hast du für einen Salat auf deinem Schreibtisch! Das Analoge gilt beispielsweise für die katalanische Kategorie ‚amenida‘. Der angemachte Salat auf dem Teller ist eine amenida; der Salat, der im Garten wächst, heißt enciam. Amenida ist ein Partizip von amenir, ‚würzen‘. Das heutige Substantiv amenida ‚Salat‘ ist eine Reduktionsform aus enciam amenida ‚gewürzter Salat‘. Während Obstsalat im Spanischen statt macedonia de frutas unter Umständen auch ensalada de frutas genannt werden kann, ist es im Katalanischen völlig unmöglich, amenida de fruites statt macedonia de fruites zu sagen. Das heißt, die spanische Kategorie ‚ensalada‘ ist ähnlich der katalanischen Kategorie ‚amenida‘, aber nicht mit ihr identisch. Beide Kategorien sind jedoch sehr verschieden von der deutschen Kategorie ‚Salat‘.
Die RegelRegel des Gebrauchs des Wortes Salat scheint aus einer Disjunktion von Gebrauchsbedingungen zu bestehen. Salat kann dazu verwendet werden, Pflanzen einer bestimmten Art zu bezeichnenbezeichnen oder/und ein mit einer Marinade angemachtes, durch Mischen zubereitetes Gericht, wobei die Basiszutaten nicht in die Gebrauchsbedingungen mit eingehen; alles was gemischt und angemacht ist, fällt unter die Kategorie ‚Salat‘. Das heißt, die Kategorie ‚Salat‘ ist zugleich eine Kategorie, die Pflanzen nach einem bestimmten Gebrauchswert klassifiziert, und eine, die eine bestimmte Zubereitungsart klassifiziert. Sie ist eine Kategorie, die in der alltäglichen Lebenspraxis und Kommunikationspraxis entstanden ist und ohne Rücksicht auf Klarheit und Logik tradiert wird. Sie ist wirr, hat unscharfe Ränderunscharfe Ränder, Farnilienähnlichkeitsstruktur sowie Prototypenstruktur, und dennoch macht uns der GebrauchGebrauch des Wortes Salat im Alltag keinerlei Schwierigkeiten.
Die beiden Beispiele Vieh und Salat sollten deutlich machen, dass unsere Kategorien, mit denen wir täglich kognitivkognitiv und kommunikativ hantieren, weit davon entfernt sein können, der Fregeschen „Forderung der scharfen Begrenzung des Begriffs“21Frege zu genügen, ohne dass uns dies auch nur die geringsten kognitiven oder kommunikativen Probleme bereitete.
Kategorien bzw. Begriffe sind Einheiten unseres Denkens. Sie werden erzeugt durch die Gebrauchsregeln der Wörter, mit denen wir sie bezeichnen. Wir erlernen nicht erst den Begriff ‚Salat‘ und dann gleichsam in einem zweiten Schritt, diesen BegriffBegriff mit dem Wort Salat zu bezeichnen, sondern wir lernen in unserem kommunikativen Alltag die RegelRegel des Gebrauchs des Wortes Salat. Indem wir dies lernen, lernen wir, mit einer gewissen Unschärfetoleranz, Salat von Nicht-Salat zu unterscheiden. Im wissenschaftlichen Diskurs gibt es auch den umgekehrten Fall: Man gerät im Zuge der Forschung zur Notwendigkeit, eine neue Kategorie einzuführen, für die es noch keine einfache Bezeichnung gibt, und sucht dann nach einem geeigneten Wort, das die Kategorie griffig benennt. Dieser Fall stellt eher die Ausnahme dar.22
Der Zusammenhang von Begriff und Gebrauchsregel ist bislang meines Wissens weitgehend unerforscht. Die Klärung dieses Zusammenhangs bedeutet nichts weniger als die Klärung des Zusammenhangs von Semantik und Kognition. Die „kognitive Linguistik“ ist eine Forschungsdisziplin, die Korrelationen zwischen kognitiven Einheiten, Strukturen und Prozessen und der Sprache erforscht. Auf dem Gebiet der sogenannten „kognitiven Semantik“ gibt es gegenwärtig zwei Hauptströmungen – eine, die die semantische Struktur mit der kognitiven Struktur identifiziert, und eine, die statt dessen ein Zweistufenmodell vertritt. Beide Modelle halte ich für unangemessen und will die Gründe dafür kurz nennen. Das Zweistufenmodell nimmt eine sprachgebunden gedachte semantische Form und eine sprachunabhängig gedachte konzeptuelle Struktur an. Was mich mit diesem Modell verbindet, ist die Überzeugung, dass eine Theorie der KonzeptKonzepte und Begriffe nicht identisch sein kann mit einer Theorie der sprachlichen SemantikSemantik. Was an diesem Modell unangemessen ist, ist die Sprachunabhängigkeitsannahme der Konzepte sowie seine repräsentationistische Semantikkonzeption: Zeichen repräsentieren dieser Theorie gemäß semantische Formen. Die Gründe der Ablehnung brauche ich nicht zu wiederholen. Für das Identifikationsmodell sind mir keine begründenden Argumentationsversuche bekannt. Es handelt sich dabei um eine façon de parler, die im günstigsten Fall auf eine Verdoppelung der Teminologie hinausläuft. Kognitive Kategorien, wie „concepts“, werden ohne weitere Rechtfertigung mit sprachlichen Kategorien, wie „meaningmeaning“, gleichgesetzt.23Schwarz Ein prototypischer Vertreter dieser Richtung ist Ronald LangackerLangacker. In seinem bekannten Aufsatz über Subjektivierung schreibt er:
Inspired by formal logic based on truth conditions, semantic theory in the twentieth century has for the most part presupposed an objectivist view of meaning. Indeed, semantic textbooks often devote considerable space to explaining why the student is wrong, if not hopelessly naive, in supposing that a meaning could be anything so mysterious as a thought or concept (for example KempsonKempson 1977: 15–20; PalmerPalmer 1981: 24–28). Recent years have nevertheless witnessed the emergence and continued elaboration of a reasonably explicit, empirically grounded subjectivist or conceptualist theory of meaning – in short, a true cognitive semanticscognitive semantics.24
Langackers Zitat enthält zwei irrige Suggestionen: Erstens versucht er den Eindruck zu erwecken, als bestünde der einzige Weg, eine objektivistische, wahrheitswertfunktionale Semantikkonzeption zu vermeiden, darin, Bedeutungen in den Kopf des Sprechers zu verlegen; und zweitens suggeriert er, dass die Autoren, die die Annahme, dass Bedeutungen mit Gedanken oder Begriffen gleichzusetzen seien, für naiv halten, „Objektivisten“ seien. Beides trifft nicht zu, zumindest nicht für die beiden von ihm genannten Autoren. Die nicht-objektivistischen Aspekte der BedeutungBedeutung wie SubjektivitätSubjektivität, PerspektivitätPerspektivität oder Evaluativität sind nichts anderes als Gebrauchsregeln, bei denen Sprecherein stellungen, Sprechetperspektiven und Sprecherbewertungen Bedingungen für den regelkonformen GebrauchGebrauch der betreffenden Wörter darstellen. Der Unterschied zwischen den Bedeutungen der Wörter geizig und sparsam besteht beispielsweise darin, dass der Sprecher das Wort geizig wählen sollte, wenn er die damit charakterisierte Disposition oder Verhaltensweise missbilligt, und er mit der Wahl des Wortes sparsam zeigt, dass er sie billigt.
Um den Schwächen des ObjektivismusObjektivismus zu entgehen, bedarf es nicht der „Flucht in den Kopf“, wie FeilkeFeilke25 die kongnitivistischen Bemühungen so treffend charakterisierte. Kognitivistisch konzipierte Semantiktheorien haben zwei prinzipielle und fundamentale Fehler: Sie sind zum einen repräsentationistisch mit all den daraus folgenden Problemen, und zum zweiten sind sie argumentativ zirkulär. Aus Beobachtungen sprachlicher Sachverhalte wird geschlossen auf das Vorhandensein korrespondierender kognitiver Strukturen, mit denen dann die beobachteten sprachlichen Sachverhalte „erklärt“ werden. Mark JohnsonJohnson exemplifiziert diese Zirkularität in seinem programmatischen Aufsatz, der den Titel „Philosophical Implications of Cognitive Semantics“26 trägt, in großer Klarheit. Ich will versuchen, die Grundauffassung dessen, was er „cognitive semantics“ nennt, in vier Thesen zusammenzufassen.
Die erste These möchte ich die These der „Metaphorizität der Erkenntnis“ nennen. Sie lautet: Unser Wissen, unser Denken, unser VerstehenVerstehen und unsere Erfahrung sind im Wesentlichen bildlicher, d.h. metaphorischer und metonymischer Natur. „Human beings are fundamentally imaginative creatures.“27 Metaphorizität ist das Wesen unserer kognitiven Aneignung der Welt. „Meaning, metaphysics, and morality are all irreducibly metaphoric.“28
Die zweite zentrale These ist die der „Systematizität der Bildlichkeit“: Die Metaphern, mit denen wir die Welt begreifen und erfassen (um gleich ein Beispiel dafür zu geben), die metaphors we live by,29 sind nicht privater und idiosynkratischer Natur. Es gibt metaphorische Muster, die weitgehend zeit- und kulturabhängig zu sein scheinen. „Our actual experience is largely structured by systems of metaphors.“30 Solche Muster nennen Lakoff und JohnsonJohnson „image schemas“. „Image schemas are structures of imagination. “31 Sie strukturieren unsere Erfahrungen und unsere Erkenntnis.
Die dritte These sei „These der Priorität der körperlichen Erfahrung“ genannt. „Cognitive semantics gives a central place to the role of our bodily experience in the structure of our conceptual systems.“32 Grundlegende körperliche Erfahrungen werden metaphorisch als Bildspender genutzt, um die Welt zu erfassen und zu begreifen.
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