Von ihrem Stolz war nichts mehr übrig.
Erst recht nicht, wenn sie vor einem Tribunal bestehend aus ihrer Mom, ihrem Agenten und ihrem Anwalt in ihrem eigenen Wohnzimmer saß, die alle sorgenvoll die Stirn runzelten und ein Gesicht machten, als hätten sie eine Steuerprüfung vor sich. Alexis hätte sich bei diesem Gespräch sehr viel wohler gefühlt, wenn ihre Mom allein gewesen wäre. Oder wenn Alexis wenigstens geduscht hätte, bevor die drei plötzlich bei ihr aufgetaucht wären. Ihre Pläne für den heutigen Tag, die darin bestanden hatten, eine wahnsinnig interessante Dokumentation über kanadische Holzfäller zu schauen, Pizza zu essen und einen ungefähr zweistündigen Mittagsschlaf zu machen, waren anscheinend hinfällig. Stattdessen musste sie hier sitzen und auf die Titelseite einer Zeitung starren, die sie lieber nicht zu Gesicht bekommen hätte.
„Der Aufstieg vom Stripper zum Millionär – dieser Mann verdiente pro Minute über neuntausend Dollar als Ehemann eines Popstars.“
„Ich kann es lesen, Mom“, unterbrach sie ihre Mutter, während ihre Wangen feuerrot wurden. Wer wurde in ihrem Alter auch schon gerne wie ein Teenager behandelt? Alexis wartete eigentlich nur noch darauf, zu Hausarrest verdonnert zu werden.
„Kennst du das Foto, das die Zeitung gedruckt hat?“
Nein, das tat sie nicht. Um ehrlich zu sein, konnte sie sich an kaum etwas erinnern, was damals passiert war. Und an den Mann, der ganze achtzehn Stunden lang ihr Ehemann gewesen war und dafür eine Abfindung von zehn Millionen Dollar erhalten hatte, als er einer Annullierung ihrer Ehe zustimmte, erinnerte sie sich ebenfalls nur schwach. Wenn sein Gesicht nicht in diversen Zeitschriften aufgetaucht wäre, wüsste Alexis nicht einmal, wie er aussah.
Ja, Long Island Iced Teas waren eine Erfindung des Teufels.
„Ich kenne es nicht“, erwiderte sie, während es in ihrem Magen unangenehm grollte.
Eigentlich wollte sie nicht hinschauen, denn allein der kurze Blick auf die Titelseite hatte sie regelrecht ernüchtert, aber irgendeine diabolische Neugierde ließ sie das dort abgedruckte Foto suchen und betrachten. Gleichzeitig glühten ihre Ohren.
Ihre Hochzeit hatte sie sich immer anders vorgestellt – klassisch, stilvoll und romantisch. Das, was auf dem Foto zu sehen war, war weder klassisch noch stilvoll oder gar romantisch.
Es zeigte sie in einem unerhört kurzen Pailettenkleid mit tiefem Rückenausschnitt, barfuß und mit einem pinken Schleier auf dem Kopf, während ihr Bräutigam einen Cowboyhut, Jeans und eine Lederweste trug – und sonst nichts. Der Mann, den sie geheiratet hatte, war mit nacktem Oberkörper vor den Traualtar getreten, um sich von einem Elvis-Double verheiraten zu lassen, und war über und über mit Goldfarbe beschmiert gewesen. Eigentlich war es angesichts dieses Fotos, das offenbar heimlich aufgenommen worden war, ein Wunder, dass Alexis nicht längst für unzurechnungsfähig erklärt worden war.
Welche zurechnungsfähige Frau heiratete einen wildfremden Mann, den sie nur drei Stunden vorher auf einer Cluberöffnung kennengelernt hatte, auf der er als Stripper auf einer Bühne gestanden hatte?
„Also weißt du auch nicht, wer das Foto gemacht hat?“
Sie starrte ihre Mom an und war stolz, wie ruhig ihre Stimme klang, als sie trocken erwiderte: „Ich weiß nicht einmal mehr, wie ich an jenem Abend in diese Hochzeitskapelle gekommen bin, Mom. Wie soll ich also wissen, wer das Foto aufgenommen hat?“
Ihre Mutter drehte sich zu Alexis’ Anwalt um, der sich bedeutungsvoll räusperte und genauso wie Alexis’ Agent einen dunklen Anzug trug, der mit Sicherheit eine schöne Stange Geld gekostet hatte. Alexis hatte keine genauen Zahlen im Kopf, aber beide Männer hatten sich eine goldene Nase verdient, seit sie für sie arbeiteten, denn sie war seit ihrer Volljährigkeit, als sie mit ihrem Debütalbum durchgestartet war, eine regelrechte Gelddruckmaschine gewesen.
Das wusste auch ihre Mom, die ehrgeizig an ihrer Karriere gearbeitet hatte, sie managte und seit fast einem Jahr darum bemüht war, Alexis wieder auf Spur zu bringen.
Alexis liebte ihre Mutter, aber angesichts des Eintausend-Dollar-Haarschnitts, des maßgefertigten Kostüms und der eleganten Uhr von Cartier, die ihre Mom an ihrem linken Handgelenk trug, musste sie sich fragen, worüber sie sich am meisten Sorgen machte – um Alexis oder um ihre Einnahmequelle.
Kaum hatte sich dieser Gedanke in ihrem Kopf festgesetzt, wand sie sich innerlich, denn Alexis wollte ihrer Mutter kein Unrecht tun. Vielleicht hatte sie in letzter Zeit einfach zu viel ferngesehen und sah überall Verschwörungen, anstatt rational zu bleiben.
„Gilbert, wir haben mit diesem Goldgräber einen Vertrag, dessen Auflage besagt, dass keine Einzelheiten zur Eheschließung, zur Annullierung und zum Inhalt des Vertrages bekannt werden darf!“
Besagter Goldgräber hieß eigentlich Carlos Hernandez und war unter dem Künstlernamen Hector aufgetreten. Das alles hatte Alexis erfahren, als sie mit einem furchtbaren Kater in ihrer Hotelsuite aufgewacht war und ihrer Mutter Rede und Antwort stehen musste, nachdem die nach Las Vegas geflogen war. Vermutlich konnte Alexis von Glück reden, dass ihr Bodyguard sie mit ihrem frisch Angetrauten im Bellagio aufgegabelt hatte, bevor die beiden die Ehe vollziehen konnten.
Kaum zu glauben, wie blöd sie damals gewesen war.
Es gab genügend Popsternchen, die solche Dummheiten anstellten, zu viel tranken und sich keine Gedanken um Konsequenzen machten, aber Alexis war schon immer der vernünftige, abwägende und vorsichtige Typ gewesen. Bis heute verstand sie nicht, dass ausgerechnet sie derart ausgeflippt war. Mädchen mit Anfang zwanzig warfen alle Bedenken über Bord und heirateten einen Wildfremden, aber das taten keine Frauen mit zweiunddreißig Jahren, die ein ausgeprägtes Verantwortungsgefühl besaßen.
„Wir kennen die Quelle der Zeitschrift nicht und wissen auch nicht, von wem das Foto stammt. Unter diesen Umständen ist es schwierig, Mr. Hernandez einen Vertragsbruch nachzuweisen. Ich persönlich denke nicht, dass er die Quelle ist, schließlich geht es bei ihm um zehn Millionen Dollar, die er zusammen mit einer Strafe zurückzahlen müsste, wenn er gegen die Auflagen des Vertrages verstößt.“
Die Aussage des Anwalts schien ihrer Mom nicht zu gefallen, weil sie die Stirn runzelte. „Wer soll denn die geheimen Klauseln des Vertrages publik gemacht haben? Wir waren es schließlich nicht!“
„Du weißt doch selbst, dass es bei solchen Angelegenheiten immer jemanden geben kann, der davon Wind bekommt und zur Presse rennt, Emma.“
„Und damit sollen wir uns abspeisen lassen?“ Das Gesicht ihrer Mutter wurde zornesrot. „Wozu gibt es überhaupt die Verschwiegenheitsklausel, wenn die Einzelheiten des Vertrages doch an die Öffentlichkeit geraten?“
„Wenn keine der beiden Parteien dagegen verstößt, dann können wir nichts tun“, bemühte sich der Anwalt zu erklären.
„Damit gebe ich mich nicht zufrieden. Ich werde einen Privatdetektiv engagieren, der herausfinden soll, von wem die Informationen und das Foto stammen, die dieses unsägliche Schmierblatt publik gemacht hat.“
Alexis schloss für einen Moment die Augen, bevor sie ihre Mutter mit müder Stimme bat: „Mom, können wir die Sache nicht auf sich beruhen lassen?“
Das Gesicht ihrer Mutter, das nicht zu altern schien und beneidenswert schön war, erstarrte förmlich, als sie sich zu ihrer Tochter drehte und sie verständnislos ansah. „Wie bitte?“
Alexis zuckte hilflos mit den Schultern. „Was bringt es denn, wenn wir wissen, wer für den Artikel verantwortlich ist? Die Zeit zurückdrehen können wir dadurch nicht.“
„Darum geht es nicht.“
„Und worum geht es dann?“ Alexis schüttelte kurz den Kopf. „Ich will nicht, dass die Angelegenheit noch mehr Aufmerksamkeit bekommt. Die letzten Monate waren peinlich genug“, gestand sie, obwohl es ihr schwerfiel, dies in Gegenwart der beiden Männer zuzugeben. Ihr Liebesleben sollte schließlich nur sie etwas angehen.
„Umso peinlicher wird es sein, wenn nun Spekulationen über diesen Mann publik werden und wir dem nichts entgegensetzen.“
Sie