Jan Kjaerstad

Femina erecta


Скачать книгу

Grünes Kleid. Ein Blickfang, kein Zweifel. Eine Frau, wie sie Werenskiold gerne gemalt hätte. Konnten zwei Jungs und ein Mädchen Freunde sein? Nur Freunde? Aber hatte Rita nicht vor Jahren etwas Ähnliches erlebt, mit Konrad und Max? Trotzdem ein Anblick, der sie stutzig machte, Sigurd und Harald mit umeinandergeschlungenen Armen. Das taten sie sonst nie. Es war, als stünden sie auf einer Bühne und versuchten, zwei Brüder zu spielen, die beste Freunde waren.

      Wie lief es mit der Suppe? Sie war in der Küche und erteilte Dagny Anweisungen, diesem gesegneten Menschen, einer Helferin in all den Jahren, seit Rita allein war. Hummer. Was für ein Duft. Sud aus Meeresfrüchten und Obers. Sie hatte überlegt, ein paar Flaschen Rheinwein zu öffnen, aber es sollte beim Sherry bleiben zur Suppe. Rheinwein konnte in diesen Zeiten falsche Signale aussenden. Sie wollte neutral bleiben. Wie Norwegen. Es sollte ein netter Abend werden. Ohne Minenauslegung, gleich welcher Art. Das hatte sie lange entbehrt. Eine Dosis elementaren Umgangs mit Menschen. Gebildete Konversation. Geschliffene Worte.

      Mehr erhoffte sie sich gar nicht.

      Wieder im Wohnzimmer, nahm sie ihr Glas und näherte sich der Gruppe um die zwei Herren. Albert, ihr Bruder, der so viele Wale geschossen hatte, oder schießen hatte lassen, dass es ihm fürstlichen Reichtum eingebracht hatte und einen Wohnpalast in Sandefjord. Und Max, der kleine Maximilian. Sie hatte einen stechenden Groll verspürt, als Albert ihr mitgeteilt hatte, er werde seinen Freund mitbringen, sie hätte Max niemals eingeladen, dachte jetzt aber, dass es trotzdem schön war, ihn in ihrem Wohnzimmer zu sehen. Eine Ehefrau hatte er sich nicht gefunden, dafür allerdings hatte er bereits einen Professorentitel in der Tasche – schon als Junge hatte er sich auf die Kunst verstanden, die günstigsten Positionen für seine Schachfiguren zu finden. Wer hätte das vermutet, als er in kurzen Hosen herumgelaufen war und Steine nach ihr geworfen hatte? Und dort, ein wenig unpässlich, stand ihre Nichte Ragnhild, die Rita so gern mochte und die sie vor ein paar Jahren auf ihre Reise nach Østerdalen und Rondane mitgenommen hatte. Das Ebenbild ihres Bruders, jedoch mit einer Warmherzigkeit, die ihm abging. Es überraschte nicht, dass sie vorhatte, sich als Krankenschwester ausbilden zu lassen.

      Vielleicht sollte Ragnhild am besten gleich bei ihrem Vater beginnen? Ihm einen Impfstoff gegen Hochmut verabreichen? Nein, keine solch perfiden Gedanken jetzt.

      Rita klatscht in die Hände und bittet alle ins Speisezimmer, weist jedem und jeder Einzelnen einen Platz zu, und als sie den Anblick des hübsch gedeckten Tischs auf sich wirken lässt, des glänzenden Bestecks, der Tulpen, Kerzen, der Gäste im Kreis rundherum, erfüllt sie eine seltsame Wärme, eine Verzweiflung beinahe, und sie ertappt sich bei dem Wunsch, dass alles so bleiben könnte wie jetzt, dass die Zeit stehenbleiben könnte, so wie die campanileähnliche Standuhr an der Wand, die seit Vaters Tod nicht mehr aufgezogen wurde; eigentlich konnte sie diese kontinuierliche Veränderung nur schwer akzeptieren, über die sie noch vor einem Augenblick nachgedacht hatte: Entwicklung, Wachstum, Tod. Im Gegenteil. Die Jungs sollten immer so bleiben, wie sie jetzt waren. Genauso feurig, so voller Lebenshunger. Sie lachte innerlich, schüttelte den Gedanken dann aber von sich und nickte Dagny zu. Gemeinsam begannen sie, in tiefen Tellern die Hummersuppe aufzutragen, die einen besseren Duft verbreitete als jeder Weihrauch.

      »Hast du dir noch immer keine feste Haushaltshilfe angeschafft?«, fragte Albert, der es am liebsten sähe, wenn sie ihr Leben ihrem Stande gemäß führte. Wie er selbst es tat. Gleichzeitig beließ er seine Hand ein wenig zu lange auf Dagnys Rücken, als diese den Teller vor ihn hinstellte. Er hatte Dagny immer gemocht.

      »Harald könnte beim Servieren helfen!«, rief Sigurd. Rita hörte den leicht boshaften Seitenhieb in seinen Worten.

      Albert nahm den Wink auf: »Arbeitest du noch immer in dieser Saufbude, Harald, dem Theatercaféen? Ich hätte geglaubt, du hättest größere Ambitionen, Junge. Wolltest du es nicht zu etwas mehr bringen, als vor Taugenichtsen zu katzbuckeln?«

      Harald antwortete nicht, roch lieber an der Suppe, bedeutete der Mutter, dass er hungrig sei und sich auf das Essen freue.

      »Sieh dir deinen Bruder an«, stichelte der Onkel weiter. »Rechtswissenschaft, das ist die Zukunft. Wir brauchen Juristen mehr denn je. Überdies bringt es ein guter Anwalt zu Reichtum. Wie geht’s dir damit, Sigurd?«

      »Gut, aber ich stehe ja noch immer am Anfang meiner Studien.«

      Mit ehrlicher Neugier wandte Max sich an Harald: »Was wird denn so an den Kaffeehaustischen geredet? Werden wir in den Krieg hineingezogen oder nicht?«

      »Keiner glaubt, dass der Krieg zu uns kommt«, sagte Harald, fügte jedoch hinzu: »Nur die Pessimisten. Die, die kein Trinkgeld geben.«

      Max lachte und flüsterte Ragnhild, seiner jungen Tischgenossin, etwas zu. Jetzt, da alle einen appetitanregenden Teller vor sich stehen hatten, erhob Rita das Glas und deklamierte einen kurzen Vers: »Immer seufzen wir und klagen / hadernd mit des Himmels Schlüssen: Ach daß wir zu spät gekommen! / daß zu früh wir scheiden müssen!‹« Der Vers war als kleine Provokation oder als Ausgangspunkt für ein Gespräch gedacht. Jedenfalls passte er, in Anbetracht der politischen Umstände. »Aus den Rubaiyat von Omar Chayyām«, sagte sie zur Aufklärung, »nachgedichtet von Alexander Seippel. Ich bin Seippel – dieser seltsamen Figur – ja mehrmals in der Stadt begegnet, in Vaters Antiquariat. Er hat auch Hafis übersetzt. Willkommen. Bitte, lasst es euch schmecken.«

      »Du und dein Persien«, sagte Sigurd in neckendem Tonfall. »Du hättest Datteln und Tee kredenzen sollen, Mutter.«

      »Das ist auch schon das Einzige, was du an schöner Literatur gelesen hast«, scherzte Harald, »diese komischen persischen Poeten.« Er schielte zu der vis-á-vis sitzenden Maud hin, die diese Bemerkung jedoch nicht zu amüsieren schien. Rita wusste, dass Maud und die Jungs viel Zeit miteinander verbrachten, sie waren sogar mit den Skiern zu ihrer Hütte im Krokskogen gefahren. Angeblich war sie eine regelrechte Rakete auf den Skiern. Nach dem, was die Jungs ihr erzählt hatten, war sie im Winter mehrmals von Jevnaker, ihrem Heimatort, durch das große Waldgebiet der Nordmarka bis in die Stadt langgelaufen. Ein Mädchen, an dem Nansen zweifellos seinen Gefallen gefunden hätte, er, der seine Eva auf Skiern im Wald am Frognerseteren kennengelernt hatte. Ja, und sie las auch viel und wollte für eine Zeitung schreiben. Beschäftigte sich außerdem mit Fotografie. Armes Ding, sie hatte offenbar keine Ahnung, was für eine Männerbastion eine Zeitungsredaktion war. Bei zwei Gelegenheiten hatte sie Rita gefragt, ob sie Bilder von ihr schießen dürfe. Sie hatten sich damals ein wenig unterhalten, und Maud hatte ihr viele überraschende Fragen gestellt. »Sie haben ein schönes Gesicht«, hatte sie hinterher gesagt. »Ich sammle schöne Gesichter.«

      Rita mochte sie, ihre Glut. Ihre draufgängerische Art. Ihre Eigenschaft, nicht in alte Muster zu verfallen wie so bedrückend viele andere junge Frauen.

      »Pfui, seine Mutter unterschätzen, das ist aber nicht nett«, lachte Rita und nutzte die Gelegenheit, um anzumerken, dass noch jemanden fehlte, aber wieso sich mit Warten aufhalten? Und dann bedankte sie sich für die Geschenke, das sei absolut nicht nötig gewesen, aber vielen Dank. Von ihren Söhnen hatte sie nur etwas Symbolisches aus der Freia-Schokoladen-Boutique auf der Karl Johans gate bekommen, aber Maud – aufs Neue war Rita verblüfft – hatte ihr eine Grammofonplatte geschenkt, zwei Cello-Suiten von Bach, eingespielt von Pablo Casals. Ein außergewöhnliches Geschenk. Was sie indessen am meisten begeisterte, war nicht das eigentliche Geschenk, sondern etwas, das Maud sagte und das Rita nicht wusste, nämlich dass sich Casals im Spanischen Bürgerkrieg auf die Seite der Republikaner gestellt habe, dass er jetzt in Frankreich wohne und die Rückkehr nach Spanien verweigere. Maud verfolgte das Weltgeschehen, Rita mochte sie schon jetzt lieber als irgendeine der anderen jungen Damen, die ihre Jungs früher angeschleppt hatten.

      »Was für ein subtiler Geschmack«, sagte Max und führte den Löffel zärtlich in den Rest der Suppe. »Und was für ein wundervolles Aroma. Bravo, Rita!«

      Von Albert und Ragnhild hatte sie prächtigen Silberschmuck bekommen, wobei sie nicht recht wusste, ob sich darin die Großmütigkeit ihres Bruders ausdrückte oder ob er damit etwas zur Schau zu stellen beabsichtigte. Max hatte sein letztes Buch über Albrecht Dürer mitgebracht. Sie war sich nicht sicher, ob sie Dürer mochte, bedankte sich aber höflich. Und vielleicht auch ein klein wenig beeindruckt. Max, der Bücherschreiber.