Rachel Elliott

Bären füttern verboten


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weinst nie, sagt Jason.

      Natürlich tue ich das, sagt Dad.

      Wann denn?

      Das weiß ich doch jetzt nicht so genau.

      Ich dachte, die Tatsachen des Lebens hätten was mit Sex zu tun, sagt Jason, und wir sehen ihn alle an.

      Es gibt lauter verschiedene Tatsachen des Lebens, sagt Mum. Nicht alle haben was mit Sex zu tun.

      Dad lacht.

      Wie auch immer, sagt Mum, kann ich jetzt weitererzählen? Ich wollte nicht mit einem schlechten Gewissen nach Hause gehen, also bin ich aufgestanden und habe sie gefragt, ob ich ihr irgendwie helfen kann.

      Und hat sie dir gesagt, warum sie geweint hat?, frage ich.

      Ja, hat sie. Ihr Hund ist gestorben.

      Warum weint sie denn wegen einem Hund?, fragt Jason.

      Weil der Hund zu ihrer Familie gehörte, sagt Mum. Er ist angefahren worden und musste eingeschläfert werden. Sie hatte ihn gerade beim Tierarzt zurückgelassen und hat es nicht über sich gebracht, ohne ihn nach Hause zu gehen.

      Liebes, sagt Dad, ich finde, das ist wirklich nicht –

      Nein, sagt Mum. Ich habe lange darüber nachgedacht, und ich finde, sie sollten so etwas hören.

      Da bin ich mir nicht so sicher.

      Es ist wichtig, sagt Mum.

      Wer hat den Hund angefahren?, frage ich.

      Kommt er ins Gefängnis?, fragt Jason.

      Hat er das mit Absicht gemacht?

      Wie lange muss man dafür ins Gefängnis?

      Später am Abend hören wir ihre Stimmen von oben aus der winzigen Schlafnische. In unserem Wohnwagen hört man alles. Also wirklich, Ila, sagt Dad, das war vollkommen unnötig, du machst ihnen nur Angst. Das sehe ich anders, sagt Mum. Kinder müssen lernen, wie man über schwierige Themen spricht, und vor allem, was man tut, wenn es jemandem nicht gut geht. Aber muss es denn gleich der Tod sein?, fragt er. Ja, sagt sie. Erinnerst du dich an letzten Sommer, als Sydney und ich den toten Mann gefunden haben? Ich hätte die Erfahrung dazu nutzen können, ihr etwas beizubringen, und stattdessen habe ich alles unter den Teppich gekehrt. Ein Toter im Kaufhaus? Hier, da hast du einen Spielzeugkrankenwagen, jetzt vergiss das Ganze. Was habe ich ihr denn da für eine Botschaft vermittelt? Ich schäme mich immer noch deswegen.

      Ihr Streit ging noch eine Weile weiter, aber diesmal hatte – im Gegensatz zu sonst – offenbar Dad gewonnen, denn wir hörten nie wieder eine traurige Geschichte von Mum, und vom Sterben wurde auch nicht mehr gesprochen.

      Als das Thema dann wieder aufkam, versuchten wir gar nicht, darüber zu reden.

      Es hätte ohnehin nichts genutzt.

       Date-Abend

      Er lässt sich im beleuchteten Becken treiben und blickt hoch zu den Sternen. Sein Gesicht wirkt jünger als sonst. Da ist eine jungenhafte Leichtigkeit, oder vielleicht eine leichte Jungenhaftigkeit. Das liegt an ihr. Seiner Frau Ila. Selbst nach all den Jahren weckt sie in ihm immer noch das Verspielte, Alberne, Übermütige.

      Er dreht sich auf den Bauch und schwimmt zum Rand. Dort legt er die Arme auf die Mosaikfliesen, das Kinn auf die Arme und wartet.

      Heute ist Date-Abend. Jeden Monat treffen sie sich an einem Donnerstag im Schwimmbad.

      An diesem Abend kommt sie spät, aber das stört ihn nicht. Wahrscheinlich zieht sie sich gerade um und trödelt dabei. Sie lässt sich gerne Zeit.

      Er lässt sich zurück in das warme Wasser gleiten, taucht unter, kommt wieder hoch.

      Howard liebt das Schwimmbad. Das Beste daran ist die Form des Beckens, denn es ist ungewöhnlicherweise rund. Es gibt keine Länge und Breite, die man schwimmen könnte, sondern nur einen Umfang, einen Radius und einen Durchmesser. Man kann natürlich auch einen Bogen oder eine Wellenlinie schwimmen, wenn man will. Man kann sich in der Mitte treiben lassen, in dem Wissen, dass man sich im tiefsten Innern des Kreises befindet und von hier aus jeder Weg gleich lang ist. Perfekte Symmetrie, die sich unter ihm abzeichnet. Er würde das Becken gerne mal sehen, wenn kein Wasser darin ist, um das geometrische Handwerk auf dem Boden zu bewundern, die Punkte und Linien, Abmessungen und Pfeile.

      Um das Becken herum eine Reihe von konzentrischen Kreisen. Erst die Mosaikfliesen, blau und weiß. Dann ein gelber Pfad. Dann wieder Mosaikfliesen in blassem Orange, die ein paar Stufen hinauf zum äußeren Kreis aus Umkleiden führen, pastellfarbenen Holzgebilden, die aussehen wie kleine Strandhütten.

      In einer davon ist sie.

      Hinter welcher Tür steckst du, Liebes?

      An jeder zweiten Tür hängt, mit Kreide auf eine Tafel gemalt, ein Bild mit dem Titel Die Eigenschaften eines Kreises. Darunter die Worte DIE ZEIT IST EIN HERVORRAGENDES BEISPIEL FÜR EINEN KREIS.

      Er denkt eine Weile darüber nach, während er wartet. Bis eine Tür aufschwingt.

      Da ist sie. Ila, die in ihrem Pünktchen-Bikini aus einer Umkleide tritt.

      Sie sieht ihn lächeln.

      Das Licht fällt auf sie, als sie die Stufen hinuntergeht und dann über die orangen Fliesen, den gelben Weg, die blauen und weißen Fliesen.

      Jetzt steht sie vor ihm am Beckenrand. Sie setzt zu einem Kopfsprung an, hält die Position länger als nötig und versucht, nicht zu lachen.

      Angeberin, sagt er.

      Dann ist sie direkt über seinem Kopf, ihr Bauchnabel auf der Höhe seiner Nase.

      Er blickt hoch zu ihren Füßen, ihren Beinen, ihren ausgestreckten Armen.

      Dann ein Platschen, und sie ist weg.

      Er dreht sich um, betrachtet ihre dunkle Silhouette unter Wasser, die von ihm weggleitet.

      Das kann sie gut, den Atem anhalten und verschwinden.

      Und dann, wie immer, ihr tropfnasses, lächelndes Gesicht.

      Er stößt sich ab und schwimmt zu ihr.

      Jetzt wartet sie auf ihn, tritt Wasser.

      Hallo du, sagt sie, nimmt sein Gesicht in die Hände und küsst ihn.

      Hallo du.

      Ich mag deine neue Badehose. Knallrot – ganz schön gewagt in deinem Alter.

      In meinem Alter?

      Du bist jetzt alt, sagt sie. Du bist mein alter Mann.

      Die habe ich aus dem Schlussverkauf. Alle anderen Farben waren schon weg.

      Weißt du noch, als du dir die von Speedo gekauft hast? Und gleich beim ersten Mal hast du sie im Meer verloren.

      Jetzt fang nicht wieder davon an, sagt er.

      Das war unglaublich komisch.

      Wenn ich mich recht entsinne, hast du dir ziemlich lange Zeit gelassen, mir ein Handtuch zu holen.

      Ich weiß nicht, was du meinst, sagt sie.

      Das ist achtunddreißig Jahre her, denkt er. Was absurd und unmöglich erscheint, aber nur, wenn man so naiv ist zu glauben, Zeit sei gleichbedeutend mit Entfernung, und je weiter man von einem Augenblick weg sei, desto kleiner und blasser werde er.

      Sie spritzt Wasser in seine Richtung.

      He, sagt er.

      Sie tut es wieder.

      Also tut er es auch.

      Das Wasser ist jetzt überall

      keiner von beiden kann irgendetwas sehen

      und ihre Hände sind feste, rotierende Paddel

      die die Jahre davonspritzen