beendet war, schlich Pucki hinaus in die Küche.
»Minna – ich habe mich nicht ganz satt gegessen, ich habe noch ein kleines Loch im Bauch. Schenkst du mir eine Waffel?«
»Nein, die Waffeln bleiben für heute nachmittag. Deine Mutti bekommt Besuch; für dich sind auch Waffeln übrig, doch erst zum Kaffeetrinken.«
»Minna, ich glaube, mein Magen knurrt furchtbar.«
»Warum hast du dich mittags nicht satt gegessen?«
»Weil mir Waffeln viel besser schmecken als Gemüse.«
Pucki öffnete die Tür zur Speisekammer und betrachtete mit leuchtenden Augen den Teller mit dem Waffelberg.
»Merkst du es, wenn ich mir eine Waffel nehme?«
»Freilich merke ich das.«
»Woran merkst du denn das, Minna?«
»Ich habe die Waffeln gezählt.«
»Wieviel sind es denn?«
»Dreißig Stück.«
Pucki blieb in der Speisekammer und versuchte die Waffeln auf dem Teller zu zählen. Es waren viel mehr als dreißig. Da entstand in dem Kopf des Kindes der Plan, etwas von dem leckeren Gebäck zu nehmen. Pucki wusste genau, dass ihr das Naschen streng verboten war. Aber die Waffeln dufteten so verführerisch, und außerdem waren es viel mehr, als Minna sagte, so dass es gewiss nicht schaden konnte, wenn sie davon ass. Zum Kaffee wollte Pucki etwas weniger oft zulangen, dann war die schlimme Tat wieder ausgeglichen.
Eben wollte sie eine Waffel ergreifen, als Minna in der Tür der Speisekammer erschien, das Kind am Arm erfasste und herauszog. »Willst du etwa naschen? Das könnte schlimm ausgehen, Pucki, denn ein Kind, das nascht, wird vom lieben Gott bestraft.«
»Sind's wirklich dreißig Waffeln, Minna?«
»Mach, dass du aus der Küche kommst, ich habe zu arbeiten.«
»Darf ich dem Plüschli nicht eine Waffel geben oder dem Harras?«
»Du sollst hinausgehen«, rief Minna ärgerlich.
Zunächst suchte Pucki das kleine Rehkitz auf, das in den letzten Wochen recht tüchtig gewachsen war. Jedes Mal, wenn Pucki den Stall betrat, sprang ihr das Tier erfreut entgegen und rieb sein Köpfchen an Puckis Kleid.
»Du bist auch meine liebe Freundin, dich habe ich furchtbar gern!« Dann rief das Kind nach Harras und klagte ihm sein Leid. »Wenn du noch klüger wärst, lieber Harras, müsstest du durchs Speisekammerfenster springen und mir eine Waffel holen.«
Harras bellte freudig, doch Pucki stellte mit Bedauern fest, dass dieser Plan unausführbar sei.
»Nun müssen wir bis zum Kaffeetrinken warten, dabei habe ich doch so großen Waffelhunger!«
Eine Stunde später befahl die Mutter ihrem Töchterchen, das neue rosa Kleidchen anzuziehen, weil Besuch käme.
»Nun will ich einmal sehen, Pucki, ob du mein liebes, verständiges Mädchen bist. Das neue Kleidchen hat die gute Großmama mit sehr viel Mühe gestickt. Sieh dich also recht vor. Wenn es sauber bleibt, bekommst du eine Belohnung.«
»Du wirst deine Freude haben, Mutti, ich werde es nicht ein bisschen zerknüllen.«
Tatsächlich stolzierte Pucki in der nächsten halben Stunde behutsam durch die Zimmer. Sie traute sich nicht einmal, sich niederzusetzen, und als Harras kam und an ihr hochspringen wollte, wehrte sie mahnend ab.
»Heute musst du mich hübsch in Ruhe lassen, lieber Harras, damit ich noch extra was bekomme, denn das Kleid hat die Großmutti mit viel Mühe gestickt.«
Auch Minna sollte das schöne Kleid sehen. Pucki ging in die Küche, um sich ihr zu zeigen. Aber Minna war nicht da. Auf der Anrichte stand der Teller mit den Waffeln. Puckis Herz tat einige rasche Schläge, dann griff sie beherzt nach zwei der leckeren Waffeln. Sie wollte wieder aus der Küche huschen, aber da sah sie Minna kommen, in jeder Hand einen Eimer mit Wasser.
»Ich soll nicht naschen, ich darf nichts nehmen, es ist unrecht«, so schoß es dem kleinen Mädchen durch den Kopf. Leider war keine Zeit mehr, die Waffeln zurück auf den Teller zu legen. – Was beginnen? In der nächsten Sekunde huschte Pucki unter den Topfschrank. Ein geblümter Vorhang, der vom letzten Brett bis zur Erde hing, versteckte sie. Pucki musste sich allerdings recht zusammenkauern und verhielt sich lautlos in dem Versteck. Minna würde bald wieder die Küche verlassen, um noch mehr Wasser zu holen, dann wollte sie schnell davoneilen.
Als Pucki in ihrer unbequemen Stellung saß, fiel ihr ein, dass das Kleidchen, das sie anhatte, ja nicht unsauber werden durfte. Nun war es gewiss schon mächtig zerknüllt. Wenn Minna doch erst wieder aus der Küche ginge! – Die Waffeln, die Pucki verspeiste, schmeckten jetzt gar nicht so gut wie sonst.
Da öffnete sich die Küchentür noch einmal; die Mutter erschien.
»Nanu – der Teller mit dem Gebäck ist ja so unordentlich geworden.«
»Sollte Pucki doch einige Waffeln genommen haben?« sagte Minna verärgert. »Ich habe es ihr noch extra verboten.«
»Wenn Sie es Pucki verboten haben, Minna, wird sie es auch nicht getan haben.«
»Na, na, Pucki ist eine kleine Naschkatze.«
»Leider«, erwiderte die Mutter und seufzte leicht, »es macht mich mitunter recht traurig.«
Pucki kauerte sich noch mehr in ihrem Versteck zusammen. Ihr wurde plötzlich siedendheiß. – Nun endlich verließ die Mutter die Küche, nur Minna blieb zurück. Vorsichtig schob Pucki den Vorhang zur Seite, um zu sehen, was Minna wohl treibe. Sie schüttete eben Kartoffeln in den großen blauen Napf und wusch sie ab. Pucki wusste, das waren die Kartoffeln, die für die Hühner und das Schwein gekocht wurden. Da würde Minna noch lange waschen.
Plötzlich hob Minna die Schüssel, um das unsauber gewordene Wasser in den Ausguss zu gießen. Dabei glitt ihr die Schüssel aus der Hand, Kartoffeln und Schmutzwasser ergossen sich in die Küche, und unter dem Topfschrank bildete sich ein kleiner See.
Pucki sah voller Entsetzen, wie sich die Stickerei am Rande des Kleides dunkel färbte. Sie wagte jedoch nicht, aus ihrem Versteck zu kommen. Die blauen Kinderaugen füllten sich mit Tränen. Wenn Minna nur bald aus der Küche ging! Doch Minna begann mit dem Aufsammeln der Kartoffeln, dann ergriff sie einen Aufwischlappen und den Schrubber. Puckis Herz pochte wie ein Hammer.
»Lieber Gott, ich will nie wieder eine Waffel nehmen, nur lass die Minna nicht unter den Topfschrank gucken.«
Im nächsten Augenblick wurde der geblümte Vorhang aufgehoben: Ein kleines Mädchen, im rosa Kleidchen, hockte mit tränenüberströmtem Gesicht in der nassen Ecke.
»Pucki!«
»Fräulein Caspari hat doch recht! – Ach, Minna, jetzt bin ich ganz schmutzig!«
Minna begann zu schelten. »Was tust du unter dem Topfschrank?«
Pucki kam hervorgekrochen und schaute mit jämmerlicher Miene an sich herunter. Wie sah das schöne Kleid aus! Auch das weiße Unterröckchen war nass und schmutzig geworden. Durch die weißen Schuhe war das Wasser gedrungen, und die Knie, auf denen das Kind gelegen hatte, waren gleichfalls feucht.
»Willst du endlich sagen, was du unter dem Topfschrank wolltest?«
»Ach, Minna – es ist sehr schlimm.«
»Du, Pucki –« Minna stellte sich drohend vor die Kleine, »wolltest du etwa Waffeln stehlen? – Hast du vielleicht schon eine genommen?«
»Ja«, klang es kleinlaut.
»Schämst du dich nicht?«
»Ja – ich schäme mich.«
»Nun mach, dass du aus der Küche kommst, ich will solch unartiges Mädchen nicht länger sehen.«
Da stand nun Pucki im Flur, wischte mit den nassen Händen die Tränen