Jan Kjaerstad

Femina erecta


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überlegene Kultur!«, sagte er.

      »Ist Furtwängler nicht Hitlers Lieblingsdirigent? Und Wagner der Komponist, den er am meisten schätzt?« Wieder Maud. Eine Falkin. Ließ Max nicht davonkommen. Es war, als gewahrte sie eine Verbindung zwischen dem Konzert in der Aula und einer drohenden Gefahr, einen Zusammenhang, den keiner der anderen sah. Rita ertappte sich dabei, Maud zu bewundern und einen Scharfsinn wiederzuerkennen, den sie selbst einst besessen hatte.

      Max weigerte sich, seine Begeisterung zu dämpfen. »Eine Dosis deutscher Kultur würde uns wahrhaftig nicht schaden«, sagte er. »Oder deutscher Führung«, fügte er hinzu. Sogar Albert zuckte auf seinem Stuhl zusammen. »Wieso es nicht als Befreiung von unserer eigenen Untauglichkeit betrachten? Wir Halbbarbaren sollten uns glücklich schätzen, von der deutschen Kultur unter die Fittiche genommen zu werden. Wäre das nicht so, als wäre man im im Altertum von den Griechen erobert worden und hätte an der reichen hellenistischen Kultur teilhaben dürfen?« Er schaute Rita an, und in seinem Blick lag etwas Träumerisches. »Wer weiß? Vielleicht stehen wir hier vor einer echten Möglichkeit. Ein großer Sprung vorwärts, aufwärts. Nicht nur für die Kultur, sondern für die ganze Menschheit. Eine Veredelung.«

      »Du gütiger Himmel … Jetzt gehst du zu weit, Max, sogar für deine Begriffe.« Rita hatte sich erhoben, weigerte sich zu glauben, dass er das wirklich ernst meinte, er war bloß betrunken. Trotzdem fühlte sie sich provoziert. Lauter, als sie es wollte, sagte sie, die Geschichte habe gezeigt, dass die Menschheit sich nicht auf ein höheres Ziel zubewege. Man brauche sich bloß Persien anzusehen. Auf alle drei Glanzzeiten folgte der Niedergang.

      Albert war verschwunden. Rita sah vor sich, wie er in der Küche mit Dagny flirtete, sie womöglich zu etwas drängte, sie einzuschüchtern, zu verführen versuchte. Sie wurde aus ihrem Bruder nicht schlau. Sollte er sich nicht vielmehr um den Krieg sorgen und um das Schicksal seiner kostbaren Schiffsflotte?

      Und was war mit dem Menschen?, wollte Max wissen. Konnte der Mensch denn nicht veredelt werden? Lächelnd schielte er zu der jungen Ragnhild.

      Rita witterte eine neue Gefahr, lehnte sich schwer in ihrem Sessel zurück, obwohl sie eigentlich aufstehen und Max einmal so richtig durchschütteln sollte. Was er mit Veredelung meine? Sie bereute die Frage, denn es schwante ihr, dass dem Thema etwas Heikles, oder frei heraus gesagt, etwas Diabolisches anhaftete. Sie versuchte, Max’ Redeschwall am Rand ihres Bewusstseins abzukoppeln, denn zuallererst wollte sie sich auf die Tatsache besinnen, dass sie, die Familie, oder zumindest Teile der Familie, hier zusammengekommen waren, am Kamin saßen, den Zusammenhalt stärkten, tranken, Konversation führten, oder es zumindest versuchten.

      Max’ Stimme holt sie wieder zurück: »Ich denke, wir sollten uns das Tierreich ansehen«, sagt er leichthin, und auch wenn sie von alldem nichts mehr hören will, ist es unmöglich, nicht doch den einen oder anderen Gesprächsfetzen aufzuschnappen, über die Natur, in der sich alles von selbst regulierte … dass die am wenigsten Geeigneten untergingen … dass nur die mit dem besten Erbmaterial überlebten … Die Aufregung in seiner Stimme steigerte sich immer weiter: Heute, in unserer Gesellschaft, kümmerten wir uns um alle und jeden, ganz gleich, wie schwach sie seien. Sie wollte nichts hören, aber es gelang ihr nicht, den gesamten Redeschwall auszusperren: … wenn die alle Kinder bekommen … es geht um die Zukunft … auch fähige Ärzte und Politiker … die Gefahr, dass uns, den Menschen, eine Degenration bevorsteht. Sagte er das wirklich? Auf jeden Fall saß er hier, in ihrem Wohnzimmer, und erklärte, wir sollten selbst steuern, wer sich fortpflanzen dürfe. Warum sollten wir nicht ein bisschen an uns selbst herumbessern, an unserer eigenen Rasse? Wieso den Zufall regieren lassen? Immerhin würden ja auch ständig neue Getreidesorten, Kühe und Schweine gezüchtet.

      Rita spürte ihre Wangen erröten: »Du vergisst einen nicht ganz unwesentlichen Aspekt, Max. Der Mensch ist keine Kuh und kein Schwein.«

      Und er: »Nein, aber was sollte falsch daran sein, die Geistesschwachen oder regelrecht Geistesgestören zu sterilisieren? Unvorteilhafte Erbeigenschaften zu beseitigen?«

      Albert war ins Zimmer zurückkehrt, er wirkte mürrisch, wie er da breitbeinig hinter den Jungs stand: »Sag’s doch einfach frei heraus, Max. Du spielst auf die Rassenhygiene an oder auf das, was wir mit einem schöneren Wort Eugenik nennen. Gibt es nicht drüben in Uppsala eine Einrichtung, die sich Institut für Rassenbiologie nennt! Vom Reichstag anerkannt. Die Schweden waren uns ja immer schon weit voraus.«

      »Mir gefällt das Wort ›Erbhygiene‹ besser«, sagte Max. »Dabei geht es darum, zum Beispiel geistig Zurückgebliebene am Kinderkriegen zu hindern.«

      Albert, wie aus einem Hinterhalt: »Das solltest du bedenken, wenn es um Bjørg geht, Rita.«

      Das stach. Der Schmerz. »Schweig still! Wie kannst du es wagen …« Rita erhob einen warnenden Zeigefinger gegen den Bruder. Gewiss, sie hätte sich erheben, auf den Boden stampfen sollen, rechnete allerdings nicht damit, dass irgendwer seine grotesken Worte ernstnahm.

      Ragnhild, die schläfrig wirkte, richtete sich in ihrem Stuhl auf und fragte vertrauensselig, vielleicht weil sie bald Krankenschwester sein würde: »Sind manche Menschen etwa weniger wert als andere?«

      Maud reagierte ebenfalls: »Was Sie da sagen, Herr Qviller, ist gelinde gesagt ungeheuerlich. Meinen Sie, wir sollten anfangen, erwünschte Individuen von unerwünschten auszusortieren, Menschen zu beseitigen wie Unkraut aus dem Blumenbeet?«

      Max: »Ich darf daran erinnern, dass eben erst ein neues Sterilisationsgesetz verabschiedet wurde … Es ist mit eindeutiger Mehrheit angenommen worden.«

      Max redete wieder wie aufgezogen, Rita verschloss die Ohren, hörte nur einzelne Worte. Wichtig, sagte er. Freiwillig, sagte er. Das Beste für das Gemeinwohl, sagte er. Rita fühlte sich allmählich schwindlig. Mit der Einwilligung der Angehörigen, hörte sie. Zur Verbesserung der Bevölkerung, hörte sie. Kommende Geschlechter. Sie musste ihn stoppen: »Was kommt als nächstes, Max? Willst du dich als Zuchthengst melden?« Sie fühlte sich krank, krank von allem, was Max sagte. Und in dem Wissen, dass viele sich heute nicht eingestehen würden, dass solche Ideen einst unter den Menschen verbreitet waren, beeilen wir uns hinzuzufügen: Alles hier Erwähnte kann als repräsentativ gelten für diese Zeit. Auch für Norwegen. Die Ōuzhōu-Gruppe, die ihre Formulierungen gern auf die Spitze treibt, spricht von einer »skandalösen Anzahl an Sterilisationen in Norwegen im Zeitraum von 1930–1970«. Siehe auch Norwegens dunkles Geheimnis von Fira Hardjono (Yoguakarta Y-1013).

      Max bedachte sie mit einem mildtätigen Blick: Du verstehst nicht, setzte er nach. Ganz elementar, setzte er nach. Menschen, die nie Kinder bekommen dürfen, setzte er nach. Die Weitergabe schlechten Erbguts verhindern. In einem seiner Mundwinkel hatte sich Speichel angesammelt.

      Rita blickte verzweifelt um sich, gewahrte das Kristall des Kronleuchters, das Silber der Kandelaber, Gemälde in vergoldeten Rahmen, die außergewöhnliche Tapete mit ihrem diskreten Muster, und spürte, wie das alles von diesen Worten besudelt wurde und Missmut sich in ihr breitmachte. Wie unpassend, wie barbarisch war solche Rede in einer Villa, von der sie einmal gehofft hatte, sie würde sich zu einem Zentrum norwegischer Bildung, einer radikalen Variante der Ideen des Lysaker-Kreises entwickeln.

      Albert saß nur noch da und lachte gedämpft, schenkte sich Cognac nach, für ihn war die Diskussion offenbar eine köstliche Unterhaltung, eine willkommene Abwechslung zu seinen Werftbestellungen. »Wie ich schon sagte, Rita. Du musst auf Bjørg aufpassen. Max hat recht. Wenn einer sie will, und sie bekommt Kinder, ist es äußerst schlecht bestellt um unsere Sippe.« Er ließ ein hässliches Lachen hören, fast wie ein Husten.

      »Albert!« Wieder ein ohnmächtiger Zeigefinger gegen ihren Bruder. Damit war alles gesagt.

      Etwas war mit der Atmosphäre im Zimmer geschehen. Rita wandte sich um und entdeckte Bjørg in der Türöffnung zum Wohnzimmer. Das schwarze Haar zerzaust, medusenhaft. Die beiden Söhne blond, die Tochter dunkel. Rita wusste nicht, wann Bjørg heimgekommen war, wie lange sie schon dort stand, völlig still, und dem Gespräch zuhörte.

      Das Schlimmste war, dass Rita sich schon des Öfteren gefragt hatte, ob es sein konnte, dass mit ihrer Tochter etwas nicht stimmte. Bjørg war von der ruhigen Sorte, viele fanden sie seltsam.