Mein Lebensgefährte kommt stets mit, weil es ihm einerlei ist – wie er selbst immer wieder beteuert – ob er in einer Kirche oder einer Moschee betet.
So sind wir beide dann auch an jenem Heiligabend zur Kirche gegangen. Nur mit dem Unterschied, dass wir uns fein gemacht hatten. Er war natürlich höchst erstaunt, dass ich auf Anzug und Krawatte bestand. Ich habe nichts verraten und er hat sich gefügt.
Nach dem Kirchgang sind wir zum Essen in die Innenstadt gefahren, wo ich in einem persischen Lokal einen Tisch reserviert hatte. Das Essen war vorzüglich. Dann kam der Höhepunkt: Bauchtanz. Da leuchteten die Augen! Die erste Überraschung war geglückt!
23.45 Uhr: Aufbruch zum gemütlichen Bummel Richtung Hauptbahnhof. Das Wetter spielte mit, die Stadt war festlich beleuchtet. Im Hauptbahnhof findet ab 24.00 Uhr in der Eingangshalle jedes Jahr an Heiligabend ein Bläserkonzert statt. Viele Durchreisende und Obdachlose sind das dankbare Publikum. Es ist stets sehr stimmungsvoll.
Nach dem Konzert ging es heimwärts.
Aus einem indischen Geschäft hatte ich einen alten Film ausgeliehen. Nicht diesen Bollywood-Quatsch, der des Öfteren im Fernsehen zu sehen ist, sondern einen aus der Zeit, als mein Lebensgefährte ein junger Mann war und diese Art Filme damals im Kino seiner Heimatstadt gesehen hat. Da er die indische Sprache beherrscht, war er natürlich überglücklich, einmal etwas aus seinem Kulturkreis genießen zu können. Immer wenn ich der Handlung aufgrund der Mimik und Gestik der Schauspieler nicht mehr folgen konnte, hat er sie für mich übersetzt.
Es war ein rundherum gelungener Heiligabend – eben multikulti!
Gerda Winter wurde 1937 geboren und wohnt in Hannover. Sie veröffentlichte bereits Gedichte, Märchen, Tankas und Kurzprosa in verschiedenen Anthologien. Ihre Hobbys sind Lesen, Handarbeiten und Skat spielen.
*
Hugos große Nacht
Rentiere spielen gerne Fußball. Leider kann man sich beim Fußball auch schon mal verletzen. Und leider knickte Hugo, das dritte Rentier rechts vorne im Gespann vor dem Schlitten des Weihnachtsmannes, zwei Tage vor Weihnachten beim Fußballspielen böse mit dem linken Vorderhuf um. Nicht nur, dass es ziemlich weh tat – nein, der Arzt des Weihnachtsdorfes legte ihm auch noch einen Gips an und schrieb Hugo krank.
Hugo war sehr unglücklich. Alle kleinen Rentiere träumen davon, einmal vor dem Schlitten des Weihnachtsmannes laufen zu dürfen.
Dafür fangen sie schon früh an zu trainieren. Auch Hugo hatte schon als Kälbchen mit seinen Freunden Schlitten ziehen geübt und in seinem Zimmer hatte ein Poster mit dem Gespann des Weihnachtsmannes gehangen. Stolz und mit glänzendem Pelz liefen da elegant die Stars unter den Rentieren vor dem goldenen Schlitten her, der mit vielen großen Säcken beladen war. Jeden Abend hatte Hugo sich vorgestellt, dass eines Tages auch er dort laufen würde.
Dieses Jahr war er alt genug und hatte sich bei den Auswahlwettkämpfen angemeldet. Er hatte es nur um Haaresbreite geschafft, aber als der Weihnachtsmann ihm den Huf geschüttelt und ihn im Team willkommen geheißen hatte, kam es Hugo so vor, als sei er das schnellste und eleganteste Rentier der Welt. Sein Großvater, der auch mal im Team Weihnachtsmann gelaufen war, hatte ihn stolz mit der Nase angestupst.
Und jetzt sollte also sein Traum doch noch platzen. Wegen eines blöden, angeknacksten Vorderhufs!
Am Weihnachtsmorgen herrschte große Hektik im Weihnachtsdorf. Viele Wichtel schleppten die großen Säcke mit den Geschenken zum Weihnachtsschlitten. Der Weihnachtsmann bügelte seinen Mantel noch einmal und die Rentiere bürsteten sich das Fell und machten Dehnübungen. Hugo sah traurig zu.
Als gegen Mittag schließlich der Schlitten glitzernd und klingelnd in der Ferne verschwand, konnte Hugo nicht mehr anders – er fing an zu weinen. Das war so ungerecht. Warum konnte er nicht dabei sein? Hugo schniefte.
Um ihn herum machten die Wichtel Feierabend. Bald war er ganz alleine. Nun musste er wohl nach Hause humpeln. Seine Familie würde ihn sicher trösten, aber er wollte gar nicht getröstet werden. Er wollte dabei sein, wenn die Kinder sich freuten. Er wollte die Weihnachtsbäume der Menschen sehen und mit seinen Teamkollegen