Rachel Elliott

Bären füttern verboten


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Flaschenpost, keine Wrackteile von einem alten Schiff. Sondern das hier. Einen Hund mit einer enormen körperlichen Präsenz. Dabei wirkte er so ätherisch, beinahe wie ein Fabelwesen.

      Sie brachte ihn zum Tierarzt. Er ist leider nicht gechipt, Maria. Und auf seiner Marke ist keine Telefonnummer, was höchst nachlässig ist.

      Schlimm, sagte sie.

      Stuart trottete neben ihr her, als sie nach Hause ging. Es fühlte sich an, als wären sie diesen Weg schon hundert Mal zusammen gegangen.

      Ich gebe ihn nicht weg, sagte Maria. Auf keinen Fall. Er hat mich ausgesucht.

      Na ja, sagte Jon, eigentlich seid ihr euch nur zufällig über den Weg gelaufen. Es hätte genauso gut jemand anders sein können. Und er ist riesig. Meine Güte, Maria, das ist, als hätten wir ein Pony im Haus. Das Futter wird uns ein Vermögen kosten.

      So wie deine Leinwände und Farbtuben, dachte sie. Wie all die Pinsel und Skizzenblöcke.

      Maria wurde nicht leicht wütend, aber seine Bemerkung, sie und Stuart wären nur durch einen Zufall miteinander verbunden, machte sie fuchsteufelswild. Die Stimme, die aus ihrem Mund kam, war so laut, dass sie erschrak. Hinterher musste sie darüber lächeln. Am nächsten Tag kaufte sie einen XXL-Hundekorb für die Küche, mit blau kariertem Fleecefutter.

      Jon greift wieder nach seinem Pinsel. Er hat genug gehört von dieser Frau auf dem Dach. Gut, gut, sagt er.

      Maria hasst es, wenn er das tut. Wenn er ohne jeden Grund gut, gut sagt. Obwohl überhaupt nichts gut ist, und erst recht nicht gut, gut. Und wenn er eigentlich meint, genug jetzt, geh schon, lass mich in Ruhe.

      Belle Schaefer geht am Strandcafé vorbei und den schmalen Pfad hoch zu dem Haus, wo sie immer noch mit ihren Eltern lebt.

      Schäm dich, Belle. Das war doch nicht der Plan, oder? Mit neunundzwanzig immer noch zu Hause zu wohnen. Ihr Gefängniswärter ist Unentschiedenheit, ein schnittiger kleiner Kerl, schick angezogen, der mit den Fingern schnippt und sagt, du könntest dahin gehen oder dorthin, du könntest dies tun oder das, du könntest alles Mögliche tun, Belle, sieh doch nur, wie viele Optionen du in dieser sich ständig verändernden Welt hast. Die Musik der Unentschiedenheit ist schräger, frenetischer Jazz, manchmal so wild und laut, dass Belle gar nicht mehr denken kann. Wohin wirst du gehen, Belle? Wie wirst du dich entscheiden? Sollen wir einfach eine Nadel in eine Landkarte stecken? Ich bin der Pianist im Foyer jedes Augenblicks, Belle. Komm, setz dich zu mir, wir singen ein Lied der Möglichkeiten, oder wir schauen auf Instagram, was die anderen alle tun. Warum hältst du dir die Ohren zu?

      Unentschiedenheit macht süchtig. Du kannst überallhin reisen, ohne dich von der Stelle zu bewegen. Du kannst in jeder beliebigen Stadt leben, ohne auch nur eine Tasche zu packen. Belle hat ein Notizbuch voller Möglichkeiten, und darin zu blättern, ist so jazzig und erschöpfend, dass sie zu nichts anderem kommt.

      Nein, das stimmt so nicht. Ihr Gefängniswärter war die Unentschiedenheit. Sie war durcheinander und überfordert, damals als Teenager, zu vernünftig und sexlos für diesen bizarren Lebensabschnitt. Ihre Hormone setzten einfach nichts in Gang, keine Lust, kein ewiges Verschlafen, keine Poster an der Wand. Warum klebten sich ihre Freundinnen plötzlich Fotos von völlig Fremden an die Zimmertür? Was zum Teufel war bloß mit allen los? Die Aufregung, das Schminken, die Knutschereien. Die Zeitschriften, obwohl die viel langweiliger waren als Comics. Das ständige Hast du dies schon gemacht? und Hast du das schon gemacht?. Wann war der Startschuss gefallen? Wann waren alle verrückt geworden? Eben haben wir noch fröhlich mit Lego gespielt und in Priele geschaut, und jetzt wollen wir alles sofort, und wenn wir das nicht kriegen, bringen wir uns um.

      Als Mädchen las Belle viel und half ihrer Mutter gern im Garten. Sie sammelte Muscheln am Strand und fragte die Fischer, welche Haken und Köder die besten waren. Sie hatte sieben T-Shirts mit der Aufschrift ICH ♥ OTTER, für jeden Wochentag eine andere Farbe, und jeden Morgen zog sie ein frisches davon an, dazu entweder Jeans oder Cordhose. (Sie ist ziemlich uninspiriert, sagte ihr Vater. Lass sie einfach so sein, wie sie ist, sagte ihre Mutter.) Das Leben war schön und einfach.

      Dann kam die Pubertät. Chaos. Die Mädchen angemalt und völlig aufgedreht. Die Jungen mürrisch und überhitzt, ständig blöde Sprüche auf den Lippen. Alle riechen anders und kompliziert, nicht mehr nach Waschmittel. Und das Allerschlimmste: Es ist nicht mehr akzeptabel, T-Shirts von der Otter-Schutzstation zu tragen.

      BELLE: Ich möchte dieses Stadium bitte überspringen.

      LEBEN: So funktioniert das leider nicht, meine Liebe. Zieh einfach den Kopf ein und warte ab, was passiert.

      BELLE: Aber die sind alle verrückt geworden. Es gibt plötzlich Regeln, wie man aussehen und sich verhalten muss. Sogar, welche Musik man hören darf und welche nicht. Überall eckt man an.

      LEBEN: Wie ich schon sagte, zieh einfach den Kopf ein. Du kannst immer noch Elvis hören, wenn du willst.

      BELLE: Ich mag seine Stimme. Aber außer mir hört ihn keiner.

      LEBEN: O doch, meine Liebe. Ältere Leute. Anderswo auf der Welt.

      Dann, endlich, verstummte der Lärm, und der Himmel klarte auf. Ihre Freundinnen gingen weg zum Studieren, und sie saß mit Halsschmerzen und Krissellocken am Strand.

      BELLE: Darf ich jetzt wieder Otter lieben? Ist es vorbei?

      LEBEN: Ja, Belle. Es ist vorbei. Nur noch eine letzte Hürde.

      BELLE: Was?

      LEBEN: Sie warten zu Hause auf dich, in der Küche.

      Maria und Jon tranken Tee und schauten auf die Uhr.

      Du warst aber lange weg, sagte Jon und musterte die schlabbrige Hose seiner Tochter, die ein gutes Stück zu lang war.

      Ist was passiert?, fragte sie.

      Nein, keine Sorge, sagte Maria. Wir wollten nur mal mit dir reden.

      O Gott.

      Worüber?

      Über dein Leben.

      Mein Leben.

      Ja.

      Was ist damit?

      Nun ja, genauer gesagt, über deine Ausbildung.

      Deine berufliche Laufbahn.

      Welche berufliche Laufbahn?

      Eben.

      Was?

      Liebes, bist du sicher, dass du nicht studieren willst? Nicht schon wieder.

      Aber Liebes.

      Mir geht’s gut, so, wie es ist. Ich will nicht in so einen Pferch, lieber sterbe ich.

      Was?

      Pferch?

      Ich will nicht an die Uni.

      Aber Belle.

      Das kostet ein Vermögen, und eine Jobgarantie gibt dir trotzdem keiner. Außerdem habe ich schon einen Job, der mir gefällt. Ich will weiter in der Buchhandlung arbeiten. Kann ich nicht einfach hier bleiben?

      Du willst wirklich hier bei uns bleiben?

      Unglaublich, ich weiß, aber ja. Jedenfalls fürs Erste.

      Maria und Jon sahen sich an.

      Ich habe keine Ahnung, was gerade in ihr vorgeht, denkt Jon, während er das Gesicht seiner Frau betrachtet, aber ich hoffe, sie ist genauso enttäuscht wie ich. Unsere Tochter ist eindeutig zurückgeblieben.

      Jippiee, denkt Maria. Jippiee.

      Belle ist jetzt die Jüngste in dieser Stadt, die einen Schrebergarten hat. Letztes Jahr hat sie einen Preis für den besten Kürbis, die größte Möhre und den leckersten Schlehenlikör gewonnen. Sie trinkt im Black Hole Bier mit ihren Freunden, von denen die meisten mindestens sechzig sind. Sie arbeitet ehrenamtlich in der Otter-Schutzstation. Sie wohnt im Anbau. Keine eigene Haustür, aber man kann schließlich