Was für ein reizendes Anwesen! Sie sollten sich glücklich schätzen.«
Es wirkte, als wolle sie etwas überspielen – das Heitere und Lebhafte, das Rita mit ihr verband, war verschwunden. »Hattest du eine anstrengende Tour zu der Hütte im Krokskogen letztes Wochenende?«, fragte Rita aus einer Ahnung heraus, irgendetwas könnte dort vorgefallen sein. »Sigurd hat erzählt, er hat dich besucht. Hat es nicht stark zu schneien begonnen?«
Maud hätte beinahe den Halt verloren. Rita ergriff ihre Hand. »Dir ist kalt«, sagte sie. »Lass uns zurückgehen.«
Maud war drauf und dran, etwas zu sagen, hüpfte aber stattdessen schweigend von der Mauer. Rita gefiel nicht, was sie ganz plötzlich an der jungen Frau erblickte. Sie hoffte inständig, Maud würde dieser Funke in ihrem Blick erhalten bleiben. Niemals verlöschen.
Auf dem Rückweg hörten sie das Gezanke bereits durch die offene Terrassentür. Als sie ins Wohnzimmer traten, standen die Jungs gefährlich nah beieinander. Harald, der sich weiterhin für Neutralität und Frieden starkmachte, drohte ironischerweise seinem Bruder mit der Faust.
»Du warst schon immer ein verdammter Feigling!«, rief Sigurd. Er hatte während der ganzen Feier nur Rotwein getrunken, und als ihm schließlich die Argumente ausgingen, schüttete er das, was sich noch in seinem Glas befand, Harald ins Gesicht, genauer gesagt, er traf nicht sein Gesicht, sondern seine weiße Hemdbrust, so dass es auf einmal aussah, als sei er verwundet.
»Ich lasse mich nicht provozieren«, sagte Harald. »Ich bin Pazifist. Nachdem ich am Truppenübungsplatz die Schießscheiben in Fetzen geballert hatte, habe ich mir geschworen, nie wieder eine Waffe in die Hand zu nehmen.«
»Und was würdest du tun, wenn genau in diesem Augenblick ein Deutscher hier hereinkäme und Mutter ins Visier nähme?« Sigurd ließ den Blick umherschweifen. »Oder Maud? Würdest du nicht wenigstens dieses Schwert da von der Wand nehmen?« Er deutete mit dem Daumen zum Kamin.
Wie zur Antwort rannte Harald hinüber, riss das Schwert von der Wand, mit einer Heftigkeit, dass Schrauben und Mauerverputz herabrieselten, und zog es aus der Scheide. »Jetzt lässt du also den Säbel rasseln«, lachte Sigurd. Rita bekam es mit der Angst zu tun, trat einen Schritt auf Harald zu und hob abwehrend die Hände, doch ohne sie zu beachten, schlug er die Klinge mit voller Kraft gegen eine der gusseisernen Stangen des Kamins, wie in einem gewaltsamen Versuch, eine Waffe unbrauchbar zu machen. Nichts passierte. Es handelte sich um Stahl aus Toledo, allgemein bekannt für seine Geschmeidigkeit und Härte. Er verzog das Gesicht, weil ihn die Hand schmerzte. Das machte ihn nur noch rasender, er setzte das Schwert mit der Spitze auf dem Fußboden auf, stellte sich mit der Schuhsohle auf die Klinge und versuchte mit seinem ganzen Gewicht, sie zu verbiegen. Vergebens.
Sigurd krümmte sich vor Lachen. »Wird echt schwer werden, den Frieden zu sichern, wenn nicht einmal ein uraltes Schwert einen Kratzer von dir abbekommt.«
»Schluss mit dem albernen Gerede, alle beide!«, rief Maud. Etwas Hartes lag in ihrem Blick. Etwas Neues, dachte Rita.
Harald sah jetzt noch verletzter aus. Nicht nur gab der Rotweinfleck ihm den Anschein, als sei er in einen Fechtkampf verwickelt gewesen, sondern jetzt blutete er auch noch wirklich, er musste sich bei dem Versuch, die Klinge zu verbiegen, in die Handfläche geschnitten haben.
Rita hatte die Tulpen in zwei Vasen gesteckt. Die eine stand auf dem Esstisch, die andere auf einem Tischchen neben dem Kamin, und jetzt fegte Harald die eine davon mit dem Schwert herunter, so dass sie auf dem Fußboden zerbrach und die Blumen überall verstreut zu liegen kamen. Ragnhild stürzte nach vorn und fing an, die Tulpen aufzulesen, als wolle sie wenigstens die Blumen vor der Zerstörung bewahren.
Ich muss etwas tun, dachte Rita. Ich muss etwas sagen. Ich muss dazwischen gehen. Ich muss sie zur Vernunft bringen.
Doch sie blieb einfach stehen. Kraftlos. Als wüsste sie, dass es nichts bringen würde. Oder als ob sie gar nicht da wäre. Alles von oben herab betrachtete.
In der Zwischenzeit hatte Harald sich auf Sigurd gestürzt, wurde jedoch von seinem Onkel weggezerrt. »Wenn ihr zwei Rotzbengel euch schon prügeln müsst, dann geht wenigstens nach draußen«, sagte er, als ob der ganze Zwischenfall ihn amüsierte oder er nur zu gern Zeuge eines realen Kampfes würde.
Rita glaubte schon, sie hätten sich dadurch beruhigt, aber sie taumelten aufgehetzt hinaus auf die Terrasse und weiter in den Garten hinunter, wo sie aufeinander losstürzten wie zwei kleine Jungs. Maud war ihnen gefolgt, und obwohl Rita nicht hörte, was sie sagte, hatte sie den Eindruck, dass sie sie ausschalt.
Rita wurde von Verzweiflung übermannt. Einer Verzweiflung, die zugleich eine Lähmung war. Sie stand im Wohnzimmer und beobachtete die Balgerei durch das Fenster, als wäre es eine Leinwand, auf der sie einen Film sah, der sie nichts anging. Aber es ging sie an. Hatten sie nicht vor wenigen Jahren erst in ähnlichen Pullovern fröhlich dort nebeneinander gelegen und Engel in den Schnee gezeichnet?
Die Zeit.
Sie sollte hinauslaufen und sie am Genick packen. Trotzdem stand sie nur da. Passiv. Verachtenswert passiv.
Endlich schaffte sie es nach draußen und stellte sich neben Maud, die nichts mehr sagte. Die aufgegeben hatte. So standen sie nebeneinander, zwei Frauen, und sahen zu, wie zwei junge Männer mit den Armen herumfuchtelten und Blutflecken im Schnee hinterließen. »Aufstehen!«, rief Rita, obwohl auch ihre Zunge betäubt wirkte, ihr nicht recht gehorchen wollte. »Aufhören!«, rief sie, aber sie hörten nicht auf, und obwohl sie sich dagegen sträubte, obwohl sie sich sagte, dass sie sich darüber erheben müsse, über den Anblick zweier Männer, die auf dem Boden herumkrabbelten, sich umeinanderschlängelten, fluchten und schimpften, spürte sie, wie ihr ganzer Körper von Scham erfüllt wurde. Nein, nicht von Scham. Von Verachtung. Für ihren Bruder. Für Max. Sogar für ihre eigenen Söhne.
Am Ende lagen beide auf dem Rücken, die Augen geöffnet. Wie in Nachdenklichkeit versunken beim Anblick der Sterne über ihnen. Als hätten sie sich spontan der Worte Omar Chayyāms erinnert, welche besagten, dass die Menschen ihr eigenes Schicksal bestimmten. Auch Sigurd blutete jetzt, an einer Augenbraue und aus der Nase.
Sie standen auf und bürsteten sich den Schnee von den Kleidern. Sigurds Jacke war zerrissen. Ragnhild – die arme Ragnhild, die diese Rohheit mit ansehen musste – half den beiden. »Komm mit rauf ins Bad, dann kann ich einen Verband um den Schnitt in deiner Handfläche wickeln«, sagte sie zu Harald. Von der Terrasse aus sah Rita, dass sie Dagny begegneten, die gerade auf dem Weg die Treppe herunter war. Wie sie Dagny kannte, hatte sie Bjørgs Brandwunde nach allen Regeln der Kunst versorgt.
Wo war Max?
Max musste geglaubt haben, in dem ganzen Trubel hätte ihn keiner bemerkt. Rita entdeckte ihn am Rand der Terrasse, im Halbdunkel. Da stand er, der Professor für Kunstgeschichte, Autor eines neuen Buchs über das Renaissancegenie Albrecht Dürer, und pinkelte an eine Säule. Wie ein Hund im Smoking, dachte sie. Mit dem Unterschied, dass er dabei grinste und fröhlich mit sich selbst redete. Und mit einem Mal begriff sie, dass Max etwas damit zu tun hatte, dass sie die Professur nicht bekommen hatte. Es vielleicht sogar eigenhändig verhindert hatte. Von anderen hatte sie gehört, er habe mehrmals die Ansicht geäußert, Frauen seien für höhere akademische Stellen ungeeignet. Das weibliche Nervensystem sei unvereinbar mit den universitären Ansprüchen nach harter, zielgerichteter Arbeit. Ja, natürlich. Max hatte die Fäden in der Hand gehabt, genauso, wie er sie schon früher in der Hand gehabt hatte. Diese Sphäre wurde von einem männlichen Netzwerk beherrscht, das sie nie zur Gänze zu Gesicht bekam.
Um ihre Wut zu verbergen, ging sie kurz hinein, um Dagny zu sagen, dass sie nach Hause gehen könne. Ob Albert ihr lästig geworden sei?
»Nur ein bisschen«, antwortete Dagny mit einem Lächeln. Dieser gesegnete Mensch.
Max huschte vorbei. »Ich habe nie verstanden, warum aus uns beiden nie etwas geworden ist, Rita. Ehrlich. Warum so widerspenstig? Es ist nicht zu spät.« Er nuschelte, und auch jetzt war sein Blick nicht auf ihre Augen, sondern schamlos weiter nach unten gerichtet.
Sie überlegte, ob sie ihm, wie Bjørg, eine Ohrfeige verpassen sollte, konnte sich aber zurückhalten.