Rudi Keller

Zeichentheorie


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es zu wissen gibt. Wenn du jemandem die Bedeutung eines Wortes beibringen willst, so bringe ihm bei, wie dieses Wort in der Sprache verwendet wird. (Du brauchst ihm dabei nichts über deine Vorstellungen oder sonst etwas über dein Innenleben zu sagen!) Manchmal, wenn schon viele Vorklärungen getroffen sind, kann auch eine hinweisende Definitionhinweisende Definition die Erklärung des Gebrauchs ersetzen.

      Es ist nicht nur das Prinzip der wohlwollenden Interpretation, das zu dieser Interpretation Anlass gibt. Sie ergibt sich erstens aus dem Zusammenhang mit den übrigen Schlüsselbegriffen seiner späteren Philosophie – wie dem des Sprachspiels, der Lebensform, der Regel und der Privatsprache. Auf diese Zusammenhänge will ich hier nicht näher eingehen. Zweitens ergibt sie sich aus der Reihe zusätzlicher verstreuter Erläuterungen, Bilder und synonymer Ausdrücke:

      Sagen wir: die Bedeutung eines Steines (einer Figur) ist ihre RolleRolle im SpielSpiel. (PU § 563)

      Denk an die Werkzeuge in einem Werkzeugkasten: es ist da ein Hammer, eine Zange, eine Säge, ein Schraubenzieher, ein Maßstab, ein Leimtopf, Leim, Nägel und Schrauben. – So verschieden die FunktionFunktionen dieser Gegenstände, so verschieden sind die Funktionen der Wörter. (Und es gibt Ähnlichkeiten hier und dort.) (PU § 11)

      Es kann nicht ein einziges Mal nur ein Mensch einer Regel gefolgt sein. Es kann nicht ein einziges Mal nur eine Mitteilung gemacht, ein Befehl gegeben, oder verstanden worden sein, etc. – Einer Regel folgen, eine Mitteilung machen, einen Befehl geben, eine Schachpartie spielen sind Gepflogenheiten (Gebräuche, Institutionen).

      Einen Satz verstehenverstehen, heißt, eine Sprache verstehen. Eine Sprache verstehen, heißt, eine Technik beherrschen. (PU § 199)

      Die Ausdrücke Rolle, Funktion, GepflogenheitGepflogenheit und TechnikTechnik machen hinreichend deutlich, dass Wittgenstein unter Bedeutung nicht das verstanden wissen will, was man bisweilen „Kontextbedeutung“ nennt. Im § 559 sagt er das explizit:

      Man möchte etwa von der Funktion des Wortes in diesem Satz reden. Als sei der Satz ein Mechanismus, in welchem das Wort eine bestimmte Funktion habe. Aber worin besteht diese Funktion? Wie tritt sie zu Tage? Denn es ist ja nichts verborgen, wir sehen ja den ganzen Satz! Die Funktion muß sich im Laufe des Kalküls zeigen. (PU § 559)

      Wenn Wittgenstein von Funktion, Rolle oder Gebrauch redet, so meint er dies bezogen auf den gesamten Kalkül, auf die gesamte Sprache. Die Bedeutung des Turms im SchachspielSchachspiel zu kennen, heißt, zu wissen, wie man mit ihm ziehen darf und wie nicht. Mehr gibt es bezüglich des Turms (oder einer beliebigen anderen Figur) nicht zu wissen. Die Bedeutung des Turms zu kennen, ist etwas anderes, als den SinnSinn eines bestimmten Zuges zu verstehen. Letzteres setzt ersteres voraus. Die Bedeutung ist nichts Geheimnisvolles, nichts Seelisches oder sonst etwas Inneres. Die Bedeutung ist eine TechnikTechnik, und genau deshalb können wir sie lehren und lernen und modifizieren. Die Theorie besagt nicht: Man muss die Bedeutung eines Wortes kennen, um es richtig gebrauchen zu können. (Man muss die Bedeutung des Turms kennen, um mit ihm richtig ziehen zu können.) Ein Wort richtig gebrauchen können, heißt, die Bedeutung kennen. Es gibt nichts „hinter“ der GebrauchsregelGebrauchsregel, das gleichsam die Korrektheit des Gebrauchs garantiert. Der Gebrauch „fließt“ nicht aus der Bedeutung, ist nicht eine Folge der Bedeutung, sondern er ist die Bedeutung.

      Man muss aufpassen, dass man mit der Kategorie des Gebrauchs beziehungsweise der Regel des Gebrauchs nicht unter der Hand ein neues Repräsentationsverhältnis einführt: Das Wort repräsentiert nicht die Regel seines Gebrauchs; es „bedeutet“ nicht die Regel des Gebrauchs, sondern regelhafter Gebrauch macht es bedeutungsvoll.9Kutschera Das Wort verhält sich zu seiner Bedeutung nicht wie das Geld zur Kuh, die man dafür kaufen kann, sondern wie das Geld zu seinem Nutzen.10 Die Bedeutung des Wortes nein kennen, heißt zu wissen, was man mit ihm im Deutschen tun kann: etwa beipflichten auf negativ gestellte Fagen wie Gibt es in Andorra keine Universität? – Nein. Die Kenntnis der Gebrauchsregel schließt natürlich die Kenntnis der Wahrheitsbedingungen mit ein, aber sie schließt nicht-wahrheitswertrelevante Gebrauchsbedingungen nicht aus. Wahrheitsbedingungen sind Spezialfälle von Gebrauchsregeln. Pferd und Mähre mögen, um auf Freges im vorigen Kapitel zitiertes Beispiel zurückzukommen, die gleichen Wahrheitsbedingungen haben: Beide Ausdrücke können (beispielsweise) verwendet werden, um auf Huftiere einer bestimmten Gattung zu verweisen. Aber ihre sonstigen Gebrauchsbedingungen sind verschieden: Mähre wird (beispielsweise) verwendet, um eine gewisse Geringschätzung zum Ausdruck zu bringen, für Pferd gilt das nicht. Die Bedeutung eines Wortes kennen, heißt (gegebenenfalls) nicht nur wissen, welche Bedingungen ein Gegenstand erfüllen muss, damit das Wort geeignet ist, wahrheitsgemäß auf ihn applizierbar zu sein, es heißt auch zu wissen, welcher Art „Winke“, wie FregeFrege so schön sagte, man mit einem Wort geben kann. Wenn Frege schreibt: „Das Wort ‚aber‘ unterscheidet sich von ‚und‘ dadurch, daß man mit ihm andeutet, das Folgende stehe zu dem, was nach dem Vorhergehenden zu erwarten war, in einem Gegensatze“,11 so formulierte er (teilweise) die Bedeutung von aber. Denn er sagt damit: Das Wort aber wird im Deutschen dazu verwendet, das-und-das anzudeuten. Dies zu wissen heißt, die Bedeutung zu kennen.

      Eine solche Bedeutungskonzeption hat allen anderen gegenüber entscheidende Vorteile:

      1 Die Bedeutung ist nichts Geheimnisvolles. So wie ich den Gebrauch eines Rasierapparats oder des Turms im SchachspielSchachspiel lernen kann, und zwar ganz oder teilweise, so kann ich den Gebrauch eines Wortes lernen.

      2 So wie man überprüfen kann, ob einer den Gebrauch des Turms beherrscht, kann man überprüfen, ob er die Bedeutung eines Wortes beherrscht, ohne ihm in den Kopf oder in die Seele schauen zu müssen.

      3 Die Bedeutung ist kein „Teil“ des Wortes; so wenig die Gebrauchsweise ein „Teil“ meines Rasierapparats ist. Sie ist ein Aspekt des Wortes, oder allgemeiner des Zeichens.

      4 Bedeutungen lassen sich formulieren, ohne seltsame Entitäten erfinden zu müssen, wie etwa semantischesemantische Merkmale, Seme und dergleichen.

      5 Bedeutungen lassen sich vergleichen, untersuchen, überprüfen ohne Blick in den Kopf oder die Seele. Es genügt der Blick auf den Sprachgebrauch mit rein linguistischen Methoden: Frequenzuntersuchungen, Kommutationsproben, Implikations- und Präsuppositionstests und dergleichen.

      Das Fazit ist: Bedeutungen sind nach diesem Konzept etwas sehr Handliches. Sie sind weder im Kopf noch in der Seele, und das erleichtert ihre Untersuchung enorm! “Cut the pie any way you like, ,meanings‘ just ain’t in the head!“12Putnam

      Dennoch fällt es manchem schwer, zu akzeptieren, dass die Bedeutungshaftigkeit eines sprachlichen Zeichens in nichts anderem als dem regelhaften Gebrauch bestehen soll. Der Grund scheint mir der zu sein: Repräsentationistische Theorien leben stets in der tröstlichen Fiktion, einen Garanten außerhalb der Sprache selbst zu haben, der für die Richtigkeit der Verwendung eines Zeichens bürgt; sei es ein inneres Ereignis oder ein Ding der äußeren Wirklichkeit: „Wir verwenden das Wort Frustration gleich, weil wir alle die gleiche VorstellungVorstellung damit verbinden“, würde ein hartgesottener Vorstellungstheoretiker einwenden, ohne zu merken, dass sein einziges Kriterium für seine Hypothese der Gleichheit der Vorstellungen die Gleichartigkeit der Verwendungsweise ist. Wir können uns das Entstehen von Bedeutungshaftigkeit durch Entstehung von Regelhaftigkeit des Gebrauchs leicht klarmachen am Beispiel der Farbsymbolik. Betrachten wir als Beispiel zunächst schwarze Krawatten. Sie zu tragen, ist Zeichen der Trauer. Wenn wir ein Kind fragen: „Warum ist SchwarzSchwarz die Farbe der Trauer?“ so bekommen wir zur Antwort „Weil Schwarz eine traurige Farbe ist.“ Solange wir uns nicht klarmachen, dass anderswo Weiß die Farbe der Trauer ist und in der katholischen Kirche vor Ostern Violett die Farbe der Passion und Rot die Farbe der Märtyrer usw., hat diese Antwort etwas spontan Einleuchtendes. Aber sie ist von der gleichen Logik wie die These, die Schweine hießen Schweine, weil sie schmutzig seien. (AnttilaAnttila hat die Tatsache, dass wir dazu neigen, hinter den Symbolen MotiviertheitMotiviertheit zu suchen, treffend den Woodoo-Effekt der Sprache genannt.) Was Schwarz zum SymbolSymbol der Trauer macht, ist ausschließlich die Tatsache, dass das Tragen dieser Farbe hierzulande geregelt ist und darüber kollektives Wissen besteht.

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