der Bedeutung“ genannt. Eine solche Redeweise suggeriert dem mit Wittgensteins Schriften wenig vertrauten Leser, es gäbe eine theoretische Abhandlung, in der er eine Theorie der Bedeutung vorgelegt hat. Eine solche gibt es nicht. Wittgenstein hat vielmehr in einer Reihe verstreuter Bemerkungen, vor allem in dem Hauptwerk seiner späteren Philosophie, das den Titel „Philosophische Untersuchungen“ trägt, den Begriff der Bedeutung thematisiert, berührt oder auch bisweilen nur gestreift. So ist es nicht verwunderlich, dass unterschiedliche Interpretationen vorliegen. „Die philosophischen Bemerkungen dieses Buches“, schreibt er im Vorwort zu den „Philosophischen Untersuchungen“, „sind gleichsam eine Menge von Landschaftsskizzen, die auf diesen langen und verwickelten Fahrten entstanden sind.“4 Eine Gebrauchtstheorie kann nur das Ergebnis interpretativer und ergänzender Bemühungen sein. Solchen Bemühungen wollen wir uns nun unterziehen.
Als einschlägig wird im Allgemeinen der Paragraph 43 der „Philosophischen Untersuchungen“ angesehen, der in voller Länge wie folgt lautet:
Man kann für eine große Klasse von Fällen der Benützung des Wortes ‚Bedeutung‘ – wenn auch nicht für alle Fälle seiner Benützung – dieses Wort so erklären: Die Bedeutung eines Wortes ist sein GebrauchGebrauch in der Sprache.
Und die Bedeutung eines Namens erklärt man manchmal dadurch, daß man auf seinen Träger zeigt. (PU § 43)
Dieser Paragraph enthält zwei Fallen und einen Hinweis. Beginnen wir mit dem Hinweis. Die Bedeutung eines Namens könne man manchmal hinweisend durch Zeigen erklären, sagt Wittgenstein. Da das Problem der hinweisenden Erklärung für unsere Zwecke nur von marginalem Interesse ist, soll eine knappe Erläuterung genügen. Man könnte annehmen, und FregeFrege, dessen Schriften der frühe Wittgenstein bewundert hatte, tut dies ja auch, dass die Bedeutung eines Namens sein Träger sei. Wittgenstein distanziert sich in den „Philosophischen Untersuchungen“ von dieser Annahme. Allerdings, so konzediert er, lasse sich die Bedeutung eines Namens, oder allgemeiner eines Wortes, bisweilen erklären durch hinweisende Definition. Warum nur bisweilen? Die Antwort ist einleuchtend: Man stelle sich vor, ich wolle einem erklären, was das Wort zwei bedeutet, indem ich auf zwei Nüsse zeige und sage „Das heißt ‚zwei‘“ (PU § 28). Woher soll der Lernende wissen, worauf ich gedeutet habe? Er könnte annehmen, ich wolle ihm die Bedeutung von Nüsse beibringen. Nehmen wir an, ich deutete auf einen roten Pullover und sage „Das heißt rot“. Wie soll der Adressat entscheiden können, ob ich nicht die Bedeutung von Pullover oder flauschig oder Wolle erklären wollte? Mit anderen Worten, um eine hinweisende Erklärung verstehenverstehen zu können, muss bereits vieles bekannt sein:
Man könnte also sagen: Die hinweisende Definition erklärt den Gebrauch – die Bedeutung – des Wortes, wenn es schon klar ist, welche RolleRolle das Wort in der Sprache überhaupt spielen soll. Wenn ich also weiß, daß Einer mir ein Farbwort erklären will, so wird mir die hinweisende Erklärung „Das heißt ‚Sepia‘“ zum Verständnis des Wortes helfen. (PU § 30)
Die hinweisende Definitionhinweisende Definition kann nicht am Anfang stehen, und sie ist nicht immer erfolgreich. Denn „die hinweisende Definition kann in jedem Fall so oder anders gedeutet werden“. (PU § 28)
Widmen wir uns nun den beiden Fallen. Missverständlich ist erstens die einschränkende Vorbemerkung im ersten Satz des Paragraphen 43 und zweitens das Schlüsselwort Gebrauch selbst. Beginnen wir mit der Einschränkung: Wittgensteins Explikation der Bedeutung von Bedeutung soll „für eine große Klasse von Fällen der Benützung des Wortes ‚Bedeutung‘ – wenn auch nicht für alle Fälle seiner Benützung“ gelten. Das naheliegende Missverständnis formuliert George PitcherPitcher in schöner Klarheit: „Genau das würde man von Wittgenstein erwarten: wie es viele verschiedene Sorten von SpielSpielen gibt, gibt es auch viele verschiedene Arten von Bedeutung, und nicht alle sind identisch mit dem Gebrauch des bedeutungstragenden Wortes. Es ist charakteristisch für Wittgenstein, dass er uns nicht sagt, was für Fälle er nicht unter seine allgemeine MaximeMaxime rechnen würde.“5 Das Missverständnis besagt, Wittgenstein wolle mit seiner Einschränkung zum Ausdruck bringen, dass es eine kleine Klasse von Wörtern gebe, deren Bedeutung nicht ihr Gebrauch in der Sprache sei. Wäre es dies gewesen, was er hätte sagen wollen, so hätten seine sprachlichen Fähigkeiten durchaus ausgereicht, es klar zu sagen. „Man kann für eine große Klasse von Wortbedeutungen – wenn auch nicht für alle Fälle der Bedeutungen der Wörter – das Wort Bedeutung so erklären …“ Dies hat Wittgenstein nicht gesagt. Er redet nicht von einer großen Klasse von Wortbedeutungen oder einer großen Klasse von Wörtern, sondern von einer großen Klasse von Benützungen des Wortes Bedeutung! Mit anderen Worten, er redet über die Bedeutungsvielfalt des Wortes Bedeutung. Er sagt uns, was das Wort Bedeutung bedeutet. Wir benutzen das Wort Bedeutung auf vielfaltige Weise: ‚die Bedeutung Konrad Adenauers für Deutschland‘, ‚die Bedeutung des Wortes rein für Goethes Alterswerk‘, ‚die Bedeutung des Wortes polliastre im Deutschen‘ usw. In solchen und ähnlichen Verwendungen des Wortes Bedeutung lässt es sich nicht mit „Gebrauch in der Sprache“ gleichsetzen. Die Gleichsetzung gilt nur in den bedeutungstheoretisch relevanten Fällen der Benutzung des Wortes Bedeutung: die Bedeutung des Wortes auf der Ebene der LangueLangue. Hier gilt uneingeschränkt: Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache.
Damit haben wir eine Überleitung zu der zweiten Falle erreicht. Wo steht, dass sich Wittgenstein auf die Langue-Bedeutung bezieht? Will er nicht gerade den Bedeutungsbegriff flexibler machen und sagen „Je nachdem wie das Wort gebraucht wird, je nach Kontext, Situation oder Umständen kann ein Wort verschiedene Bedeutungen haben“? Gisela HarrasHarras propagiert diese These: „Dies heißt, [es] gibt […] nicht die Bedeutung eines Wortes, sondern je nach Situation und Zwecken von Sprechern jeweils verschiedene Bedeutungen. Dahinter steht zugleich die Auffassung, daß der Gebrauch von sprachlichen Ausdrücken – und damit ihre Bedeutungen – abhängig ist von den Intentionen, die Sprecher jeweils haben.“6 Befürworter wie Gegner der Wittgensteinschen Auffassung bedienen sich dieses Mißverständnisses. So warnt Derek BickertonBickerton: “But we must be careful here, or we shall fall into the trap of Wittgenstein’s […] theory of ‚meaning as use‘. This approach holds that things mean what we choose them to mean – and it is a useful gambit against naive realists who believe that language merely labels what is already there.“7 Vielfach wird diese „Bedeutungstheorie“ nachgerade als die große Errungenschaft der pragmatisch orientierten Linguistik gefeiert oder von ihren Gegnern als Argument ihrer Unangemessenheit benutzt.8Bierwisch Was spricht gegen die Interpretation, dass es nicht die Bedeutung gebe, sondern dass ein Wort je nach Kontext und Sprecherintention verschiedene Bedeutungen habe? Im Paragraphen 43 der „Philosophischen Untersuchungen“ spricht nichts gegen diese Interpretation, außer dass sie das „principle of charity“ verletzt, das Prinzip der wohlwollenden Interpretation, welches besagt: „Unterstelle deinem Gesprächspartner nicht, Unsinn sagen zu wollen.“ Wenn der Begriff der Bedeutung dazu dienen soll zu erklären, wie es dem Sprecher möglich ist, in und mit einer Sprache etwas zu meinen, so kann die Bedeutung nicht gleichgesetzt werden mit dem, was der Sprecher von Fall zu Fall meint. Wenn die Bedeutung dazu dienen soll zu verstehenverstehen, was einer in einer gegebenen Situation mit seiner ÄußerungÄußerung intendiert, so kann sie nicht situations- und intentionsabhängig konzeptualisiert werden. Wenn ich den Sprecher verstanden haben muss, um die Bedeutung seiner Wörter zu kennen, so kann die Bedeutung nichts sein, was mir beim Verstehen hilft. Was Wittgenstein unter Bedeutung versteht, soll die Basis des Verstehens sein und nicht dessen Ergebnis. Daraus folgt, dass mit dem Ausdruck Gebrauch nicht einzelne Gebrauchsinstanzen gemeint sein können, sondern nur die Gebrauchsweise in der Sprache, die Regel des Gebrauchs. Aber in der Tat hat Wittgenstein, wenn ich recht sehe, versäumt, eine terminologische Unterscheidung einzuführen, um das, was ein Wort bedeutet, klar von dem differenzieren zu können, was ein Sprecher mit einer speziellen Äußerung dieses Wortes meint. Ich werde in Kapitel 10 auf diese Unterscheidung zurückkommen und eine Terminologie vorschlagen.
Was Wittgenstein mit dem zitierten Paragraphen sagen will, ist dies: Die Bedeutung eines Wortes einer Sprache L besteht in seiner Gebrauchsweise innerhalb von L.